2. Januar 2007

Studien zur deutschen Literatur im südosteuropäischen Raum

Zum VI. Kongress der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens hatten sich im Mai 2003 rund 200 Fachleute, darunter Wissenschaftler, Schriftsteller, Publizisten und Pädagogen, mehrheitlich aus Ost- und Westeuropa, vereinzelt aber auch aus Japan, Südkorea, den USA, Ägypten oder Südafrika eingefunden, um im siebenbürgischen Hermannstadt neuste Erkenntnisse aus Forschung und Lehre zu präsentieren, Autorenlesungen beizuwohnen oder sich in Foren und Gesprächsrunden über fachspezifische Fragen auszutauschen. Einen Großteil der literaturwissenschaftlichen Beiträge dieser Tagung hat das Münchner Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas im vergangenen Jahr in einem Sammelband veröffentlicht und dem literarisch interessierten Publikum zugänglich gemacht.
Das 490 Seiten starke Buch trägt den Titel Brücken schlagen. Studien zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und lässt damit erkennen, dass sich die so genannte auslandsdeutsche Literatur längst angeschickt hat, ihren (oft beklagten) engen Wirkungskreis zu verlassen und die südostdeutsche Germanistik dabei ist, sich von dem Etikett der „Sprachinselforschung“ zu befreien. Die meisten der 31 in dem Band enthaltenen Arbeiten wurden in der Sektion „Deutsche Regionalliteraturen in Rumänien“ vorgelegt und setzen sich, im weitesten Sinne, mit „deutscher Literatur im regionalen Erfahrungs- und Kontaktraum“ – so das von den Veranstaltern vorgeschlagene Rahmenthema – auseinander. Was aber bedeutet „Regionalität“?

Was sagt der Begriff „Regionalliteratur“ wirklich über spezifische Eigenschaften von Autor und Werk aus? Diese Frage erörtert Dr. Thomas Krefeld von der Universität München in seinem Aufsatz Ohne Bodenhaftung – Literarische Texte im kommunikativen Raum. Am Beispiel von Autoren wie Elias Canetti, Paul Celan, Milan Kundera oder Herta Müller zeigt er die Vielschichtigkeit und das komplexe Zusammenwirken geographischer, sprachlicher und sozio-kultureller Faktoren auf, die Produktion und Rezeption eines literarischen Werkes bestimmen und warnt vor einem unreflektierten Gebrauch des Begriffs Regionalliteratur, denn der berge, so der Verfasser, stets die Gefahr, „als weniger emotionsgeladenes Synonym von „Heimatliteratur“ verstanden zu werden“. Literarische Regionalität aber entstehe „ausschließlich durch marginale Rezeption“ (S. 252). Thomas Krefeld plädiert dafür, ohne den Wert regional ausgerichteter Literaturgeschichte in Frage zu stellen, „weniger die vermeintliche Regionalität der Texte als vielmehr die ganz konkrete Regionalität des jeweiligen Literaturbetriebs in ihrer historischen Spezifik und Dynamik zu fokussieren“ (S. 252).

Eine Vielzahl der in dem vorliegenden Band enthaltenen Arbeiten erfüllt durchaus diesen Anspruch. So setzt sich beispielsweise Sorin Gâdeanu in seinem Beitrag Des Kaisers neue Kleider. Zur binnendeutschen Hermeneutik einer „extraterritorialen“ banatdeutschen Literatur mit der Problematik literaturhistorischer Erfassung des deutschsprachigen Banater Schrifttums vor dem Hintergrund der sozial- und siedlungsgeschichtlichen Besonderheiten dieses Landstrichs auseinander und geht der Frage nach, inwiefern mangelndes Wissen um gesellschaftliche, politische und historische Zusammenhänge die Rezeption „inselsprachlicher“ Literatur im binnendeutschen Raum erschwert.

Die in dem Band vereinten Aufsätze decken nicht nur ein ungewöhnlich breites Themenspektrum ab, sondern unterscheiden sich auch in ihrer Argumentationsführung, ihren Stilformen, methodischen Ansätzen und nicht zuletzt in ihrer wissenschaftlichen Qualität. Literarische Überblicksdarstellungen und theoretische Beschreibungsmodelle werden angeboten, aber auch Untersuchungen einzelner literarischer Texte oder Epochen und ihrer interkulturellen Prägung. Bei aller Heterogenität der Beiträge ist den Herausgebern dennoch eine Bündelung und Gliederung gelungen, die teils inhaltliche, teils formal-stilistische Gesichtspunkte zugrunde legt. Ein erster Teil des Bandes enthält Arbeiten zu Paul Celan und der deutschsprachigen Literatur der Bukowina, darunter einige, die es verstehen, einen neuen Blick auf einzelne Aspekte dieses bereits vielfach beschriebenen literarischen Phänomens zu eröffnen. Beispielhaft hierfür ist Yoshihiko Hiranos Aufsatz Anagram – Auschwitz – Adorno. Zu Celans Gedicht „Fadensonnen“. Mit der Überschrift Kontextualisierung und Analyse – Zur Literatur der Goethezeit, des 19. und. 20. Jahrhunderts wird ein weiter Rahmen für den zweiten Teil des Bandes abgesteckt, in den sich Arbeiten über Goethe, Rilke, Schnitzler oder Brecht einordnen lassen, zudem auch ein Beitrag der Bukarester Germanistin Ioana Crăciun zur Gestalt Hermann Oberths in Rolf Hochhuths Tragödie Hitlers Dr. Faust.

Im dritten Teil geht es um Ästhetik und Minderheitenraum – Aspekte der deutschen Regionalliteraturen in Rumänien. Hier überzeugen besonders Peter Motzans Beitrag zu Oskar Walter Ciseks unveröffentlichtem Roman Vermenschung und Dietmar Gottschniggs Arbeit zu Büchner-Gedichten in der rumäniendeutschen Literatur. Der vierte Teil schließlich umfasst Texte, die im Grenzbereich von Literaturwissenschaft und Essayistik angesiedelt sind, darunter einen lesenswerten Beitrag von Joachim Wittstock über das Motiv des Halt-Suchens in der siebenbürgisch-deutschen Erzählliteratur.

Das von Anton Schwob, Stefan Sienerth und Andrei Corbea-Hoișie edierte Buch ist Prof. Dr. George Guțu, Präsident der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens und Spiritus rector der Hermannstädter Tagung, gewidmet. Sein Verdienst ist es, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, „die Germanistik in Rumänien nach dem politischen Umbruch der 1990er Jahre, die durch den Fortgang zahlreicher Universitäts-, Gymnasial- und Volksschullehrer aus den Reihen der deutschen Minderheit geschwächt wurde, neu aufgebaut und ihre Position im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts und in der kulturellen Landschaft Rumäniens gefestigt zu haben“. Ein Schriftenverzeichnis dokumentiert die wissenschaftliche, publizistische und übersetzerische Tätigkeit des Bukarester Hochschulgermanisten, und die Tabula gratulatoria am Ende des Bandes belegt die große Wertschätzung, die dem Menschen und Wissenschaftler George Guțu vielerorts auf der Welt zuteil wird.

Ute Rill

„Brücken schlagen. Studien zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für George Guțu“. Herausgegeben von Anton Schwob, Stefan Sienerth und Andrei Corbea-Hoișie. München: IKGS Verlag 2004 (Wissenschaftliche Reihe: Literatur- und Sprachgeschichte. Bd. 101). 490 Seiten, 29,50 Euro, ISBN 3-9808883-6-3.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20vom 20. Dezember 2006, Seite 15)

Schlagwörter: Germanistik, Tagungen, Literaturgeschichte

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