22. Juni 2005

Aussiedlerkulturtage in Nürnberg

Die zwanzigsten Aussiedlerkulturtage in ununterbrochener Folge fanden am 3. und 4. Juni in Nürnberg statt. „Wir sind heute gekommen, weil wir an diesem Nachmittag wieder einmal vorgeführt bekommen, mit welchem kulturellen Reichtum die Vertriebenen, aber auch diejenigen, die später zu uns in die Stadt gekommen sind, unsere Stadt bereichern“. Diese Grußworte von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, dem Schirmherr der Kulturtage, wurden mit viel Applaus bedacht. Das Fest dokumentierte auch diesmal „die große Vitalität und Anziehungskraft der Aussiedlerkultur als Teil unseres städtischen Kulturlebens“, sagte der Oberbürgermeister.
Eröffnet wurden die Kulturtage mit einem „klassischen Programm“ am Freitag im Haus der Heimat. Horst Göbbel, Vorsitzender des Vereins Haus der Heimat und stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Bayern der siebenbürgischen Landsmannschaft, wies einführend auf die Bedeutung des Einstein- und Schillerjahrs 2005 hin, das zugleich ein Jahr des Gedenkens an das Kriegsende vor 60 Jahren sei. Göbbel zitierte den Erfinder der Relativitätstheorie: „Was ein Mensch für seine Gemeinschaft wert ist, hängt in erster Linie davon ab, inwieweit sein Fühlen, Denken und Handeln auf die Förderung des Daseins anderer Menschen gerichtet ist“, und zitierte Schillers Credo im Wilhelm Tell: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, / Und neues Leben blüht aus den Ruinen“. Das Hauptaugenmerk richtete Göbbel auf die Gedenkrede zum Kriegsende von Horst Köhler, des ersten Bundespräsidenten aus den Reihen der Vertriebenen. Vor 60 Jahren „stürzte das Tausendjährige Reich, Deutschland war von Ruinen, von Leid, von Schuld übersät, Flucht, Vertreibung, Deportation begann – aber auch neue Hoffnung, auch neue Zuversicht durch gelingende Integration von Millionen Menschen in unserem neuen Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland.“ Bundespräsident Köhler fasste zusammen: „Wenn wir den Weg sehen, den wir seit 1945 zurückgelegt haben, dann erkennen wir auch die Kraft, die wir aufbringen können. Das macht uns Mut für die Zukunft.“ Zu dieser Zukunft gehöre auch das Fundament, auf dem wir, die Aussiedler, stünden, betonte Horst Göbbel: „unser Glaube an die Kraft des Heimatgedankens, unsere Integrationswilligkeit und unsere vielfältig bewiesene Integrationsfähigkeit“.



Nürnberger Tanzgruppe nach erfolgreichem Auftritt. Foto: Horst Göbbel
Nürnberger Tanzgruppe nach erfolgreichem Auftritt. Foto: Horst Göbbel


Nach der Begrüßung der Ehrengäste bezauberten Ingrid Hutter (21) und Martin Freitag (22) am Fagott mit dem Duett Nr. 2, opus 5 von Carl Jacobi. Gebhard Schönfelder, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Nürnberger Stadtrat, überbrachte ein Grußwort des Oberbürgermeisters und betonte die Güte der Aussiedlertätigkeiten im Haus der Heimat. Anton Bosch, Vorsitzender des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland, informierte über einen ungewöhnlichen Projekt-Partner des Hauses der Heimat, eine Gruppe aus Archangelsk und diese russische Metropole am Weißen Meer. Die Gäste aus Russland, die Kulturgruppe vom Regionalen Russisch-Deutschen Haus Archangelsk unter der Leitung von Marina Efimova, präsentierte sich mit vier Ausstellungen und einer zarten musikalischen Einlage. Die Brüder Alexander und Christopher Scholz (Klavier und Violine) von Seiten der Oberschlesier erfreuten das Publikum mit dem Violakonzert Es-Dur von Carl Friedrich Zelter und dem Liebeslied von Fritz Kreisler. Vor dem gemütlichen Beisammensein eröffneten die Sathmarer Schwaben die Ausstellung „Blumen“ von Josef Groeger.

Der zweite Tag begann mit dem traditionellen Trachtenumzug, der zu den Klängen der Siebenbürger Blaskapelle vom Haus der Heimat zur Kirche Heiligste Dreifaltigkeit führte. Diakon Bernhard Bäumler würdigte den Beitrag der Aussiedler im Kulturleben des Stadtteils Langwasser, der Chor der Sathmarer Schwaben aus München gestaltete den Gottesdienst musikalisch mit.

Beim „Bunten Nachmittag“ im Gemeinschaftshaus Langwasser begrüßte Werner Henning, derzeitiger Vorsitzender des Nürnberger Aussiedlerbeirats, zahlreiche Ehrengäste, darunter Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, die Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl (CSU), aus dem Nürnberger Stadtrat Gabi Penzkofer-Röhrl (SPD), Helmine Buchsbaum (CSU), Jürgen Wolff (Bündnis 90/Die Grünen), den Aussiedlerbeauftragten der Stadt Nürnberg, Wolfgang Lang, sowie zahlreiche landsmannschaftliche Vertreter. Der Werner Henning begann seine Ansprache mit einem Gedichtauszug seiner Mutter, einer Siebenbürger Sächsin, über die Deportation ins ferne Uralgebiet und verwies auf das Kriegsende: „Das Grauen der nationalsozialistischen Diktatur, für die Auschwitz zum Synonym wurde, hat grenzenloses Leid in Europa erzeugt und die eigenen Bürger in den Abgrund gerissen“, sagte Henning und betonte zugleich, dass mit dem 8. Mai 1945 jedoch Unmenschlichkeit und Grausamkeit in Europa noch immer kein Ende hatten, denn „Stalins harte Faust lag über Mittel- und Osteuropa, raffte Millionen Menschen vieler Völker dahin“. Hunderttausende Deutsche aus Mittel- und Osteuropa seien aus ihrer Heimat vertrieben oder in Zwangsarbeit geknechtet worden. „Von den Ursachen her war dies auch eine Folge der NS Diktatur. Im Ergebnis aber waren diese Menschenrechtsverletzungen gleichermaßen unentschuldbar.“ Werner Henning zitierte abschließend Bundesinnenminister Otto Schily, der am 8. Mai 2005 im Berliner Dom gesagt hatte: „Die politische Linke hat in der Vergangenheit, das lässt sich leider nicht bestreiten, zeitweise über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid, das den Vertriebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden, oder sei es in dem Irrglauben, durch Verschweigen und Verdrängen eher den Weg zu einem Ausgleich mit unseren Nachbarn im Osten zu erreichen. Dieses Verhalten war Mutlosigkeit und Zaghaftigkeit. Inzwischen wissen wir, dass wir nur dann, wenn wir den Mut zu einer klaren Sprache aufbringen und der Wahrheit ins Gesicht sehen, die Grundlage für ein gutes und friedliches Miteinander finden können.“

Oberbürgermeister Dr. Maly nahm diesen Gedanken in freier Rede auf und schilderte eine Begegnung, die er einige Wochen zuvor in Nürnbergs Partnerstadt Charkow in der Ukraine hatte. Maly hatte dort gesagt: „Wir sind gekommen zum Tag der Befreiung“, und ein ukrainischer Kollege hatte geantwortet: „Nein, ihr seid gekommen nur zum Tag der Befreiung vom Faschismus, denn frei waren wir damals noch lange nicht.“ Und da sei dem Nürnberger Oberbürgermeister bewusst geworden, „dass wir uns natürlich mit unserer Geschichte zu befassen haben, dass wir uns ohne Zweifel mit der Geschichte der Nazizeit auseinander zu setzen haben, aber genauso natürlich auch mit dem millionenfachen Leid der Vertreibung der deutschen Vertriebenen. Deshalb bieten sich auch die Kulturtage als wichtige Gelegenheit dazu an sich heute, wo noch Menschen aus dieser Zeit leben, damit zu befassen.“

Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl lobte die Integrationsanstrengungen der Stadt und die intensive Sprachförderung. Den Kulturteil bestritten mit einem Strauß von musikalischen und tänzerischen Einlagen die Kinder- und Jugendtrachtengruppe der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Kreisgruppe Nürnberg (Leiter Ewald Schuster), die siebenbürgische Kindertanzgruppe (Leitung Annette Folkendt), die Tanzgruppe der Siebenbürger Sachsen Nürnberg (Leitung Hilde Zeck-Papp und Roswitha Bartel), der Oberschlesische Singkreis der Frauengruppe Nürnberg, der Chor der Sathmarer Schwaben in München, die Kulturgruppe vom Regionalen Russisch-Deutschen Haus Archangelsk unter der Leitung von Marina Efimova, die Gruppen „Musikspatzen“, Kinderchor, „Volksquelle“ und „remix“ (Leitung Olga Philipp), die Russlanddeutsche Trachtentanzgruppe (Leitung Eduard Fischer), der Fürther Chor der siebenbürgischen Landsmannschaft (Leitung Reinhold Schneider) und natürlich die Blaskapelle der Siebenbürger Sachsen (Leitung Hans Welther), die anschließend zum Tanz aufspielte. Zum Abschluss gab es wieder den gemeinsamen Tanz „Sternpolka“ unter der Leitung von Roswitha Bartel und Ewald Schuster, wobei auch unsere Ehrengäste schwungvoll mitmachten. Durch das Programm führte Hilde Zeck-Papp. Die Gesamtkoordination lag in den bewährten Händen von Doris Hutter, stellvertretende Bundesvorsitzende der siebenbürgischen Landsmannschaft. Mit seinem breiten Angebot an Musik und Tanz, Vorträgen und Ausstellungen war auch dieses große Fest der Aussiedler ein gelungenes Beispiel gelebten Gemeinsinns.

H. G.


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