9. Oktober 2011

Die Kunstmärchen der Carmen Sylva analysiert

Silvia Irina Zimmermann: „Der Zauber des fernen Königreichs. Carmen Sylvas ,Pelesch-Märchen‘“. ibidem-Verlag, Stuttgart 2011, ISBN-13-978-3-8382-0195-5, Preis: 24,90 Euro (Deutschland)/25,60 €(Österreich).
Beginnen wir unsere Rezension mit der Wiedergabe eines Märchens von Carmen Sylva:

„Der Teufel hatte eine Waage in der Hand oben auf dem Buceci und rief in die Welt hinaus: ,Schaut her, meine Wage! Die ist so groß, dass sie Berge und Täler bedeckt. und ins Tal hinaus halte ich sie und werfe in die eine Schale alle Schlechtigkeiten der Welt‘ Bumm! ging die Schale auf der andern Seite der Prahova nieder und bildete einen gewaltigen Berg. ,Wer kann die andere Schale so belasten, dass meine Wage gleich steht, aber wohlverstanden, nur mit Gutem, mit dem, was ihr gut nennt.‘

Die Versuche der Engel, die Schale durch Schönheit, Liebe, Freude, Güte, Ehre und Kraft sowie durch Ruhm und Wissen der Welt zu beschweren und die Waage wieder ins Gleichgewicht zu bringen, scheiterten. Nichts rührte die Waage und der Teufel lachte, dass die Berge zitterten. Da nahte ein Engel, der bisher in tiefen Gedanken abseits gestanden hatte. ,Und ich‘ sprach er, ,ich werfe die Treue hinein und zwar die Hundetreue.‘ – In dem Augenblick begann das Zünglein an der Waage, sich zu rühren, durch den ganzen großen Berg ging ein Zittern und langsam hob sich die Schale, darin er lag. Der überraschte Teufel forderte daraufhin Beweise für die schwerwiegende Tugend.“

Die Dichterin Carmen Sylva liefert in drei exemplarischen Erzählungen Beispiele für Hundetreue. Eine davon handelt von der Treue eines Schäferhundes zu seinem verunglückten Besitzer, seiner Verweigerung weiterer Nahrungsaufnahme und seinem Tod auf dem Grab seines Herrn.

Die Wiedergabe dieses Märchens möge eine Vorstellung darüber geben, was die Kunstmärchen der rumänischen dichtenden Königin Carmen Sylva bieten. Ihr gesamtes literarisches Werk hat Silvia Irina Zimmermann in dem Buch „Die dichtende Königin Elisabeth. Prinzessin zu Wied, Königin von Rumänien“ untersucht. Wir haben es in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. April 2011 besprochen und darauf hingewiesen, dass ihre Kunstmärchen den literarisch bedeutendsten Teil ihres Werkes darstellen.

Im vorliegenden Band werden nicht, wie in obiger Rezension angekündigt, die Märchen von Carmen Sylva veröffentlicht, sondern die Verfasserin Zimmermann widmet sich der Analyse der Märchen, die in den Sammlungen „Pelesch-Märchen“ (1883, 1886) und „Pelesch im Dienst“ (1888) erschienen sind. Zimmermann beschreibt einleitend die Welt der Karpaten und gibt einen Überblick über Person und Werk von Carmen Sylva. Dann wird der ­Inhalt der Märchen untersucht, auf deren Inspirationsquellen hingewiesen, fortfahrend das Wunderbare, die Wirklichkeit, Mythos und Geschichte der Märchen aufgezeigt, sowie auf verwendete Allegorien und Symbole aufmerksam gemacht. Eine Bibliographie mit Primär- und Sekundärliteratur zum Werk der Dichterin sowie ein Verzeichnis ihrer publizierten Werke beschließen den Band.

Wer das Prahova-Tal und das Bucegi-Gebirge als Ausflügler oder Wanderer durchstreift hat, der stößt in den Märchen auf vertraute Namen wie „Pelesch“, „Vârful cu Dor“ (Sehnsuchtsgipfel), „Furnica“ (Ameise), „Piatra Arsă“ („Verbrannter Stein) oder „Valea Cerbului“ (Hirschtal), die in personifizierter und symbolhafter Gestalt auftreten.

Wie Carmen Sylva selbst bezeugt, entstanden ihre Märchen angeregt durch die malerische Umgebung des Pelesch-Tales und sie erhielten auch den Namen des Wildbaches, nach dem auch das später erbaute Schloss in Sinaia, die Sommerresidenz des Königspaares, benannt wurde. Mit dem Namen des bis dahin unbedeutenden Waldbaches wurden, so Zimmermann, historische und sagenhafte Symbole verbunden, vergleichbar mit dem des Rheins aus der Heimat der Königin.

Wie Zimmermann aufzeigt, ist der Märchenbegriff bei Carmen Sylva weit gefasst. Manche der Märchen sind eher außerordentliche Geschichten, bei anderen ist die Beziehung zur Sage und zum Mythos größer als zum Märchen. Man kann daher von einer Vermischung der Gattungen sprechen. Dadurch unterscheiden sie sich von den Volksmärchen. Sie widerspiegeln das rumänische Milieu sowohl in landschaftlicher Hinsicht als auch die handelnden Personen betreffend. Die Märchen sind oft so realitätsbezogen, dass man meint, wahre Geschehnisse würden erzählt. In der später entstandenen Sammlung „Pelesch im Dienst“ werden auch autobiographische Bezüge aufgenommen, außerdem zeitgeschichtliche Ereignisse wie der Bau des Pelesch-Schlosses, die Regierungszeit Karl I. und der rumänische Unabhängigkeitskrieg von 1877/78. Sie lassen eine werbende Absicht der Dichterin für das Königshaus, die Errungenschaften und positiven Veränderungen während der Regierungszeit Karl I. erkennen.

Zimmermann stellt fest: „Carmen Sylvas Märchen sind eigene literarische Produktionen und keine Nacherzählung rumänischer Volksmärchen und Sagen, sie sind kleine Kunstwerke, da sie auf originelle und anschauliche Weise eigene Phantasie mit übernommenen Motiven der Volksliteratur verbindet, mit der geographischen Landschaft in Bezug setzt und den Eindruck einer mündlich überlieferten Geschichte vermittelt.“ Zudem kann man eine gelungene literarische Symbiose deutscher und rumänischer Motive der Volks- und Kunstmärchen feststellen.

In einem der Märchen glaubt Zimmermann Siebenbürger Sachsen identifizieren zu können, die als Volk von „heller Haut, blauäugig und hochgewachsen, mit langen, gelben Haaren“ beschrieben werden und gemeinsam mit den Rumänen einen Feldzug gegen die als „Drachen“ bezeichneten Tataren unternehmen, die als „grausame Heuschrecken“ ihr Land bedrohen und als Inbegriff für Hässlichkeit, Grausamkeit und Bosheit dargestellt werden. Eine Neuauflage dieser Märchen wäre wünschenswert.

Michael Kroner

Schlagwörter: Rezension, Märchen, Rumänien

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Neueste Kommentare

  • 09.10.2011, 11:09 Uhr von bankban: "Kunstmärchen der Carmen Sylva". Komischer Stil. Besser: "von Carmen Sylva". [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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