17. Mai 2015

Spurensuche zwischen Ost und West: Der Film „Freiheit in Kinderschuhen“

Die Besucher des diesjährigen Heimattages in Dinkelsbühl sind herzlich eingeladen zu der von Hildegard Kijek moderierten Vorführung des Films „Freiheit in Kinderschuhen“ am 24. Mai, 14.30 Uhr, im Evangelischen Gemeindehaus, 2. Stockwerk, Nördlinger Straße 2.
Grauer Morgen, zwei Gestalten hasten vorbei, gespenstische Stille. Dann robben sie über Waldboden, flüstern: „Da, vor uns ist die Donau, gleich haben wir es geschafft.“ Und Schnitt. Ein Mann kommt über einen Bootssteg vom weiten Wasser her ins Bild, stellt sich mit ruhiger Stimme vor: „Ich bin Uwe. Und dies ist meine persönliche Geschichte, meine Geschichte von Ost und West ...“ So beginnt der Dokumentarfilm „Freiheit in Kinderschuhen“ – und wer nun hofft, in einem Agentenkrimi mit sensationellen Fluchtgeschichten über den Eisernen Vorhang hinweg zu sitzen, wird enttäuscht werden. Denn auf den ersten Blick gleicht die Geschichte von Uwe Pelger, geboren 1971 in Mediasch in Siebenbürgen, dem Schicksalen zahlloser Menschen, die den Herrschaftsbereich des Kommunismus Richtung Westen verlassen haben, vor oder nach dessen Zusammenbruch 1989/90. Als 18-Jähriger aus Rumänien ausgewandert, folgten Ausbildung, Eintritt in den Beruf, Familiengründung. Musik als großes Hobby. Und zwanzig Lebensjahre, in denen alles ausgeblendet wurde, was er damals zurückgelassen hatte. Doch es ergeht Uwe Pelger wie vielen anderen Auswanderern: Die Erinnerung kommt wieder, meldet sich bei den Vierzig- oder Fünfzigjährigen, fordert ihr Recht. Und da beginnt Uwe Fragen zu stellen. Erst sich selber, bald auch anderen Zeitzeugen: Was trieb mich weg aus der angestammten Heimat? Wie ist es mir ergangen im „Land meiner Träume“? Wie ging es dort weiter, wo ich einst zu Hause war? Wo stehen wir heute, nach 25 Jahren? Eine Gruppe von Menschen ließ sich für sein Bürgerprojekt begeistern, sie halfen mit, Fragen und Antworten über Kommen und Gehen, über Hoffen und Bangen, über Ankommen und Bleiben in ein Kaleidoskop aus Wort und Bild zu bannen. Zahlreiche ­Interviewpartner erzählen, wie sie den Kinderschuhen der Freiheit entwachsen sind und wie sie lernten, den Weg selber zu bestimmen, den sie gehen wollten. Der Titel des Streifens sei bewusst doppelsinnig gewählt, verrät Uwe Pelger einem Reporter: „Als ich hierher kam, steckte ich noch in Kinderschuhen. Also musste ich die Freiheit erst erlernen. Jetzt muss man sich mit denen auseinandersetzen, die nun in den Kinderschuhen stecken. Man muss unseren Kindern sagen, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist.“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. März 2015)
Konsequenterweise hat das Team, in dem er für die Idee und das Drehbuch zeichnet und der Reutlinger Filmemacher Joachim Stall für Regie, Kamera und Schnitt, ein Filmformat gewählt, das auch junge Erwachsene und Schüler anspricht, die aufgrund ihres Alters keinen persönlichen Bezug zu diesem Abschnitt der Ost-West-Geschichte haben. Häufiger Perspektivwechsel sorgt für Spannung; vor allem beschränkt sich das Drehbuch nicht nur auf das biographisch Naheliegende, erzählt nicht nur von uns Siebenbürgern, sondern lässt auch Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR zu Wort kommen. So verschieden die Schicksale sind, was sie alle beflügelt hat, den jeweiligen „Käfig“ hinter sich zu lassen, war der gleiche unbändige Drang nach Freiheit. Die Schauspielerin Magdalena Flade, in der DDR aufgewachsen, bringt es im Interview auf den Punkt: „Freiheit bedeutet für mich, der Mensch sein zu dürfen, der man ist.“ Besonders spannend wird der Perspektivwechsel, wenn Politiker zu Wort kommen. Horst Köhler, Bundespräsident a.D. beispielsweise, der von der Flucht seiner Familie mit der S-Bahn über West-Berlin berichtet, oder Hans-Dietrich Genscher. Der große alte Mann der deutschen Nachkriegsdiplomatie, der den Prager Botschaftsflüchtlingen den Weg in die Freiheit öffnen durfte, erzählt, wie er seine Frau in der Nacht zu einem Glas Wein aufweckte, als er erleichtert erfuhr, dass der erste Flüchtlingszug die DDR ungehindert passieren durfte, und er auf dem Balkon der Botschaft also nicht zu viel versprochen hatte.

Die Interviews werden häufig durch das Einblenden von historischen Aufnahmen, von Filmfragmenten und immer wieder durch Musikeinlagen aufgelockert. Während Erhard Hügel, Caro Gooss und Uwe Pelger von der Rockband Bürger7 spielen, erfahren wir, dass die Musik eine der Quellen war, aus der sich die Sehnsucht nach Freiheit speiste – Rockmusik aus dem Westen, die das kommunistische Regime zu unterdrücken versuchte. Beim Musizieren war es wohl auch, dass Uwe Pelgers Blick wieder auf Siebenbürgen gelenkt wurde. Die Begegnung mit Musiker-Freunden machte ihn frei, sich nun auch für die Veränderungen in der alten Heimat zu interessieren. Er stellt erstaunt fest, dass sich auch dort vieles bewegt hat und weiter bewegt. Interviews mit Menschen, die sich vor 25 Jahren zum Bleiben entschieden, belegen, dass auch sie gelernt haben, die neu erworbene Freiheit zu nutzen. Da ist Sara Dootz in Deutsch-Weißkirch, die viel mehr ist als eine Burghüterin. Da ist Caroline Fernolend, Direktorin des Mihai-Eminescu-Trust in Rumänien, die Zeichen setzt bei der Entwicklung des ländlichen Raums und die sich das Zusammenarbeiten aller Nachbarn und das Überwinden ethnischer Vorurteile auf die Fahne geschrieben hat. Und da ist nicht zuletzt die Rocklegende Peter Maffay, der im Gespräch mit Uwe Pelger seinen Weg nach der Ausreise skizziert, beginnend mit den ersten Schritten des scheuen Jugendlichen in Waldkraiburg. Mittlerweile engagiert er sich mit sozialen Projekten in Siebenbürgen und wurde zu einem Botschafter, der für das Engagement in Siebenbürgen, in Rumänien wirbt.

Grau war der Morgen, mit dem der Film begann, und es zählt zu den Perspektivwechseln des Films, dass alle Rückblicke in Schwarzweiß, die Bilder aus der Gegenwart jedoch in Farbe gefilmt sind. Am Ende schlägt Uwe den Bogen zum Bootssteg, auf dem er aus grauer Ferne auftauchte, und geht über einen Feldweg in eine bunte, sonnige Landschaft hinaus, zwei Kinder an der Hand.

Uwe Pelger hat uns mehr als nur seine berührende Geschichte erzählt, denn sie steht für die Geschichte einer ganzen Generation. Auf der Suche nach Freiheit sind viele den Weg von Ost nach West gegangen; hoffentlich finden nicht wenige in Zukunft auch wieder zurück. Der Film erzählt authentisch – und er hat eine klare Botschaft: Ihr wolltet frei sein – nun macht etwas daraus! Und damit das keine leeren Worte bleiben, hat das Team um Uwe Pelger, Joachim Stall und Hildegard Kijek den Verein Fink e.V. gegründet (www.freiheitinkinderschuhen.de). „Die Freiheit zu sagen was man denkt, sich in seiner Persönlichkeit zu entfalten und ein Leben in Frieden und Freude zu erleben ... all das ist für viele Menschen nicht selbstverständlich“, steht auf der Homepage zu lesen. Der Verein will „Projekte und Veranstaltungen um diese Themen in den gesellschaftlichen Focus rücken und das aktive Nachdenken darüber fördern.“ Uwe Pelgers Film ist das erste Projekt.

Hansotto Drotloff

Schlagwörter: Filmvorführung, Heimattag 2015, Umbruch 1989

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