10. Juni 2004

In der neuen Heimat fest verwurzelt

Der diesjährige Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl war so erfolgreich und in seinen vielseitigen Facetten so wirkungsvoll wie selten. Das siebenbürgische und gleichermaßen europäische Schicksal der Evakuierung, Flucht und Heimatfindung wurde in vielseitigen Veranstaltungen beleuchtet, die über die geschichtlichen Zusammenhänge aufklärten, zu einem runden Ganzen verknüpft waren und das breite Publikum - von den Ehrengästen über die jungen Leute bis hin zur Erlebnisgeneration - zutiefst bewegten.
Im September 1944 waren rund 40 000 Sachsen vor den nahenden Sowjettruppen aus Nordsiebenbürgen und einigen Ortschaften des Kokelgebietes evakuiert worden. Sie fassten Fuß in Österreich, Kanada, aber auch in Mittelfranken und vor allem im Zuge der Kohleaktion in Nordrhein-Westfalen. Deshalb wurde das kulturelle Rahmenprogramm heuer von der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen mitgestaltet, was ihren zahlreichen Vertretern, Blaskapellen, Kreis- und Kulturgruppen durch ihr vorbildliches Engagement in Dinkelsbühl bestens gelungen ist. Die exzellente Ausstellung „’Ihr seid verrückt, wie könnt ihr die Heimat verlassen …?’ Siebenbürgen – Herbst 1944“ mit einer Einführung von Horst Göbbel aus der bewegten und bewegenden Sicht eines Vertreters der Erlebnisgeneration (siehe Siebenbürgische Zeitung-Online ), eine geschichtlich fundierte Festrede von Prof. Dr. Thomas Nägler, der die Evakuierung und Flucht in einen größeren historischen Zusammenhang setzte (siehe Siebenbürgische Zeitung-Online vom 15. Juni), Lesungen von Zeitzeugen, ein ZeitZeugen-Studio des siebenbürgischen Regisseurs Günter Czernetzky, die Brauchtumsveranstaltung der nordrhein-westfälischen Gruppen, die Rede des letzten Dechanten des Bistritzer Kirchenbezirks, Pfarrer i.R. Kurt Franchy, an der Gedenkstätte (siehe Siebenbürgische Zeitung-Online vom 13. Juni) fanden allesamt großen Anklang.

Die erwähnte Ausstellung dokumentiert das Schicksal der Sachsen in Nordsiebenbürgen und einigen Ortschaften des Kokelgebietes, angefangen von ihrem Leben in ihrer vertrauten Heimat über die Evakuierung und Flucht im Herbst 1944 bis hin zu ihrer neuen Heimatfindung in Österreich und Deutschland. Die historischen Hintergründe werden kenntnisreich beleuchtet und mit zahlreichen Fallbeispielen belegt. Konzipiert wurde die Schau von Bundeskultureferent Hans-Werner Schuster gemeinsam mit dem siebenbürgischen Regisseur Günter Czernetzky, unterstützt von Horst Göbbel, Doris Hutter, Pfarrer i.R. Kurt Franchy und Enni Janesch. Bei der Eröffnung am 29. Mai in Dinkelsbühl dankte Schuster den zahlreichen Leihgebern, die zum Teil anwesend waren, und bat um weitere Dokumente und Objekte, um die Ausstellung in einer erweiterten Form bei den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtagen 2004 in Nürnberg zu präsentieren.

Mit diesem Wagen war Georg Krauß sen. 1944 mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet. Der Fluchtwagen gehörte zu den Attraktionen des Festumzuges in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
Mit diesem Wagen war Georg Krauß sen. 1944 mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet. Der Fluchtwagen gehörte zu den Attraktionen des Festumzuges in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer

Die genannten Veranstaltungen bilden übrigens den Anfang einer Reihe von Gedenkfeiern, die im kommenden Herbst demselben Thema gewidmet sein werden. Eröffnet werden die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2004 am Wochenende 10.-12. September in Nürnberg, am 18.-19. September findet dann in Wels (Oberösterreich) der elfte Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Österreich statt. Das Treffen steht unter dem Leitwort „Schnittpunkte - 270 Jahre ‚Landler‘ in Siebenbürgen und 60 Jahre Siebenbürger in Österreich“. Eine Woche später wird das Sachsentreffen in Birthälm ebenfalls einen nordsiebenbürgischen Schwerpunkt setzen. Diese Steigerung und breit gestreute Behandlung nordsiebenbürgischer Themen war im Vorfeld des Heimattages von den landsmannschaftlichen Gremien und der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen beschlossen worden.

Den Borgen zwischen nordsiebenbürgischer Evakuierung und Heimatfindung spannte auch Pfarrer i.R. Wolfgang Rehner aus Sächsisch-Regen, der am Sonntag, dem 30. Mai, den Pfingstgruß seitens der Evangelischen Landeskirche A.B. überbrachte.

Das Motto „Heimat suchen – Heimat finden“ solle nicht nur an das Schicksal der nordsiebenbürgischen Flucht und Heimatfindung erinnern, sondern auch an die vor 270 Jahren aus Glaubensgründen aus dem Salzkammergut vertriebenen Landler, die über zwei Jahrhunderte lang eine Zwischenheimat in Siebenbürgen gefunden haben. Dies betonte der Bundesvorsitzende Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr in seiner Festrede am Pfingstsonntag. Das Leitwort des diesjährigen Heimattages formuliere zudem eine zukunftsweisende Aufgabe der Siebenbürger Sachsen: „Sie können und sollen auf der Grundlage des Gemeinsinns und der Toleranzerfahrung, die sie durch jahrhundertelang praktiziertes Zusammenleben mit mehreren Volksgruppen erworben haben, auch künftig ihren Beitrag zum zusammenwachsenden Europa leisten. Mit diesem Motto verbinden wir auch die Hoffnung, dass in naher Zukunft unsere in Siebenbürgen lebenden Landsleute und alle Mitbürger Rumäniens in der erweiterten europäischen Völkergemeinschaft Heimat finden werden.“ Dürr betonte, dass der landsmannschaftliche Verband bereit sei, ein dauerhaftes Umsetzungskonzept zur Kulturförderung zu entwickeln, „das es sowohl den wissenschaftlich Interessierten als auch unseren ehrenamtlich tätigen Aussiedlern wieder ermöglicht, die vom Deutschen Bundestag geforderte Brückenfunktion aktiv wahrzunehmen“. (siehe Ansprache im Wortlaut in der Siebenbürgischen Zeitung Online)

Birgit Fischer, Ministerin für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie von Nordrhein-Westfalen, erklärte, auf der Kundgebung vor der Schranne, dass die Siebenbürger Sachsen durch ihr kulturelles und soziales Engagement einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Bürgergesellschaft und darüber hinaus für den europäischen Einigungsprozess leisten. „Die Vertriebenenverbände und Landsmannschaften haben eine wichtige Funktion zu erfüllen in der Vergangenheit, in der Gegenwart, aber vor allem auch in der Zukunft. Denn sie haben die Möglichkeit, für die Solidarität unter den Völkern Europas einen wesentlichen Beitrag zu leisten, die Brückenbauer für diese gemeinsame Zukunft zu sein“, betonte die Patenministerin (siehe Ansprache im Wortlaut in der Siebenbürgischen Zeitung Online).

Deutliche europäische Akzente setzte auch Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, in seiner Festrede am Pfingstsonntag. Die Spaltung des Kontinents sei überwunden, und es sei richtig, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts den Mut haben, den Weg der europäischen Wiedervereinigung zu gehen. Rumänien müsse in gemeinsamer Anstrengung modernisiert werden, damit es im Jahr 2007 in erster Reihe in der Europäischen Union mitmachen könne, betonte der CSU-Politiker. Den Siebenbürger Sachsen dankte er nachdrücklich für ihre Aufbauleistung in Deutschland (siehe Festrede in der Siebenbürgischen Zeitung Online).

Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen war Ausrichter dess Heimattages und war auch im Festumzug stark vertreten, auf dem Bild junge Leute aus Drabenderhöhe. Foto: Günther Melzer
Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen war Ausrichter dess Heimattages und war auch im Festumzug stark vertreten, auf dem Bild junge Leute aus Drabenderhöhe. Foto: Günther Melzer

Zahlreiche kulturelle und künstlerische Veranstaltungen bereicherten das Pfingsttreffen. Der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis 2004 wurde an den Journalisten Dr. Ernst Weisenfeldverliehen, der die Elena-Muresanu-Stiftung für soziale und humanitäre Projekte in Rumänien gründete. Mit dem Ernst-Habermann-Preis wurden die drei Nachwuchsforscher Helga Fabritius, Christine-Franziska Lapping und Wolfram-Wilhelm Ortius ausgezeichnet. Den Siebenbürgisch-Sächsischen Jugendpreis 2004 erhielt - passend zum Jubiläum und Heimattagsmotto – die Bruder- und Schwesternschaft Setterich (Nordrhein-Westfalen) in Anerkennung ihres 50-jährigen Wirkens zum Erhalt siebenbürgisch-sächsischer Kultur in Deutschland. Wie immer brachte sich die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) stark und vielseitig in das Programm ein. Mit dem Programmpunkt „Unser Nachwuchs präsentiert sich“ gelang es bereits zum zweiten Mal, junge Familien in den Heimattag mit einzubeziehen. (ein separater Bericht über die Preisverleihungen folgt in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 12. Juni 2004)



Das Ehepaar Enni und Harald Janesch im Trachtenumzug. Die beiden haben die Teilnehme der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen am diesjährigen Heimattag hervorragend koordiniert. Foto: Petra Reiner
Das Ehepaar Enni und Harald Janesch im Trachtenumzug. Die beiden haben die Teilnehme der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen am diesjährigen Heimattag hervorragend koordiniert. Foto: Petra Reiner
Den Abschluss des Heimattages bildete die Podiumsdiskussion zum Thema „Identität und Integration“ unter der Moderation von der stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Karin Servatius-Speck. Die Teilnehmer am Podium, die Volkskundlerin Dr. Irmgard Sedler, der Historiker Prof. Dr. Thomas Nägler, Prof. Dr. Jürgen Walchshöfer, Bürgermeister a.D., Bundesfrauenreferentin Enni Janesch, Pfarrer i.R. Kurt Franchy, Vorsitzender des Hilfskomitees, und Thorsten Schuller, stellvertretender Bundesjugendleiter der SJD, stellten fest, dass eine gefestigte Identität, die ihre Kraft schöpft aus „unserer tradierten siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft“, eine gute Grundlage sei, um sich anzupassen und neue Heimat zu finden. (separater Bericht über die Podiumsdiskussion in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 14. Juni 2004)

Die eingangs erwähnte nordsiebenbürgische Ausstellung, die Gedenkveranstaltung, das Zeitzeugen-Forum, die Rede an der Gedenkstätte und die Podiumsdiskussion waren hervorragend zu einem „Fünfklang“ (Volker Dürr) abgestimmt. Ortstreffen von Landsleuten, Sportturniere und Tanzpartys ergänzten das breit gefächerte Angebot. Am traditionellen Festumzug durch die historische Altstadt von Dinkelsbühl beteiligten 57 Brauchtumsgruppen und Blaskapellen mit rund 1 500 siebenbürgisch-sächsischen Trachtenträgern. Auch in dieser Hinsicht war der Heimattag ein großer Erfolg.

Siegbert Bruss

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