30. März 2009

Schultagung in München: „Der Lehrer hat ein freies Wort ...“

Die Sektion Pädagogik und Schulgeschichte im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) tagte am 7./8. März zum neunten Mal im Münchner Haus des Deutschen Ostens (HDO). Dank der Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen über das HDO ist es gelungen, auch in diesem Jahr ein Seminar zur Schulgeschichte Siebenbürgens abzuhalten.
In einem Grußwort beglückwünschte Prof. Walter König, Initiator und mehrjähriger fachkundiger Leiter der Sektion, der aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein konnte, den neuen Leiter. Zugleich dankte er Hans Gerhard Pauer, der zwischen 2003 und 2006 die Arbeiten geleitet hatte, sowie dessen kommissarischen Vertretern in den Folgejahren, Hansgeorg von Killyen und Gudrun Schuster, für ihre Arbeit.

Dr. Erwin Peter Jikeli ist neuer Leiter der Sektion. Jikeli, Jahrgang 1953, Lehrersohn aus Siebenbürgen, studierte in Hermannstadt Geschichte und Deutsch, war anschließend in Kleinschelken und Mediasch als Lehrer und stellvertretender Schulleiter tätig und unterrichtet seit seiner Ausreise 1990 an der Ter-Meer-Schule in Krefeld (NRW). 2006 promovierte er zum Doktor phil. an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit der Arbeit „Siebenbürgische-sächsische Pfarrer, Lehrer und Journalisten in der Zeit der kommunistischen Diktatur, 1944-1971“ (Frankfurt a. M. 2007).
Dr. Erwin Peter Jikeli, der neue Leiter der ...
Dr. Erwin Peter Jikeli, der neue Leiter der Sektion Pädagogik und Schulgeschichte des AKSL, während der Tagung im Hans des Deutschen Ostens in München. Foto: Hans Botsch
Zur Tagung hatten sich 35 Teilnehmer angemeldet, neun Referenten trugen ihre Arbeiten traditionsgemäß an zwei Tagen vor. Die meisten von ihnen sind Hobbyforscher, Lehrer und ehemalige Lehrer, die entweder ihre eigenen Erfahrungen dokumentieren oder historische Dokumente, auch solche aus Privatbesitz, auswerten.

Schule in Zeiten des Umbruchs

Zwei ausgewiesene Fachleute aus dem Universitätsbereich beehrten diesmal die Sektion mit ihren Beiträgen: Dr. Andreas Möckel (Würzburg) mit einem „Politischen Skandal um die Honterus-Schule im Jahre 1933“ und Dr. Ulrich Andreas Wien (Landau, seit 2001 Vorsitzender des AKSL), der interessante Details aus der „Landeskirchlichen Schulpolitik in der Zwischenkriegszeit“ darbot. Seine Publikation „Kirchenleitung über dem Abgrund“ (Böhlau 1998) ist eine grundlegende Studie über eine Zeit dramatischen Wandels und Umbruchs in der Geschichte Rumäniens, Siebenbürgens und bei den Siebenbürger Sachsen. Deren Kirchen- und Schulvertreter hatten versucht, die Existenz der beiden Institutionen im Spannungsfeld zwischen Minderheitenstatus, Nationalsozialismus und Kommunismus zu sichern bzw. die Fortführung von deren Bildungstradition zu gewährleisten. Dabei kam es, wie Andreas Möckel am Beispiel Kronstadt zeigte, zu erbitterten Kämpfen und Spaltungen innerhalb der politisierten Kronstädter sächsischen Gesellschaft und der Lehrerschaft, die im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht ohne Folgen blieben, allerdings auch nicht unabhängig von den Geschehnissen „im Reich“ zu sehen und zu bewerten seien.

Vom Schauspiel auf der lokalen Ebene Kronstadt in die damalige Schulpolitik der übergeordneten sächsischen Kirchen- und Schulbehörde, ihren Strategien gegenüber den nationalsozialistischen Volksvertretern sowie gegenüber Uniformisierungstendenzen und einer minderheitenfeindlichen Schulpolitik des Staates wie auch den Unberechenbarkeiten von Unterrichtsministern in der Zwischenkriegszeit führte der Beitrag Wiens. Zu Beginn seines Vortrags stellte er im Hinblick auf die Verantwortlichen provokativ die Frage: „Familienunternehmen oder Nepotismus?“, da die landeskirchliche Schulbehörde eigentlich in der Hand einer Familie gewesen sei. Friedrich Müller (späterer Bischof) war Schulrat für das Volksschulwesen, sein Schwager Gustav Rösler folgte ihm 1929 in diesem Amt, Carl Albrich war Schulrat für das Mittelschulwesen, Rösler sein angeheirateter Neffe. Wien räumte ein, dass die Verwandtschaftskonstellation in jener Krisenzeit für die kirchlichen Schulen in Rumänien die Handlungsfähigkeit der Verantwortlichen garantiert habe, zumal Letztere nachweislich die Sache der Allgemeinheit über ihre persönlichen Interessen gestellt hätten. Dass sie letztlich die Übergabe der Schulen an die Volksgruppe nicht verhindern konnten und damit eine jahrhundertealte Tradition zu Ende ging, war wohl angesichts „höherer Gewalt“ politischer Entwicklungen unvermeidbar.

„... das arme Dorfschulmeisterlein ...“

Die Situation sächsischer Schulen und des sächsischen Lehrerstandes um die Wende zum 20. Jahrhundert beziehungsweise darüber hinaus illustrierten zwei weitere Fallbeispiele. Hermann Schmidt (Mössingen, Rektor i. R.) schilderte in seinem Vortrag die Lehrerlaufbahn seines Großvaters Johann Schmidt, der seine Erinnerungen über 20 Jahre engagierter Berufstätigkeit in mehreren Gemeinden des Repser Bezirks auf 1 400 Seiten festgehalten hat. In welch beklagenswertem Zustand viele Schulen und teilweise die Lehrerausbildung noch waren, wie schlecht die Besoldung, wie groß die Unzufriedenheit der Lehrer und zu welchen Spannungen es dadurch und auch infolge nicht seltener Überheblichkeit des Gemeindepfarrers, sprich: der lokalen „Schulaufsichtsbehörde“, gegenüber dem Dorflehrer kam, belegte Schmidt mit konkreten Daten: „Sie dürfen nicht vergessen, dass der Lehrer im Sinne der Visitationsartikel dem Pfarrer gegenüber kein freies Wort hat“, soll der Draaser Pfarrer Baku seinem „Subalternen“ gesagt haben. Dass es übrigens 1920 zu einem Lehrerstreik kam, verwundert aus heutiger Sicht nicht. Doch auch konkrete Bemühungen um die eigene berufliche Fort- und Weiterbildung und um die Würde des eigenen Berufsstandes belegen die Aufzeichnungen des Lehrers Johann Schmidt.

Ein anderes Beispiel lieferte Hansgeorg von Killyen, der mit Folienkopien aus den Protokollen der Presbyteriumssitzungen der Burzenländer Gemeinde Tartlau aus den Jahren 1918-1938 ebenfalls die prekäre finanzielle Situation der Schulen und Lehrer, das schwache Niveau z. B. der sogenannten Fortbildungsschule, aber auch die finanziellen Nöte der Kirchengemeinde nach der Agrarreform von 1921 belegte.

Geschichtsschreibung von unten

Udo Acker, langjähriger Stellvertretender Leiter im HDO München, der bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2008 die Seminare der Sektion tatkräftig unterstützt und zu ihrem reibungslosen Ablauf wesentlich beigetragen hat, trat diesmal als Referent auf den Plan. Sein Beitrag wertete Aufzeichnungen aus Privatbesitz von drei ehemaligen Schülern des Schäßburger Gymnasium zur Zeit so berühmter Lehrer aus wie Georg Daniel Teutsch, Friedrich Teutsch, Adolf Schullerus und Michael Albert. Was die drei Zeitzeugen, ein Vater und seine beiden Söhne, aus der Erinnerung 1947 beziehungsweise 1966 aufgezeichnet haben, steht im krassen Widerspruch zu jenem Bild, das die Nachgeborenen gemeinhin von ihren berühmten Schulmännern haben: „Das Gesetz bin ich!“, soll Georg Daniel Teutsch seinen Zöglingen gesagt haben, Adolf Schullerus habe ihnen „Römertugenden“ beibringen wollen, in der Schule hätten „Stock“ und „Feldwebelmethoden“ geherrscht. Ihre Schuljahre hätten die Zöglinge als „Kriegszustand“, als „Martyrium“ und „Qual“ erlebt, einen persönlichen Kontakt zwischen Lehrern und Schülern habe es nicht gegeben. Die Frage nach dem Verhältnis von Faktizität und subjektiver Interpretation aufgrund späterer Erfahrung und späteren Wissens über Erziehungsmethoden, über Kinder- und Jugendpsychologie in solchen Aufzeichnungen ist berechtigt. Allerdings ist eine Gegenüberstellung von Quellenstudium, Mythos und Subjektivität allemal der Mühe wert, denn sie trägt zur Annäherung an die Realität vergangener Zeiten bei, relativiert und korrigiert mitunter unsere historischen (Vor-)Urteile.

Ein Zeitzeuge der jüngeren Vergangenheit, der Lehrer i. R. Johann Untch, der seine beiden ersten Berufsjahre im buchenländischen Cârlibaba (Mariensee/Ludwigsdorf) 1954-1956 schilderte, entpuppte sich sozusagen als lebende und lebendige Geschichtsquelle für einen Landeswinkel, eine Menschengruppe und deren Identitäts- beziehungsweise Sprach- und Schulproblematik, die die Forschung noch wenig ins Visier genommen hat. Die Menschen jenes Dorfes waren 1940 „ins Reich“ gebracht worden, kamen später auf abenteuerlichen Wegen in ihre inzwischen entfremdete Ortschaft zurück und hatten unter den politischen Gegebenheiten der frühen 50er Jahre kaum die Möglichkeit, ihre Identität zu leben. Mit wie viel Engagement, Improvisationstalent und auch Erfolg drei „sächsische Musketiere“ zusammen mit einem gut intentionierten rumänischen Schulleiter unter mehr als pittoresk anmutenden zivilisatorischen Gegebenheiten einen deutschen und rumänischen Klassenzug aufgebaut haben, der dann sozusagen mit einem Federstrich ausgelöscht wurde, indem die drei jungen Lehrer zum militärischen Arbeitsdienst eingezogen wurden, illustrierte anschaulich, wie kommunistische Schulpolitik in jenen Jahren betrieben wurde.

Der ebenfalls aus Siebenbürgen stammende Martin Zakel, der 34 Jahre lang an einem großen Gymnasium in Ingolstadt unterrichtet hat, einer Schule, die infolge günstiger Arbeitsmöglichkeiten für Aussiedler und Emigranten in der Autoindustrie der Stadt einen großen Schüleranteil mit „Migrationshintergrund“ hatte, berichtete über seine und Erfahrungen seiner Berufskollegen mit diesen. Unterschiedliche Schulsozialisation der Kinder (und Eltern), pädagogische und psychologische Unerfahrenheit der Lehrer mit dieser Gruppe führten zu Anfangs- und Einstiegsschwierigkeiten, die jedoch in Gesprächen, Fortbildungen und mit Hilfe von Schulpsychologen bewältigt werden konnten. Auch ein Thema siebenbürgischer Schulgeschichte? Ja, denn sie reicht, wie man erfahren konnte, durch ihre lebenden Akteure zuweilen auch in unsere heutige Gesellschaft und Zeit hinein, und es ist gut, wenn man sie kennt. Letzteres war, wie Zakel berichtete, ihm sehr von Nutzen.

... und die „Geschichte“ geht weiter ...

Der jüngste Referent in München sorgte für frischen Wind in den Segeln der Sektionsarbeiten über vergangene Zeiten: Sehr systematisch und eloquent stellte der in Siebenbürgen geborene Raoul Landt seine wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des 1. Staatsexamens am Geographischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg vor: „Das Bildungsverhalten der Siebenbürger Sachsen in Rumänien in historischer und räumlicher Perspektive“. Seine Arbeit bezieht die bislang nicht speziell berücksichtigte räumliche Dimension in die Untersuchung zum Thema mit ein, die allmähliche Wissenskonzentration und den Ausbau städtischer Schulen. Landts Schlusseinschätzung: „[...] dass nicht nur äußere Faktoren und der gesellschaftliche Wandel im 19. und 20. Jahrhundert große Umstrukturierungen im Bildungsverhalten der Siebenbürger Sachsen hervorriefen, sondern dass vor allem [ihr] spezifische[s] Schulwesen, dem innerhalb ihrer Gesellschaft eine große identitätsstiftende Bedeutung beigemessen wurde, ein Bildungsverhalten entstehen ließ, das mit anderen Kulturen nur schwer zu vergleichen ist.“ Der Kontakt zum deutschsprachigen Kulturraum Europas, insbesondere zu Deutschland, habe dabei eine zentrale Rolle gespielt.

Ganz in die siebenbürgische Schulgegenwart führte der mit Bildern untermalte Bericht des Direktors der Hermannstädter Brukenthal-Schule, Gerold Hermann. Seine souveräne, unpathetische Bilanz über Lernleistung, Schüler- und Lehrerschaft, über vielfältige Schulaktivitäten, Projekte, Schulpartnerschaften und Schüleraustausch war beeindruckend und erweckte den Eindruck, dass jene Bildungstradition siebenbürgisch-sächsischer Schulen, von der immer wieder die Rede war, bis heute weiterwirkt.

Programm und Niveau des Seminars waren vielfältig, interessant und anregend und stellten unter Beweis, dass Geschichte ein unendlicher Prozess ist.

Gudrun Schuster

Schlagwörter: Pädagogik, Schulgeschichte, AKSL

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