14. Mai 2023

Interview mit Renate Preiss: Sieben Fragen zum Siebzigsten der Kreisgruppe Reutlingen – Metzingen – Tübingen

Die Siebenbürger Sachsen Reutlingen – Metzingen – Tübingen gibt es nun schon seit 70 Jahren – am 29. April feierten wir das Jubiläum in Reutlingen-Sondelfingen (ein ausführlicher Bericht folgt in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 8 vom 22. Mai 2023). Renate Preiss ist seit vielen Jahren dabei. Heute wollen wir gemeinsam einen kleinen Rückblick wagen.
Renate Preiss ...
Renate Preiss
Renate, wann hast du das letzte Mal von Siebenbürgen geträumt und wovon handelte dein Traum?

Tatsächlich habe ich gerade gestern, also heute Nacht, so einen schönen Traum gehabt. Ich war bei meiner Oma in Reps im Garten, es war Osterzeit und ich war ein kleines Mädchen. Wir durften dort bei meiner Oma die Kindergartenzeit verbringen, sie war eine so liebe Oma, sie hat immer in ihrem Garten unter der Burg in den Johannissträuchern die Nester versteckt und wir durften sie dann suchen. Dann ließen wir die gefärbten Ostereier den Berg hinunterrollen – bis sie dann geplatzt und gebrochen waren – das war für mich eine schöne Erinnerung heut Nacht.

Du bist gebürtig aus Tartlau, lebst seit 1974 in Metzingen und bist tatsächlich schon 49 Jahre in Deutschland. Du warst über 30 Jahre aktiv im Verein, hast lange im Vorstand mitgewirkt. Hast dich als Frauenreferentin eingebracht, warst für die Heimatstube zuständig – und auch da warst du von Anfang dabei. Auch die Handarbeitsgruppe hast du jahrelang liebevoll geleitet. Du singst auch nach 40 Jahren noch aktiv im Chor (wo du auch Mitbegründerin warst) UND du brennst nach wie vor für den Verein, bist auf vielen Veranstaltungen dabei. Zuletzt haben wir uns auf dem Kaffeenachmittag im März getroffen. Wann immer ich eine Frage zum Brauchtum der Siebenbürger Sachsen hatte – du hattest eine Antwort. Ich habe jetzt sieben Fragen an dich …

Renate, wenn du deinen Urenkeln in sieben Sätzen von den Anfängen in Metzingen erzählen solltest, welche Geschichte würden sie hören?

Ich würde davon erzählen, aus welchem wunderschönen Land ich käme. Und wie es uns bei unserer Auswanderung aus Siebenbürgen ergangen ist. Dass es kein leichtes Spiel ist, wenn man Hab und Gut auf einen Schlag aufgeben muss, die lieben Eltern und Geschwister zurücklässt und in ein fremdes Land geht. Ohne Gewissheit, wie alles ausgehen wird. Ich bin am 6. Juni 1974 mit meiner Familie in Deutschland angekommen und ca. 14 Tage in verschiedenen Lagern gewesen. Als wir dann endlich alle Formalitäten erledigt hatten, konnten wir Ende Juni nach Metzingen gehen. Aber erst 1980 sind wir dann in ein eigenes Heim gezogen. Auch würde ich ihnen erzählen, dass der Anfang hier in Deutschland alles andere als einfach für mich und meinen Mann war. Mit vier Kindern im Alter von vier bis 14 Jahren, nicht immer leicht. Zum Glück hatte ich schon in Siebenbürgen gelernt anzupacken. Nur so war es überhaupt möglich die schwierigen Zeiten zu meistern und alles gut hinzubekommen – und hinbekommen haben wir es gut, was man bei uns heute noch sehen kann. Und ich würde davon berichten, dass ich damals zum ersten Mal mit meinem Mann im Flugzeug gesessen bin und die Welt von oben sehen konnte – auf diesen Moment habe ich zwölf Jahre gewartet, denn so lange mussten wir ausharren, bis wir endlich ausreisen durften. Zwölf lange Jahre haben wir darauf gewartet! Und gestartet sind wir mit dem, was „in einen Koffer passte“, denn es waren nur 20 kg Gepäck erlaubt.

Siebzig Jahre, das ist eine lange Zeit, du bist seit den 70ern dabei. Woran erinnerst du dich am liebsten?

An die „kleine Kreisgruppe“, die von Jahr zu Jahr größer wurde, da sich immer mehr Menschen aus Siebenbürgen der Gruppe anschlossen und ich sie alle kennengelernt habe. So entstanden Freundschaften, die wir heute noch pflegen. Eine schöne Erinnerung habe ich an das erste Treffen in der Ritterschenke in Reutlingen, wo ich die ersten Siebenbürger kennengelernt habe. Dort fand damals ein kleiner Stammtisch der Landsmannschaft statt. Sogar einen alten Veteranen, der seit dem Kriegsende mit seiner Familie in Reutlingen lebte, habe ich dort kennengelernt. Dann erinnere ich mich an Reinhardt Kirschner, der vergessen hatte nach seinem Besuch die Heimreise anzutreten. Der Verein war damals noch so klein, man konnte die Besucher an den Fingern abzählen – es war immer ein gemütliches Beisammensein.

Gern erinnere ich mich auch an die Anfänge der Heimatstube. 1993 bekamen die Siebenbürger auf Anfrage bei der Stadt Metzingen Räume für die Einrichtung eines siebenbürgisch-sächsischen Museums zur Verfügung gestellt. Die Räume waren sehr renovierungsbedürftig. Ich meldete mich damals bei Michael Herberth, dem damaligen Vorstand der Reutlinger Kreisgruppe, und gemeinsam mit vielen fleißigen Helfern haben wir nach 500 freiwilligen Arbeitsstunden die Heimatstube eröffnet. Endlich konnten wir die Schönheiten aus der alten Heimat präsentieren. Als Mitbegründerin des Chores denke ich natürlich auch oft an die Anfänge des Chores zurück – auch hier eine tolle Gemeinschaft, mit der man sich gern traf und austauschte und eben auch die bekannten Lieder aus der Heimat sang. Gern erinnere ich mich natürlich auch an die unbeschwerte Kindheit in Siebenbürgen – wir hatten trotz schwerer Zeiten und trotz der großen Armut so direkt nach dem 2. Weltkrieg eine wunderschöne Kindheit. Auch erinnere ich mich an das Jahr 1949, als mein Vater nach fünfjähriger Gefangenschaft in Russland gesund zu uns zurückgekehrt ist – und an das Tor geklopft hat und wir konnten ihn in den Arm nehmen. Die Familie war endlich wieder vereint, das war eine so große Freude. Man darf nicht vergessen, ich war damals gerade mal neun Jahre alt. Wir waren fünf Kinder und oft alleine, unsere Mutter war die einzige Hebamme und zu der Zeit hat man die Kinder ja noch zu Hause bekommen, da war sie viel fort. Wir wussten dann oft nicht, ist es morgens, ist es abends, müssen wir zur Schule gehen oder nicht. Meine Mutter hat jedenfalls viel auswärts gearbeitet, deshalb sind wir dann später nach Weidenbach gezogen. Und trotzdem: Das ist eine so schöne Erinnerung, wir reden noch oft von dieser schweren und doch auch schönen Zeit. Jetzt kommen auch wieder so viele Erinnerungen auf, weil wir wegen der Entschädigungsrente die Papiere aus Russland über das Rote Kreuz bekommen haben, da kommen natürlich Erinnerungen hoch.

Wir kennen uns ja schon eine ganze Weile, und ich kenne mittlerweile viele der Geschichten über dich und über Siebenbürgen – welche kenne ich noch nicht?

In Rumänien habe ich sehr viel Sport getrieben. Ich habe Kunstturnen gemacht, am Schwebebalken geturnt, auch Bodenturnen, Leichtathletik, Hochsprung, Weitsprung – ich war sehr aktiv. Sogar Handball habe ich gespielt. In Deutschland habe ich dann bis zu meinem achtzigsten Geburtstag Sport in einer Sportgruppe in Neuhausen gemacht. Was du vielleicht auch nicht weißt, ist, dass ich mit 18 Jahren das Klavierspielen angefangen habe. Leider nur ein Jahr, meine Klavierlehrerin ist dann nach Deutschland ausgewandert. Und hier habe ich mir dann so manches Liedchen selber beigebracht, ich habe ein kleines Klavierchen bei mir im Raum stehen.

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, was wäre anders?

Da ich auf sehr viele schöne Erinnerungen zurückblicken darf, kann ich mir nicht vorstellen, dass es anders wäre – ich würde nicht vieles anders machen. Ich würde es genauso machen, wie ich es gemacht habe. Ich lebe schon fast fünfzig Jahre hier, ich bin angekommen, ich bin zufrieden. Jünger würde ich gern nochmal sein.

Zurück in die Heimat – zumindest gedanklich. Was vermisst du am meisten?

Meine Eltern, die sehr früh aus dem Leben geschieden sind und nicht erleben durften, wie ihre Enkelkinder großgewachsen sind, die sie so sehr geliebt und vermisst haben, nachdem wir nach Deutschland gekommen sind.

Zurück in die Zukunft – was gibst du den nachfolgenden Generationen mit auf den Weg? Wie kann es uns gelingen unsere Traditionen noch viele Jahre zu bewahren?

Indem man der Sprache, der Sitte und seinem Volke, seinem Brauchtum und seinen Traditionen treu bleibt. Und zwar alle gemeinsam, jung und alt zusammen. Und man sollte immer wieder die Leute motivieren und einladen der Gemeinschaft/dem Verein beizutreten. Auch sollte man die Aufgaben so verteilen, dass ein jeder sich einbringen kann, dass man auch sieht, dass man noch gebraucht wird. Man kann auch kleine Aufgaben übernehmen. Die Gemeinschaft ist ganz wichtig, die sollte man pflegen, der Zusammenhalt sollte auch weiterhin eine große Bedeutung haben.

Und nun zurück in die Gegenwart: Was hast du als nächstes im Auge? Was hast du geplant? Was wünschst du dir?

Trotz meines hohen Alters von bald 83 Jahren wünsche ich mir noch lange gesund zu bleiben, vor allem für meine große Familie. Aber auch in der Landsmannschaft würde ich gerne weiter mitwirken dürfen, Aufgaben übernehmen – auch wenn es nur Kleinigkeiten sind, die ich erfüllen kann. Vor allem wünsche ich mir, dass ich noch lange an unserer Gemeinschaft teilnehmen kann, da mir diese sehr viel bedeutet.

Vielen Dank, liebe Renate – schön, dass ich auf deiner kleinen gedanklichen Zeitreise mit dabei sein durfte. Ich bin sehr dankbar, dass ich heute einmal mehr einen so tollen Einblick in das Leben in Siebenbürgen bekommen habe. Wieder konnte ich deine Leidenschaft für Siebenbürgen spüren. Ich wünsche dir und deinem Mann von Herzen alles Gute, bleibt noch ganz lange gesund und erzählt weiter von eurem Brauchtum, euren Traditionen – ich freue mich schon auf die nächste Geschichte von dir.

Das Interview führte Yasmin Mai-Schoger aus Reutlingen am 13. April in Metzingen.

Schlagwörter: Verbandsleben, Reutlingen, Metzingen, Tartlau

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