16. März 2020
Eine Angelsächsin auf dem rumänischen Thron: Königin Maria im kulturellen Gedächtnis der Siebenbürger Sachsen
Sie war die „schönste Königin Europas“ und eine Legende schon zu Lebzeiten: Maria von Rumänien, geboren als Prinzessin Marie Alexandra Victoria von Edinburgh, Enkelin von Queen Victoria und Zar Alexander II. Neue Veröffentlichungen, darunter ihre umfangreichen Tagebücher, und Filme lassen selbst Sisi und Lady Di neben dieser außergewöhnlichen Frau verblassen. Trotz Marias antideutschen Haltung, mit der sie ihren Mann 1916 zum Kriegseintritt auf Seiten der Entente drängte, erfreute sich das rumänische Königspaar selbst bei den Siebenbürger Sachsen hoher Akzeptanz. Die „unheimliche Aktualität des Ersten Weltkriegs“ (Der Spiegel) hält indes an: Im Juni jährt sich Ungarns Trianon-Trauma zum 100. Mal.
Entmythologisierer Lucian Boia hat mal wieder recht: „Die Geschichtsmythen der Rumänen ignorieren die Frau weitgehend“. Das war zwar auf alle weiblichen Protagonisten in der rumänischen Geschichte bezogen, aber im Falle von Königin Maria war dieser Befund besonders bitter. Von der Damnatio memoriae der Kommunisten ganz zu schweigen. Insofern ist das multimediale Comeback der angelsächsischen Königin eine längst fällige Wiedergutmachung.
Rückblick München, 18. November 2019. Gleichsam last minute gelingt es Regisseurin und Filmemacherin Brigitte Drodtloff beim Rumänischen Filmfest auch den Dokumentarfilm „Maria, Inima României“ („Romania‘s English Queen“) unterzubringen (siehe Trailer). Als prominente Gäste sind der Koproduzent des Films Dan Drăghicescu und principesa Alina, die Frau von Prinz Nicolae al României/Nicholas de Roumanie, einem Enkel von König Michael, anwesend (Alina geb. Binder, gebürtig aus Alzen, ist derzeit Studentin in München; noch 2015 wurde dem Thronfolger von seinem Großvater der Titel entzogen und er somit von der Thronfolge ausgeschlossen, Anm. K.K.). Das einfühlsame Filmporträt dauert 117 Minuten und wirkt frappierend aktuell. Zum Motto der Doku wurde passenderweise ein Aperçu des seinerzeitigen französischen Botschafters in Bukarest gewählt: „Es gibt nur einen Mann in Rumänien, und das ist die Königin.“ Es erinnert an das Wort von Preußenkönig Friedrich II. über die ähnlich resolute Maria Theresia, die gern auch mal den Damen- mit dem Herrensattel tauschte: „Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau.“ Und in der Tat sieht man die Königin zu Pferde im Pulverdampf des Zweiten Balkankrieges sowie bald auch des Ersten Weltkrieges und als Krankenpflegerin in typhusverseuchten Lazaretten bei den Verwundeten („Mama răniților“). Auf Schutzhandschuhe verzichtet sie, um den Sterbenden näher zu sein. Kurz darauf, 1919, vertritt sie selbstbewusst die nationalen Interessen auf der Pariser Friedenskonferenz, wo sie die alliierten Politiker reihenweise umdreht und für ihre großrumänischen Visionen gewann – eine beispiellose Charmeoffensive, an deren Ende der Weltkriegsverlierer Rumänien große Gebiete von Russland, Ungarn und Bulgarien zugesprochen bekam.
Später dann ihr triumphaler Amerikabesuch von 1926 mit ihren Kindern Prinzessin Ileana und Prinz Nicolae, wo ihr die Herzen wie einem Popstar zuflogen und sie mit prächtigem Kopfschmuck zur Ehrenindianerin ernannt wird. Hier wohnte sie auch der Einweihung von Sam Hills Museum Maryhill, Washington, bei, das heute eine Sammlung hochkarätiger Exponate von ihr und ihrer Tochter Ileana besitzt, darunter ihren Thron (vgl. https://www.bettysvacation.com/maryhill-museum-washington). Dass man die Stimme der Königin bei einem gefilmten US-Interview in Cotroceni von 1929 digital so bereinigen konnte, dass sie wie eine moderne Tonaufnahme klingt, ist schon ein kleines Wunder. Die Filmaufnahmen bestehen meist aus nachkoloriertem Archivmaterial, so dass die Menschen darauf fast wie Zeitgenossen scheinen. Für Unverständnis sorgte, dass sich ausgerechnet das Rumänische Filmarchiv ANF gegen die heute übliche Einfärbung seiner Bilder sperrte. Auch langjährige Tabuthemen werden angeschnitten, etwa das 1916 ins damals noch zaristische Russland (Zar Nikolaus II. war ein Vetter Marias) gebrachte Gold der Rumänischen Nationalbank, das bis heute nur zu einem kleinen Teil restituiert wurde, darunter der bekannte Schatz von Pietroasa - wofür sich Rumänien glücklich schätzen kann, Deutschland wartet noch heute auf die Rückgabe von Schliemanns „Schatz des Priamos“. Hierfür habe man trickreich sogar zwei Kremlhistoriker vor die Kamera bekommen, erzählt Drăghicescu schmunzelnd. Die Zurückhaltung der Russen ist verständlich: Die noch ausstehenden 93,4 t Gold entsprechen satten 3,2 Milliarden Euro. Um dann bewegt hinzuzufügen, dass das Team auch das letzte Filminterview mit dem Historiker und Zeitzeugen Neagu Djuvara (1916-1918) gemacht habe, den er sehr verehrt habe.
Und wer hat schon von Marias leidenschaftlicher Affäre mit dem kanadischen Oberst und Abenteurer Joe Boyle (+1923) gehört, der mit dem britischen Geheimdienstoffizier George A. Hill die rumänischen Kronjuwelen 1917 aus dem Kreml schmuggelte und es mit weiteren Husarenstückchen und prorumänischen (Trans)Aktionen sogar zum Ehrentitel „Retter Rumäniens“ brachte? Das hat schon, keine Frage, Politthriller-Qualität. Die Jahre der Quasi-Verbannung auf der Törzburg, in Balcic und zuletzt Curtea de Argeș – Carol II. hatte seiner Mutter ab 1930 jegliche politische Betätigung verboten, ihren langjährigen „amant fidel“ Barbu Știrbey 1931 ins Exil in die Schweiz getrieben (Brătianu war bereits 1927 gestorben) und es durch Intrigen 1936 auch fast geschafft, ihren treuen Hofmarschall „Zwiedy“ (siehe unten) zur Demission zu veranlassen – eine menschliche Tragödie. Im Film kommen diese Aspekte leider etwas zu kurz, lange wirken hingegen die Filmaufnahmen vom trauerbeflorten Königlichen Zug nach, mit dem die Verstorbene von Sinaia nach Bukarest gebracht wurde, verabschiedet von tausenden trauernder Menschen entlang der Strecke. Mit Königin Maria war wahrhaftig die Mutter der großrumänischen Nation gestorben.
Leider bestehen derzeit kaum Chancen, den Film zu sehen, wenn man nicht in an einem Ort wohnt, wo die Filmcrew gerade Station macht (Jassy 27. März, Deva 13. April). Die Hermannstädter beispielsweise bekamen ihn erst am 23. Januar 2020 zu sehen – erstaunlich spät, wenn man bedenkt, dass die eigentliche Filmpremiere bereits am 30. November 2018 im Bukarester Athenäum stattfand. Der Dokumentarfilm ist im Übrigen nicht zu verwechseln mit Brigitte Drodtloffs Historienfilm „Maria, Regina României“, dessen Premiere am 6. November 2019 im Bukarester Athénée Palace stattfand (siehe Trailer auf YouTube)und der es innerhalb kürzester Zeit zum meistbesuchten rumänischen Film seit 30 Jahren brachte (SbZ vom 15.12.2019, S. 11). Die Handlung beschränkt sich auf wenige Monate im Leben von Königin Maria, als diese die rumänische Delegation unter Premier Brătianu bei der festgefahrenen Pariser Friedenskonferenz von 1919 mit unkonventionellen Methoden und auch mal mit den ‚Waffen einer Frau‘ zum Erfolg führte, siehe oben. Die Idee zum Spielfilm stammt von Drodtloff, die auch weitgehend das Drehbuch geschrieben und anfangs auch Regie geführt hatte, ehe sie von Alexis Sweet Cahill abgelöst wurde. Und Roxana Lupu (Titelrolle) beim Casting in London entdeckt zu haben, macht sie auch ein bisschen stolz. Entsprechend enttäuscht war sie, dass ihr Anteil an diesem Film in der ADZ vom 22. November 2019 (erschienen auch in der ADZ Online vom 25. November 2019) nicht angemessen gewürdigt wurde.
Seit den 1970er Jahren wurde das Gebäude zunehmend für den Dracula-Tourismus missbraucht, sehr zum Leidwesen von Tochter Ileana, die seit den 1950er Jahren in den USA lebte, zuletzt als orthodoxe Nonne Maica Alexandra. 1990, wenige Monate vor ihrem Tod, besuchte sie nochmals das ihr von der Mutter testamentarisch vererbte Schloss Törzburg (1944-48 war Ileana mit ihrer Familie die letzte Burgbewohnerin und rief hier auch durch Spenden das Spital „Inima Reginei“ ins Leben. Bereits 1940 hatte sie dafür gesorgt, dass die vergoldete, mit Edelsteinen besetzte Kassette mit der silbernen Herzurne der Königin von Hofmarschall Zwiedineck von Balcic auf die Törzburg überführt wurde). 2006 wurde die Burg restituiert und die eigentliche Herzurne am 3. November 2015 ins Schloss Pelischor verbracht. Das kostbare Kästchen verblieb im Nationalmuseum für Geschichte in Bukarest. Bekanntlich wurde Pelischor, die kleinere Schwester von Schloss Pelesch bei Sinaia („Klein-Pelesch“), 1899-1903 von König Karl I. als Sommerresidenz für das junge Kronprinzenpaar errichtet (Entwurf: Karel Liman). Dabei konnte sich Maria zumindest bei der Gestaltung der Innenräume im Stil moderner englischer Adelssitze gegen „Onkel Karl“ durchsetzen. Die Bauleitung von Pelischor und wohl auch bei Umbauten von Schloss Pelesch lag der Familienüberlieferung nach beim gebürtigen Hermannstädter Rudolf Ohnweiler (1876-1929), der nach einem Studium der Architektur in Wien bis 1918 in Bukarest und später in Neumarkt wirkte (Mitteilung Christian Reinerth vom 9.10.2008). Ohnweiler war mit Julie geb. Sigerus (1882-1952) verheiratet. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie zu ihrem fast erblindeten Onkel Emil Sigerus, wo sie dann auch dessen Haushalt führte.
Die reich begabte, vielseitig interessierte Königin führte seit ihrer Krönung 1914 bis zu ihrem Tod ein höchst anregendes Tagebuch in ihrer Muttersprache, schrieb Märchen für ihre Kinder und malte feinsinnige Blumenaquarelle. Eine ihrer phantastischen Erzählungen wurde 1920 von ihren Freundinnen, der amerikanischen Avantgarde-Tänzerin Loie Fuller und deren Lebensgefährtin Gab Sorère, auch verfilmt (Le lys de la vie/Die Lilie des Lebens, vgl. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, künftig SDT vom 30.3.1924). So verwundert es auch nicht, dass die Königin die Hermannstädter Graphologin und Okkultistin Selma Sigerus-Göllner (1881-1940) gleich mehrmals zu sich einlud. Ihre Schriftanalysen beeindruckten Maria so sehr, dass sie ihr dies auch in einem Anerkennungsschreiben bestätigte (SDT vom 4.4.1924, S. 6, siehe Foto). Im Sommer 1924 empfing Königin Maria die Graphologin ein drittes Mal, diesmal auf Schloss Pelischor (SDT vom 10.8.1924). Selma Sigerus-Göllner, über ihren Mann Dr. Hans Sigerus mit Emil Sigerus verwandt, hatte einen Kurs für Gerichtsgraphologie bei Professor Dr. Gottlieb in Wien absolviert und firmierte in den Jahren 1933-36 auch als Herausgeberin der geisteswissenschaftlichen Zeitschrift „Der Aufstieg (…), Organ des Institutes für okkulte Wissenschaft und Neupsychologie“. Seit den 1930er Jahren betrieb sie in Hermannstadt auch die erste Schule für Augengymnastik Rumäniens. Ironischerweise starb die umtriebige Okkultistin, die auch als Telepathin und Medium wirkte, an einer Pilzvergiftung in Kronstadt, während die anderen Familienmitglieder mit dem Leben davonkamen (25. August 1940). Angeregt wurde sie einst wohl von Emils Vetter Robert Sigerus (1854-1926), dem Pionier der Parapsychologie in Siebenbürgen.
Eine bedeutende Rolle im Leben Marias spielte auch die Fotografie. Schon als Jugendliche besaß sie einen Kodak-Apparat, ein Geschenk ihres fotokundigen Vaters Prinz Alfred, einem Sohn der bekanntermaßen fotografiebegeisterten Königin Victoria. Mit seinen Töchtern stellte Alfred auch gern Lebende Bilder (Tableaux vivants), ein damals beim Bildungsbürgertum beliebter Zeitvertreib, der sicher mit zur Schulung von Marias ästhetischem Geschmack beitrug. Fotos davon mit lustigen Kommentaren schickte die frisch Verlobte 1892 auch ihrem „lieben, teuren Nando“, der seit 1889 in Rumänien lebte (Deutsches Jahrbuch für Rumänien 2018, S. 215).
19 Jahre später beehrte Kronprinzessin Maria erstmals eine Amateurfotografenausstellung mit eigenen Arbeiten. Veranstaltet hatte sie der in Kronstadt geborene Fotograf und Unternehmer Heinrich Emil Schwarze (1866-?) in seinem Bukarester Kunstsalon Arta, wo neben Prinzessin Știrbey und Grigorescu-Freund Alexandru Baron Bellu auch die Kronstädter Julius E. Teutsch und Siegfried Gusbeth Aufnahmen zeigten, wie dem Bukarester Tagblatt vom 8.2.1911 zu entnehmen ist. Maria war mit „wundervollen Portraitstudien“ ihrer Tochter Elisabeth und von sich selbst vertreten, die der Rezensent, der Kronstädter Kunsterzieher Ernst Kühlbrandt (im Text: E. K.) in höchsten Tönen lobte: „… in der zarten Nuancierung des Lichtes von so feiner, herber, ruhiger Schönheit, wie sie nur Künstler empfinden können.“ Auch auf Reisen war die Kamera stets dabei, zumal die Königin es liebte, in ihre Tagebücher Fotos einzukleben – sie habe Bild und Text als einander ergänzend angesehen, so Königshaus-Expertin Diana Mandache (Cotroceniul regal, 2015, S.170).
Doch waren es letztlich die Hoffotografen, die für die Selbstdarstellung des Königshauses und deren zahlreicher Mitglieder sorgte. An den oft hinzukopierten Bildnummern lässt sich ablesen, wie umfangreich solche Kartenserien waren, aber auch, wie groß das Interesse an solchen Fotos gewesen sein muss. Nach dem Tod von Carmen Sylvas bevorzugtem Hoffotografen Franz Mandy (1910) führte dessen Mitarbeiter Etienne Lonyai das Atelier weiter, das auch das neue Königspaar besuchte. Bald darauf avancierte das Fotoatelier „Julietta“ mit seinem jüdischen Inhaber Adolf Klingsberg zum führenden königlich-rumänischen Hofatelier (auch v. Mackensens Besuch in Schloss Pelesch im Sommer 1917 wurde von „Julietta“ dokumentiert). Langjährige Operateurin des Ateliers war die Heltauerin Juliane König (1891-1975), eine Tante des Pädagogen Walter König. Sie stand für „Julietta“ bis Ende der 1940er an der Kamera und wurde öfter auch nach Balcic gerufen.
Der Hermannstädter Fotograf Emil Fischer (1873-1965) nahm bereits am 13. August 1919 offizielle Fotos des rumänischen Königspaares in Schloss Cotroceni auf, auch wenn im Tagebuch Marias nur von einem namenlosen „siebenbürgischen Fotografen“ die Rede ist. Am 11.2.1920 wird er wieder ins Könighaus gerufen. Im Tagebuch ist er abermals nur als „ein begeisterter Siebenbürger“ zu finden. Dass die Königin auch mit Emil Fischers Aufnahmen vom vergangenen Jahr zufrieden war, erfährt man nur indirekt (SDT vom 25.2.1920). Im Dezember 1920 wurde ihm der Titel eines kön.-rum. Hoffotografen „taxfrei“ verliehen (SDT vom 25.12.1920).
Einen weitaus höheren Glamourfaktor wiesen die Porträtaufnahmen der Hermannstädter Fotografinnen Ida Guggenberger (1881-1973) und Jolan Mairovits (1891-1972) auf. Am 18. Juli 1921 durften sie Maria erstmals in rumänischer Nationaltracht im Schlosspark von Sinaia aufnehmen, acht Tage später seien die Königin „in großer Toilette“, der König in Admiralsuniform und auch das Kronprinzenpaar Carol und Elena aufgenommen worden (SDT vom 30.7.1921). „Guggenberger & Mairovits“ avancierten zu den von der Königin bevorzugten Fotografinnen und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den Hoftitel bekamen (1923). 1932 folgten sie dem Ruf der Königin nach Bukarest und eröffneten ein modernes Fotostudio in Palastnähe. Alice v. Guggenberger (1911-2000), die Tochter von Ida und selber Fotografin, erinnert sich:
„Hier wuchs das Renommee meiner Mutter und das von Frau Mairovits, so dass sie international bekannt wurden. Ihre Vitrinen waren für die gebildeten Kreise Bukarests eine Sehenswürdigkeit dank der künstlerischen Aufnahmen auch bekannter Persönlichkeiten. Die schöne Königin Maria machte natürlich fleißigen Gebrauch von dieser Fotokunst, da sie selbst eine Künstlerin war. Die Aufnahmen im Schloss Bran mit der Königin in langen weißen Seidengewändern mit ihren 14 russischen Windhunden waren nie dagewesene Fotogemälde. (Leider haben die Kommunisten an einem Tag alle diese Negative zerstampft – Die Briefschreiberin nennt hier kein Datum, was insofern interessant gewesen wäre, weil auch Petru Groza und Ana Pauker zu Guggenbergers Kundschaft gehörten, Anm. K.K.). Ich erinnere mich, dass die Königin eine Propagandareise nach Amerika [Maria besuchte 1926 und nochmals 1927 die USA, Anm. KK] machte und 500.000 Originalfotografien mitgenommen hat, die meine Mutter vorher machen musste, wobei viele Damen im Atelier mithalfen […] Meine Mutter wurde sehr viel in das Schloss Pelesch gerufen und es entstand eine Freundschaft zwischen der Königin und meiner Mutter. Nach dem Tod der Königin wurde sie die Fotografin ihrer Kinder […], darunter auch von Elisabeth, spätere Königin von Griechenland. Bei ihr verbrachte sie mehrere Wochen im Hotel Ritz in Paris und war ihre Duzfreundin.“ (Brief vom 26.10.1990)
Ein gnädigeres Schicksal wurde den Fotoplatten des Atelierfotografen Arthur Bach (1894-1979) zuteil. Er zählte offensichtlich nicht zu den Fotografen, die die Krönungsfeierlichkeiten vom 15. Oktober 1922 in Karlsburg/Alba Iulia dokumentierten, machte danach aber Aufnahmen der jährlichen Besuche der königlichen Familie in der Krönungskathedrale. Enttäuscht war Tochter Hedda Bach-Szervátiusz (1933-2018?), als König Michael kein Interesse an einem Ankauf zeigte („Wir haben genug Bilder davon“). So wanderten die Platten wieder nach Karlsburg zurück, wo sie sich nun im Muzeul Național al Unirii befinden (Mitteilung Dr. V. Wollmann vom 4.2.2020). In dieser Aufzählung darf auch Marie Gebauer (1885-1981) nicht fehlen, die auch öfter von der Königin zu Aufnahmen nach Törzburg und Balcic gerufen wurde, jedoch auf den Hoffotografentitel verzichtete. Gebauer betrieb in Kronstadt ein von ihrem Mitinhaber Heinrich Lang übernommenes Atelier und signierte ihre Aufnahmen meist nur „Foto Helios“. 1925 erhielt sie auf der Landesausstellung der Fotografen Großrumäniens eine Silbermedaille.
Last, not least muss hier auch eine Doku über den Königlichen Zug, mit dem Kronprinzessin Margareta von Rumänien ihre Goodwillreisen für eine Rückkehr zur Monarchie unternimmt, erwähnt werden („The Royal Train“, 2019 – Trailer unter https://vimeo.com/388222585). Mit feinem Gespür für balkanische Denkungsart begleitet der österreichische Dokumentarfilmer Johannes Holzhauser die älteste Tochter von König Michael und ihren Prinzgemahl mit deren höfischer Entourage im Salonwagen, mit dem bereits ihr Vater das Land bereiste („Die Leute mögen eben Züge“) und von dem die königliche Familie im Januar 1948 auch ins Schweizer Exil gebracht worden war. Natürlich, um sich als die wahre Hüterin der Krone zu empfehlen. Am Dieseltriebwagen mit seinen königsblauen Waggons – sie wurden 1926-28 in Mailand eigens für Maria und Ferdinand gefertigt – dürfte das königliche Projekt jedenfalls nicht scheitern. 93 tragikomisch-unterhaltsame, manchmal auch sehr anrührende Minuten zwischen einem widerspenstigen Roten Teppich in Provinzbahnhöfen ("Hat jemand Klebeband?“"), salutierfreudigen Soldaten in chromblitzenden Phantasierüstungen, Gesprächen eines jungen Sammlers von royalen Memorabilien mit den letzten noch lebenden Königstreuen und dem Enthüllen einer König-Ferdinand-Büste im moldawischen Hinterland, so, als hätte Caragiale persönlich Regie geführt („Wo bleibt der Pope mit dem Weihwasser?“). Symbolträchtig die Schlusseinstellung mit dem Sarg von König Michael auf seiner letzten Reise zur Klosterkirche von Curtea de Argeș, untermalt vom langgezogenen Hupen des guten alten Hofzuges und dem Spiel der Lichtpunkte vorbeiziehender Ortschaften.
Rückblick München, 18. November 2019. Gleichsam last minute gelingt es Regisseurin und Filmemacherin Brigitte Drodtloff beim Rumänischen Filmfest auch den Dokumentarfilm „Maria, Inima României“ („Romania‘s English Queen“) unterzubringen (siehe Trailer). Als prominente Gäste sind der Koproduzent des Films Dan Drăghicescu und principesa Alina, die Frau von Prinz Nicolae al României/Nicholas de Roumanie, einem Enkel von König Michael, anwesend (Alina geb. Binder, gebürtig aus Alzen, ist derzeit Studentin in München; noch 2015 wurde dem Thronfolger von seinem Großvater der Titel entzogen und er somit von der Thronfolge ausgeschlossen, Anm. K.K.). Das einfühlsame Filmporträt dauert 117 Minuten und wirkt frappierend aktuell. Zum Motto der Doku wurde passenderweise ein Aperçu des seinerzeitigen französischen Botschafters in Bukarest gewählt: „Es gibt nur einen Mann in Rumänien, und das ist die Königin.“ Es erinnert an das Wort von Preußenkönig Friedrich II. über die ähnlich resolute Maria Theresia, die gern auch mal den Damen- mit dem Herrensattel tauschte: „Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau.“ Und in der Tat sieht man die Königin zu Pferde im Pulverdampf des Zweiten Balkankrieges sowie bald auch des Ersten Weltkrieges und als Krankenpflegerin in typhusverseuchten Lazaretten bei den Verwundeten („Mama răniților“). Auf Schutzhandschuhe verzichtet sie, um den Sterbenden näher zu sein. Kurz darauf, 1919, vertritt sie selbstbewusst die nationalen Interessen auf der Pariser Friedenskonferenz, wo sie die alliierten Politiker reihenweise umdreht und für ihre großrumänischen Visionen gewann – eine beispiellose Charmeoffensive, an deren Ende der Weltkriegsverlierer Rumänien große Gebiete von Russland, Ungarn und Bulgarien zugesprochen bekam.
Später dann ihr triumphaler Amerikabesuch von 1926 mit ihren Kindern Prinzessin Ileana und Prinz Nicolae, wo ihr die Herzen wie einem Popstar zuflogen und sie mit prächtigem Kopfschmuck zur Ehrenindianerin ernannt wird. Hier wohnte sie auch der Einweihung von Sam Hills Museum Maryhill, Washington, bei, das heute eine Sammlung hochkarätiger Exponate von ihr und ihrer Tochter Ileana besitzt, darunter ihren Thron (vgl. https://www.bettysvacation.com/maryhill-museum-washington). Dass man die Stimme der Königin bei einem gefilmten US-Interview in Cotroceni von 1929 digital so bereinigen konnte, dass sie wie eine moderne Tonaufnahme klingt, ist schon ein kleines Wunder. Die Filmaufnahmen bestehen meist aus nachkoloriertem Archivmaterial, so dass die Menschen darauf fast wie Zeitgenossen scheinen. Für Unverständnis sorgte, dass sich ausgerechnet das Rumänische Filmarchiv ANF gegen die heute übliche Einfärbung seiner Bilder sperrte. Auch langjährige Tabuthemen werden angeschnitten, etwa das 1916 ins damals noch zaristische Russland (Zar Nikolaus II. war ein Vetter Marias) gebrachte Gold der Rumänischen Nationalbank, das bis heute nur zu einem kleinen Teil restituiert wurde, darunter der bekannte Schatz von Pietroasa - wofür sich Rumänien glücklich schätzen kann, Deutschland wartet noch heute auf die Rückgabe von Schliemanns „Schatz des Priamos“. Hierfür habe man trickreich sogar zwei Kremlhistoriker vor die Kamera bekommen, erzählt Drăghicescu schmunzelnd. Die Zurückhaltung der Russen ist verständlich: Die noch ausstehenden 93,4 t Gold entsprechen satten 3,2 Milliarden Euro. Um dann bewegt hinzuzufügen, dass das Team auch das letzte Filminterview mit dem Historiker und Zeitzeugen Neagu Djuvara (1916-1918) gemacht habe, den er sehr verehrt habe.
Und wer hat schon von Marias leidenschaftlicher Affäre mit dem kanadischen Oberst und Abenteurer Joe Boyle (+1923) gehört, der mit dem britischen Geheimdienstoffizier George A. Hill die rumänischen Kronjuwelen 1917 aus dem Kreml schmuggelte und es mit weiteren Husarenstückchen und prorumänischen (Trans)Aktionen sogar zum Ehrentitel „Retter Rumäniens“ brachte? Das hat schon, keine Frage, Politthriller-Qualität. Die Jahre der Quasi-Verbannung auf der Törzburg, in Balcic und zuletzt Curtea de Argeș – Carol II. hatte seiner Mutter ab 1930 jegliche politische Betätigung verboten, ihren langjährigen „amant fidel“ Barbu Știrbey 1931 ins Exil in die Schweiz getrieben (Brătianu war bereits 1927 gestorben) und es durch Intrigen 1936 auch fast geschafft, ihren treuen Hofmarschall „Zwiedy“ (siehe unten) zur Demission zu veranlassen – eine menschliche Tragödie. Im Film kommen diese Aspekte leider etwas zu kurz, lange wirken hingegen die Filmaufnahmen vom trauerbeflorten Königlichen Zug nach, mit dem die Verstorbene von Sinaia nach Bukarest gebracht wurde, verabschiedet von tausenden trauernder Menschen entlang der Strecke. Mit Königin Maria war wahrhaftig die Mutter der großrumänischen Nation gestorben.
Leider bestehen derzeit kaum Chancen, den Film zu sehen, wenn man nicht in an einem Ort wohnt, wo die Filmcrew gerade Station macht (Jassy 27. März, Deva 13. April). Die Hermannstädter beispielsweise bekamen ihn erst am 23. Januar 2020 zu sehen – erstaunlich spät, wenn man bedenkt, dass die eigentliche Filmpremiere bereits am 30. November 2018 im Bukarester Athenäum stattfand. Der Dokumentarfilm ist im Übrigen nicht zu verwechseln mit Brigitte Drodtloffs Historienfilm „Maria, Regina României“, dessen Premiere am 6. November 2019 im Bukarester Athénée Palace stattfand (siehe Trailer auf YouTube)und der es innerhalb kürzester Zeit zum meistbesuchten rumänischen Film seit 30 Jahren brachte (SbZ vom 15.12.2019, S. 11). Die Handlung beschränkt sich auf wenige Monate im Leben von Königin Maria, als diese die rumänische Delegation unter Premier Brătianu bei der festgefahrenen Pariser Friedenskonferenz von 1919 mit unkonventionellen Methoden und auch mal mit den ‚Waffen einer Frau‘ zum Erfolg führte, siehe oben. Die Idee zum Spielfilm stammt von Drodtloff, die auch weitgehend das Drehbuch geschrieben und anfangs auch Regie geführt hatte, ehe sie von Alexis Sweet Cahill abgelöst wurde. Und Roxana Lupu (Titelrolle) beim Casting in London entdeckt zu haben, macht sie auch ein bisschen stolz. Entsprechend enttäuscht war sie, dass ihr Anteil an diesem Film in der ADZ vom 22. November 2019 (erschienen auch in der ADZ Online vom 25. November 2019) nicht angemessen gewürdigt wurde.
Die Hüterin der Törzburg – Zeitzeugen erinnern sich
In der oben genannten Doku kommt auch Leni Shrager, 101, Tochter von Barbu Știrbeys Sekretär, zu Wort; auch sie eine der letzten Zeitzeugen. Gut in diese Reihe hätte auch Hans Bergel (geb. 1925) gepasst, der auf Schloss Törzburg mehrmals Menuette von Bach, Corelli und Mozart auf seiner Flöte blasen durfte, derweil sein Freund Flori – Sohn eines in Wien gelernten Zuckerbäckers, der die Regentin während ihrer Sommeraufenthalte auf dem Schloss mit erlesenem k.u.k. Gebäck belieferte – nach entsprechenden Tanzschrittanleitungen mit „sicherer Leichtfüßigkeit seiner Pflicht als Tänzer ihrer Majestät nachkam“. Der Anblick der hingebungsvoll tanzenden Königin mit den beiden jungen Hüpfern habe den plötzlich in der Tür stehenden Hofmarschall und letzten Liebhaber Marias, Generalleutnant Eugen Zwiedineck Edler von Südenhorst, in seiner weißen Galauniform „mit erbärmlichem Gesichtsausdruck“ erstarren lassen (nachzulesen in Bergels Erzählung „Das Menuett der Königin“ im Band „Am Vorabend des Taifuns“, 2011; dort ist auch erwähnt, dass Zwiedineck 1956 im Hochsicherheitsgefängnis von Sighet „elend ums Leben kam“). Im Übrigen habe ihn die Königin enorm beeindruckt, sie habe viel gelacht, sei sehr charmant und „total leger“ gewesen (Gespräch vom 21.11.2019). Auch an das sächsische Zimmer, das Königin Maria den beiden Jungen zeigte, kann sich Bergel noch gut erinnern. Es sei sehr klein gewesen und habe einen flachen Kachelofen mit sächsischen Mustern, einen bemalten Bauernschrank mit Doppeltür und eine dezent bemalte kleinere Truhe enthalten. Fakt ist, dass sich Maria im Juni 1921 in einem „kleinen, sehr malerischen Dorf“ bei Hermannstadt (= Michelsberg, Anm. KK) nach alten sächsischen Bauernmöbeln umgesehen hatte und dabei von Einheimischen mit Tellern voller Kirschen, „der Spezialität des Ortes“, beschenkt worden war (Einträge vom 23.6. und 17.10.1921). Vernichtend an fast gleicher Tagebuchstelle Marias Urteil über Schloss Pelesch: „Überladen, zehnmal mehr Dinge als nötig“ (26.6.1921). Ganz anders freilich hatte Bayerns „Märchenkönig“ Ludwig II. den im deutschen Neorenaissance-Stil ausgeführten Bau empfunden, nachdem er eine Serie von Fotografien von Castell Pelesch gesehen hatte. Er würde, schrieb er 1885 König Karl I. ganz angetan, das Schloss mit seiner „prächtigen Poesie“ sehr gern kennenlernen. Mit Ludwigs unerwartetem Tod 1886 endete der erst seit wenigen Jahren bekannte Briefwechsel. Was mit den sächsischen Objekten nach 1948 geschah, ist unbekannt. Im Kalender des Siebenbürger Volksfreundes von 1939 ist von einer „Sammlung altsächsischer Hausgeräte“ die Rede, die auf die „freundliche Sympathie“ hindeute, die die Königin für das sächsische Volk und seine Kultur empfand: „Deutsche waren es, insbesondere auch Siebenbürger Sachsen, mit denen sie in ihrer Umgebung schlicht-freundschaftlichen Verkehr pflegte.“ Die Kommunisten freilich tilgten jede Erinnerung an das royale Erbe und machten 1957 aus der von König Karls böhmischen Hofarchitekten Karel Liman nach Vorschlägen der Königin liebevoll eingerichteten Burg – sie war ihr 1920 von Kronstadt „als Ausdruck herzlichster Verehrung“ geschenkt worden – ein Museum für mittelalterliche Kunst und Geschichte. In einem Törzburg-Bändchen von 1969 erwähnt der damalige Direktor Titus Hașdeu lediglich, dass Limans Umänderungen der Burg in ein königliches Schloss „den vielen alten architektonischen Eigenheiten des Baudenkmals Abbruch getan“ hätten. Übrigens ist bis heute umstritten, ob der Marmorsarkophag mit der Herzurne der Königin auf Hașdeus Drängen 1968 aus seiner Felsnische geholt und auch geöffnet wurde – angeblich hätten Einbruchspuren dort kampierender Kesselzigeuner die Aktion veranlasst.Seit den 1970er Jahren wurde das Gebäude zunehmend für den Dracula-Tourismus missbraucht, sehr zum Leidwesen von Tochter Ileana, die seit den 1950er Jahren in den USA lebte, zuletzt als orthodoxe Nonne Maica Alexandra. 1990, wenige Monate vor ihrem Tod, besuchte sie nochmals das ihr von der Mutter testamentarisch vererbte Schloss Törzburg (1944-48 war Ileana mit ihrer Familie die letzte Burgbewohnerin und rief hier auch durch Spenden das Spital „Inima Reginei“ ins Leben. Bereits 1940 hatte sie dafür gesorgt, dass die vergoldete, mit Edelsteinen besetzte Kassette mit der silbernen Herzurne der Königin von Hofmarschall Zwiedineck von Balcic auf die Törzburg überführt wurde). 2006 wurde die Burg restituiert und die eigentliche Herzurne am 3. November 2015 ins Schloss Pelischor verbracht. Das kostbare Kästchen verblieb im Nationalmuseum für Geschichte in Bukarest. Bekanntlich wurde Pelischor, die kleinere Schwester von Schloss Pelesch bei Sinaia („Klein-Pelesch“), 1899-1903 von König Karl I. als Sommerresidenz für das junge Kronprinzenpaar errichtet (Entwurf: Karel Liman). Dabei konnte sich Maria zumindest bei der Gestaltung der Innenräume im Stil moderner englischer Adelssitze gegen „Onkel Karl“ durchsetzen. Die Bauleitung von Pelischor und wohl auch bei Umbauten von Schloss Pelesch lag der Familienüberlieferung nach beim gebürtigen Hermannstädter Rudolf Ohnweiler (1876-1929), der nach einem Studium der Architektur in Wien bis 1918 in Bukarest und später in Neumarkt wirkte (Mitteilung Christian Reinerth vom 9.10.2008). Ohnweiler war mit Julie geb. Sigerus (1882-1952) verheiratet. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie zu ihrem fast erblindeten Onkel Emil Sigerus, wo sie dann auch dessen Haushalt führte.
Die reich begabte, vielseitig interessierte Königin führte seit ihrer Krönung 1914 bis zu ihrem Tod ein höchst anregendes Tagebuch in ihrer Muttersprache, schrieb Märchen für ihre Kinder und malte feinsinnige Blumenaquarelle. Eine ihrer phantastischen Erzählungen wurde 1920 von ihren Freundinnen, der amerikanischen Avantgarde-Tänzerin Loie Fuller und deren Lebensgefährtin Gab Sorère, auch verfilmt (Le lys de la vie/Die Lilie des Lebens, vgl. Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, künftig SDT vom 30.3.1924). So verwundert es auch nicht, dass die Königin die Hermannstädter Graphologin und Okkultistin Selma Sigerus-Göllner (1881-1940) gleich mehrmals zu sich einlud. Ihre Schriftanalysen beeindruckten Maria so sehr, dass sie ihr dies auch in einem Anerkennungsschreiben bestätigte (SDT vom 4.4.1924, S. 6, siehe Foto). Im Sommer 1924 empfing Königin Maria die Graphologin ein drittes Mal, diesmal auf Schloss Pelischor (SDT vom 10.8.1924). Selma Sigerus-Göllner, über ihren Mann Dr. Hans Sigerus mit Emil Sigerus verwandt, hatte einen Kurs für Gerichtsgraphologie bei Professor Dr. Gottlieb in Wien absolviert und firmierte in den Jahren 1933-36 auch als Herausgeberin der geisteswissenschaftlichen Zeitschrift „Der Aufstieg (…), Organ des Institutes für okkulte Wissenschaft und Neupsychologie“. Seit den 1930er Jahren betrieb sie in Hermannstadt auch die erste Schule für Augengymnastik Rumäniens. Ironischerweise starb die umtriebige Okkultistin, die auch als Telepathin und Medium wirkte, an einer Pilzvergiftung in Kronstadt, während die anderen Familienmitglieder mit dem Leben davonkamen (25. August 1940). Angeregt wurde sie einst wohl von Emils Vetter Robert Sigerus (1854-1926), dem Pionier der Parapsychologie in Siebenbürgen.
Eine bedeutende Rolle im Leben Marias spielte auch die Fotografie. Schon als Jugendliche besaß sie einen Kodak-Apparat, ein Geschenk ihres fotokundigen Vaters Prinz Alfred, einem Sohn der bekanntermaßen fotografiebegeisterten Königin Victoria. Mit seinen Töchtern stellte Alfred auch gern Lebende Bilder (Tableaux vivants), ein damals beim Bildungsbürgertum beliebter Zeitvertreib, der sicher mit zur Schulung von Marias ästhetischem Geschmack beitrug. Fotos davon mit lustigen Kommentaren schickte die frisch Verlobte 1892 auch ihrem „lieben, teuren Nando“, der seit 1889 in Rumänien lebte (Deutsches Jahrbuch für Rumänien 2018, S. 215).
19 Jahre später beehrte Kronprinzessin Maria erstmals eine Amateurfotografenausstellung mit eigenen Arbeiten. Veranstaltet hatte sie der in Kronstadt geborene Fotograf und Unternehmer Heinrich Emil Schwarze (1866-?) in seinem Bukarester Kunstsalon Arta, wo neben Prinzessin Știrbey und Grigorescu-Freund Alexandru Baron Bellu auch die Kronstädter Julius E. Teutsch und Siegfried Gusbeth Aufnahmen zeigten, wie dem Bukarester Tagblatt vom 8.2.1911 zu entnehmen ist. Maria war mit „wundervollen Portraitstudien“ ihrer Tochter Elisabeth und von sich selbst vertreten, die der Rezensent, der Kronstädter Kunsterzieher Ernst Kühlbrandt (im Text: E. K.) in höchsten Tönen lobte: „… in der zarten Nuancierung des Lichtes von so feiner, herber, ruhiger Schönheit, wie sie nur Künstler empfinden können.“ Auch auf Reisen war die Kamera stets dabei, zumal die Königin es liebte, in ihre Tagebücher Fotos einzukleben – sie habe Bild und Text als einander ergänzend angesehen, so Königshaus-Expertin Diana Mandache (Cotroceniul regal, 2015, S.170).
Doch waren es letztlich die Hoffotografen, die für die Selbstdarstellung des Königshauses und deren zahlreicher Mitglieder sorgte. An den oft hinzukopierten Bildnummern lässt sich ablesen, wie umfangreich solche Kartenserien waren, aber auch, wie groß das Interesse an solchen Fotos gewesen sein muss. Nach dem Tod von Carmen Sylvas bevorzugtem Hoffotografen Franz Mandy (1910) führte dessen Mitarbeiter Etienne Lonyai das Atelier weiter, das auch das neue Königspaar besuchte. Bald darauf avancierte das Fotoatelier „Julietta“ mit seinem jüdischen Inhaber Adolf Klingsberg zum führenden königlich-rumänischen Hofatelier (auch v. Mackensens Besuch in Schloss Pelesch im Sommer 1917 wurde von „Julietta“ dokumentiert). Langjährige Operateurin des Ateliers war die Heltauerin Juliane König (1891-1975), eine Tante des Pädagogen Walter König. Sie stand für „Julietta“ bis Ende der 1940er an der Kamera und wurde öfter auch nach Balcic gerufen.
Der Hermannstädter Fotograf Emil Fischer (1873-1965) nahm bereits am 13. August 1919 offizielle Fotos des rumänischen Königspaares in Schloss Cotroceni auf, auch wenn im Tagebuch Marias nur von einem namenlosen „siebenbürgischen Fotografen“ die Rede ist. Am 11.2.1920 wird er wieder ins Könighaus gerufen. Im Tagebuch ist er abermals nur als „ein begeisterter Siebenbürger“ zu finden. Dass die Königin auch mit Emil Fischers Aufnahmen vom vergangenen Jahr zufrieden war, erfährt man nur indirekt (SDT vom 25.2.1920). Im Dezember 1920 wurde ihm der Titel eines kön.-rum. Hoffotografen „taxfrei“ verliehen (SDT vom 25.12.1920).
Einen weitaus höheren Glamourfaktor wiesen die Porträtaufnahmen der Hermannstädter Fotografinnen Ida Guggenberger (1881-1973) und Jolan Mairovits (1891-1972) auf. Am 18. Juli 1921 durften sie Maria erstmals in rumänischer Nationaltracht im Schlosspark von Sinaia aufnehmen, acht Tage später seien die Königin „in großer Toilette“, der König in Admiralsuniform und auch das Kronprinzenpaar Carol und Elena aufgenommen worden (SDT vom 30.7.1921). „Guggenberger & Mairovits“ avancierten zu den von der Königin bevorzugten Fotografinnen und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den Hoftitel bekamen (1923). 1932 folgten sie dem Ruf der Königin nach Bukarest und eröffneten ein modernes Fotostudio in Palastnähe. Alice v. Guggenberger (1911-2000), die Tochter von Ida und selber Fotografin, erinnert sich:
„Hier wuchs das Renommee meiner Mutter und das von Frau Mairovits, so dass sie international bekannt wurden. Ihre Vitrinen waren für die gebildeten Kreise Bukarests eine Sehenswürdigkeit dank der künstlerischen Aufnahmen auch bekannter Persönlichkeiten. Die schöne Königin Maria machte natürlich fleißigen Gebrauch von dieser Fotokunst, da sie selbst eine Künstlerin war. Die Aufnahmen im Schloss Bran mit der Königin in langen weißen Seidengewändern mit ihren 14 russischen Windhunden waren nie dagewesene Fotogemälde. (Leider haben die Kommunisten an einem Tag alle diese Negative zerstampft – Die Briefschreiberin nennt hier kein Datum, was insofern interessant gewesen wäre, weil auch Petru Groza und Ana Pauker zu Guggenbergers Kundschaft gehörten, Anm. K.K.). Ich erinnere mich, dass die Königin eine Propagandareise nach Amerika [Maria besuchte 1926 und nochmals 1927 die USA, Anm. KK] machte und 500.000 Originalfotografien mitgenommen hat, die meine Mutter vorher machen musste, wobei viele Damen im Atelier mithalfen […] Meine Mutter wurde sehr viel in das Schloss Pelesch gerufen und es entstand eine Freundschaft zwischen der Königin und meiner Mutter. Nach dem Tod der Königin wurde sie die Fotografin ihrer Kinder […], darunter auch von Elisabeth, spätere Königin von Griechenland. Bei ihr verbrachte sie mehrere Wochen im Hotel Ritz in Paris und war ihre Duzfreundin.“ (Brief vom 26.10.1990)
Ein gnädigeres Schicksal wurde den Fotoplatten des Atelierfotografen Arthur Bach (1894-1979) zuteil. Er zählte offensichtlich nicht zu den Fotografen, die die Krönungsfeierlichkeiten vom 15. Oktober 1922 in Karlsburg/Alba Iulia dokumentierten, machte danach aber Aufnahmen der jährlichen Besuche der königlichen Familie in der Krönungskathedrale. Enttäuscht war Tochter Hedda Bach-Szervátiusz (1933-2018?), als König Michael kein Interesse an einem Ankauf zeigte („Wir haben genug Bilder davon“). So wanderten die Platten wieder nach Karlsburg zurück, wo sie sich nun im Muzeul Național al Unirii befinden (Mitteilung Dr. V. Wollmann vom 4.2.2020). In dieser Aufzählung darf auch Marie Gebauer (1885-1981) nicht fehlen, die auch öfter von der Königin zu Aufnahmen nach Törzburg und Balcic gerufen wurde, jedoch auf den Hoffotografentitel verzichtete. Gebauer betrieb in Kronstadt ein von ihrem Mitinhaber Heinrich Lang übernommenes Atelier und signierte ihre Aufnahmen meist nur „Foto Helios“. 1925 erhielt sie auf der Landesausstellung der Fotografen Großrumäniens eine Silbermedaille.
Last, not least muss hier auch eine Doku über den Königlichen Zug, mit dem Kronprinzessin Margareta von Rumänien ihre Goodwillreisen für eine Rückkehr zur Monarchie unternimmt, erwähnt werden („The Royal Train“, 2019 – Trailer unter https://vimeo.com/388222585). Mit feinem Gespür für balkanische Denkungsart begleitet der österreichische Dokumentarfilmer Johannes Holzhauser die älteste Tochter von König Michael und ihren Prinzgemahl mit deren höfischer Entourage im Salonwagen, mit dem bereits ihr Vater das Land bereiste („Die Leute mögen eben Züge“) und von dem die königliche Familie im Januar 1948 auch ins Schweizer Exil gebracht worden war. Natürlich, um sich als die wahre Hüterin der Krone zu empfehlen. Am Dieseltriebwagen mit seinen königsblauen Waggons – sie wurden 1926-28 in Mailand eigens für Maria und Ferdinand gefertigt – dürfte das königliche Projekt jedenfalls nicht scheitern. 93 tragikomisch-unterhaltsame, manchmal auch sehr anrührende Minuten zwischen einem widerspenstigen Roten Teppich in Provinzbahnhöfen ("Hat jemand Klebeband?“"), salutierfreudigen Soldaten in chromblitzenden Phantasierüstungen, Gesprächen eines jungen Sammlers von royalen Memorabilien mit den letzten noch lebenden Königstreuen und dem Enthüllen einer König-Ferdinand-Büste im moldawischen Hinterland, so, als hätte Caragiale persönlich Regie geführt („Wo bleibt der Pope mit dem Weihwasser?“). Symbolträchtig die Schlusseinstellung mit dem Sarg von König Michael auf seiner letzten Reise zur Klosterkirche von Curtea de Argeș, untermalt vom langgezogenen Hupen des guten alten Hofzuges und dem Spiel der Lichtpunkte vorbeiziehender Ortschaften.
Konrad Klein
Schlagwörter: Königin, König, Rumänien, Film
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