28. Januar 2008

Politik gestalten: Tradition und Aktualität

Die anstehenden Kommunal- und Landtags­wahlen in mehreren Bundesländern bieten den Siebenbürger Sachsen die Möglichkeit, sich verstärkt in die Entscheidungsprozesse der Politik einzubringen. Der Verband der Sieben­bürger Sachsen ist überparteilich, aber auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regierungen, Behörden und Parteien angewiesen, um unsere politischen und rechtlichen Anliegen effektiv vertreten zu können. Begrüßenswert sind daher die Siebenbürger Sachsen und deren Freunde, die – aufgrund ihres Engagements in den demokratischen politischen Parteien – für die Kommunen und Parlamente kandidieren. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur politischen Gestaltung des gemeinsamen Lebensumfeldes, setzen eigene Akzente und sollten zugleich ein offenes Ohr für die Anliegen aller Bürger in einem Gesamtkontext haben. Die Siebenbürger Sach­sen knüpfen dabei an eine jahrhundertealte Tradition in Siebenbürgen an, öffentliche Anliegen selbst in die Hand zu nehmen, sich Ge­hör zu verschaffen und Politik mitzugestalten.
Im heutigen Deutschland wird oft und gerne über mangelnde Partizipation und Politikverdrossenheit geklagt. Viele Menschen empfinden sich als Opfer politischer Entscheidungen, die sie nicht beeinflussen können, und ziehen sich deshalb ins Private zurück. Dieses ist sicher nicht der richtige Weg.

Mit der „Polis“, der klassischen Stadt aus dem alten Griechenland, verbindet sich die Utopie einer Gesellschaft, in der die Bürger ihre Geschi­cke selbst in die Hand nehmen, ihr gemeinschaftliches Leben selbst gestalten und bestimmen. In einem demokratischen Gemeinwe­sen existiert der Staat nicht aus sich selbst her­aus, sondern nur durch und mit seinen Bürgern. Dies gilt umso mehr für die Kommunen, in denen wir leben und dem Staat unmittelbar begegnen. Der Staat und das Gemeinwesen sind wir selbst!

Auf freie Selbstverwaltung und Selbsthilfe gegründete Lebensgemeinschaft

Für die Siebenbürger Sachsen ist das nichts Neues. Denn sie können auf eine jahrhundertealte, auf freie Selbstverwaltung und Selbsthilfe gegründete Lebensgemeinschaft zurückblicken. Der bedeutende siebenbürgisch-sächsische Pfar­rer, Schulmann und Publizist Stephan Ludwig Roth (1796-1849) schrieb: „Während in absoluten Staaten alle Einsicht, Wille und Leben vom einzigen Zentro ausgeht, ist im Volksleben die Hauptsache, dass sich die Glieder untereinander raten, warnen, ermuntern, beloben und tadeln.“ Vaterlandsliebe könne nur dort gedeihen, „wo das Volk Anteil an der Regierung nimmt, wo jeder Einzelne für das Ganze steht und wo das allgemeine Wohl des Vaterlandes zur allgemeinen Sorge, zur Angelegenheit wird.“

Über Jahrhunderte verwalteten die Sie­ben­bürger Sachsen sich im Karpatenbogen selbst. Von 1486 bis 1876 war die Nationsuniversität (Universitas Saxonum = Gesamtheit der Sieben­bürger Sachsen) ihre oberste politische und Ver­waltungsbehörde. Sie war ihrerseits das Ergeb­nis einer Entwicklung, deren Kern die 1224 mit dem „Goldenen Freibrief“ des Königs Andreas („Andreanum“) privilegierte Hermannstädter Provinz bildete.

Schulen als „Pflanz­stätte des Gemeinwesens“

Auch die Schulen sollten diesem Gemeinwesen dienen. „Schola seminarium rei publicae“, der Spruch aus Albert Huets berühmter Schulrede, kann an der Schäßburger Bergschule ebenso ge­lesen werden wie als Wahlspruch des Bruken­thalgymnasiums in Hermannstadt: Die Schule war für die Siebenbürger Sachen eine „Pflanz­stätte des Gemeinwesens“, in der mündige, sich selbst bestimmende Bürger herangezogen werden sollten. Der Göttinger Universalgelehrte Au­gust Ludwig Schlözer schwärmte 1795 von dem „in Freiheit und Gleichheit“ gegründeten „Ge­meinwesen, … das seines Gleichen wenig hatte, so weit die Sonne scheint“, von einem „Muni­cipal Regiment, d.i. bürgerliche Freiheit und Selbstregierung oder Autonomie“. Sie bestand eben in der regelmäßigen Wahl der kommunalen Führung, vom Gemeindevorstand bis zum Hannen, vom Ratsherren bis zum Bürgermeis­ter und zum Sachsengrafen.

Demokratie und Freiheit

Der englische Schriftsteller Charles Boner schrieb 1865: „Zu einer Zeit, wo in dem Mutter­lande das willenlose Volk sich einfach dem Ge­bote seiner Herrscher fügte und sich sogar vor jeder Laune derselben beugte, lebten in jenem ‚Land jenseits des Waldes’ Deutsche mit Gemein­deverfassungen, die vielleicht freier als die der heutigen Londoner Bürger waren.“

Die Nachbarschaften nahmen dabei wichtige kirchliche, soziale, kulturelle, wirtschaftliche und kommunale Aufgaben wahr, der gegenseitigen Hilfe beim Häuserbau, der Schlichtung von Streitfällen. Diese Keimzellen des demokratischen Gemeinwesens betreuten die Nachbarn von der Geburt bis zur Beerdigung, überwachten das kirchliche Leben und pflegten das Brauchtum.

Schwere Rückschläge für die Autonomie

Politisch vertreten wurden die Siebenbürger Sachsen seit dem 19. Jahrhundert von ihren Ab­geordneten in Budapest und später in Bukarest, aber auch von der Kir­che, die seit Bischof Georg Daniel Teutsch „als Volkskirche zum Schutz­schild und einigenden Band der Siebenbürger Sachsen wurde“, wie der Historiker Konrad Gün­disch schreibt. Allerdings erlitt ihre Autonomie schwere Rückschläge nach der „Union“ Sieben­bürgens mit Ungarn (1867) und dem Anschluss an Rumänien (1918). Bedeutende Politiker der Zwischenkriegszeit wie Hans Otto Roth, Rudolf Brandsch, Karl Ernst Schnell oder Adolf Schul­lerus, um nur einige zu nennen, bemühten sich pragmatisch um das Wohlwollen der jeweiligen Regierungspartei. So wurden den Deutschen von vornherein etwa zehn Mandate im Abgeordne­tenhaus und zwei bis vier im Senat zugesichert. Der Bischof der evangelischen Kir­che gehörte von Amts wegen dem Senat an.

An demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt

Während im kommunistischen Rumänien die deutsche Gemeinschaft und Bürger ihrer Rech­te beraubt wurden, brachten sich die verstreut im Westen lebenden Siebenbürger Sachsen in die demokratischen Entscheidungsprozesse ein.

In den „Leitgedanken für Siebenbürger Sach­sen“ (1989) hält eine landsmannschaftliche Ar­beitsgruppe unter der Leitung von Hans Mies­kes fest: „Menschsein gelingt nur in konkreter Form. Ein Mensch ist immer er selbst, Teil seiner Fami­lie und seines Volkes. Deshalb bedeutet siebenbürgisch-sächsische Wesenssicherung zugleich Teilnahme am Schicksal der freien Welt und Bekenntnis zum allgemeinen, unverfälschten Prinzip der Humanität und damit auch ein Stück Weltbewahrung.“

1983 rief der Vorsitzende der Lan­desgruppe Bayern, Dr. Gust Wonnerth, seine Landsleute auf, in Vereinen, Gemeinden, Kir­chengemeinden und Parteien mitzuwirken um in „aller Beschei­denheit, aber auch gebührender Deutlich­keit, unseren eigenen, spezifisch siebenbürgisch-säch­sischen Beitrag zu den Fragen und Diskussio­nen unserer Zeit zu leisten. Der Ruf ‚ad retinendam coronam‘ gilt hier und heutzutage unter anderem Vorzeichen unverändert wieder.“

Erfolge bei Kommunalwahlen

Vor allem in Kommunen mit einem hohen siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerungsan­teil, etwa im Patenland Nordrhein-Westfalen (Wiehl, Oberhausen, Setterich) oder Bayern (Gerets­ried, Dinkelsbühl u.a.) stehen die Chancen für eigene Kandidaten gut. So waren bei den Kom­munal­wahlen am 26. September 2004 gleich mehrere siebenbürgische Kandidaten erfolgreich. Promi­nentester unter ihnen ist Hagen Jobi, Landrat des Oberbergischen Kreises, der seit Jahrzehn­ten seinen Wunsch, Kommunal­po­litik mitzugestalten, erfolgreich in die Tat um­setzt. Seine direkte, offene Art wirkt überzeugend auch auf Nichtsiebenbürger. Zu seiner siebenbürgischen Herkunft bekennt sich der CDU-Politiker ohne Wenn und Aber, beim Heimattag in Dinkelsbühl ist er ebenso zu Hause und Gast wie Norbert Kartmann (CDU), der väterlicherseits aus Hetzel­dorf stammt und seit 2004 Präsident des Hessi­schen Landtags ist.

Für alle Kommunalpolitiker gilt es, das sie­ben­bürgische Engagement unter einen „Hut“ zu bringen mit den Anliegen aller Bürger. Sie habe stets „ein offenes Ohr für alle“, erklärt Katha­rina Schmidt ihren seit 1994 andauernden Erfolg als Stadträtin in Baesweiler.

Klaus Johannis: dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet

Mit seinem Programm, ein Bürgermeister aller Hermannstädter zu sein, wurde Klaus Johannis am 6. Juni 2004 mit fast 90 Prozent der Stim­men zum Stadtoberhaupt wieder gewählt. Zu­sammen mit einem Stadtrat, der zu 60 Prozent aus Siebenbürger Sachsen besteht, hat Johan­nis die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Geschicke der Stadt in den letzten Jahren enorm vorangetrieben. Seit den Kom­munalwah­len im Juni 2004 besteht der Her­mannstädter Kreisrat zu einem Drittel aus Deut­schen, an der Spitze mit dem Kreisratsvorsitzenden Martin Bot­tesch. Die Mehrheits­bevöl­kerung schenkt den Siebenbürger Sachsen deshalb ihr Vertrauen, weil sie sich für das Wohl der Allgemeinheit und nicht nur der deutschen Minderheit einsetzen.

Dem Gesamtzusammenhang verpflichtet fühlt sich auch der Landesverband Bayern des Ver­bandes der Siebenbürger Sachsen, der mit dem Landesverband der Banater Schwaben kürzlich einen „Arbeitskreis für politische Integration“ gegründet hat. In Fortsetzung unserer Tradition sollen die Wahrnehmung politischer Aufgaben und die Einbringung unserer Erfahrungen in den gesellschaftlichen Alltag und unser neues Lebensumfeld gefördert werden.

Siebenbürgische Zeitung fördert das kommunale Engagement

Die Siebenbürgische Zeitung wird das kommu­nale und politische Engagement der Siebenbür­ger Sachsen durch weitere Veröffentlichungen begleiten. So werden Bewerber kurz vorgestellt, damit sie unter den siebenbürgischen Wählern bekannt sind. Deshalb bitten wir alle siebenbür­gischen Kandidaten, uns ihren Lebenslauf, Akti­vitäten, Vorhaben sowie den Wahlkreis, in dem sie antreten, mitzuteilen. In der Folge 3 vom 20. Februar 2008(Redaktionsschluss: 6. Februar) werden alle uns bekannten Kandidaten der Kommunal­wahlen in Bayern kurz vor­­gestellt. Siebenbür­ger, die bei den Wahlen erfolgreich sind, werden schließlich ausführlich in der Folge 4 oder 5 porträtiert (siehe Erscheinungstermine und Redaktionsschlüsse).

Siegbert Bruss

Schlagwörter: Kommunalpolitik

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