21. Dezember 2019

Akte Revolution 1989

22. Dezember 1989: Nach fast 25 Jahren kommunistischer Diktatur – die große Feier inmitten des Volkes war schon für den März 1990 geplant – flüchteten Diktator Nicolae Ceaușescu und seine Frau Elena vor der rumänischen Wut mit einem Hubschrauber aus Bukarest. Am 24. Dezember wurden sie verhaftet, in einem beispiellosen Blitzprozess zum Tode verurteilt und am 25. Dezember hingerichtet; nur neun Tage nach den ersten Demonstrationen in Temeswar am 16. Dezember.
Doch das Strohfeuer der Euphorie war schnell vorbei, schreibt Felix Emeric Tota in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Revolution: „Wir sahen ja, wer sich da an die Macht drängt. Die Neokommunisten, Hand in Hand mit bereits bekannten Visagen der alten Nomenklatur, lächelten nun aus dem Fernseher die gesellschaftliche Veränderung herbei.“

Bereits damals stellten sich viele insgeheim die Frage: War die Revolution tatsächlich ein Staatsstreich – von der neuen Führung von langer Hand vorbereitet? Die wichtigste Frage aber: Wer ist dann verantwortlich für den Tod von 862 Menschen und die 2150 schwer Verletzten in den Tagen nach der Flucht des Diktators? Als sich das Militär erst mit Panzern und scharfer Munition gegen die Aufständischen wandte und sich dann mit diesen solidarisierte. Versuche einer Aufklärung gab es immer wieder, doch sie verliefen alle im Sande. Zu stark wirkten die Netzwerke der ehemaligen Kommunisten und Securitate-Mitglieder in die Kreise der neuen politischen Akteure.

Verbrechen verjähren nicht

Doch Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht, so ein Urteil des Straßburger Gerichts für Menschenrechte. Am 8. April dieses Jahres, fast 30 Jahre später, wurde die Akte Revolution 1989 von den Militärstaatsanwälten der Generalstaatsanwaltschaft wieder eröffnet. Hauptangeklagte sind der erste Präsident nach der Revolution, Ion Iliescu, der damalige Vize-Premierminister Gelu Voican Voiculescu, sowie Iosif Rus, Kommandant der Luftstreitkräfte, und Emil Dumitrescu, alle Mitglieder des Rates der Front der Nationalen Rettung (Consiliul Frontului Salvării Naționale, CFSN), die nach dem Fall Ceaușescus die Geschicke des Landes leitete.
Weihnachten 1992: Auf dem Großen Ring in ...
Weihnachten 1992: Auf dem Großen Ring in Hermannstadt erinnert das Denkmal an die Gefallenen während der Dezember-Revolution 1989 in Rumänien. Foto: Roland Barwinsky
Am 29. November begannen vor dem Hohen Gerichts- und Kassationshof (ICCI) in Bukarest die Voranhörungen. Der historische Prozess, in dem an die 5000 Personen in verschiedenen Eigenschaften vorgeladen wurden und über 600 Bürger als Nebenkläger auftreten, dürfte sich wohl noch über Monate hinziehen. Die Akte umfasst 3330 Ordner. Zunächst wurde die Verhandlung wegen Verfahrensfehler auf den 20. Februar 2020 vertagt. Iliescu wird beschuldigt, zusammen mit weiteren Mitgliedern des Rates der Front der Nationalen Rettung Ende der 1980er Jahre einen Staatsstreich eingeleitet und 1989 durchgeführt zu haben. Der geflohene Diktator sei in einem Scheinprozess verurteilt und hingerichtet worden, das Land durch eine absichtliche Desinformationskampagne in Chaos und Terror gestürzt worden, nur damit sich die neue Führung von Anfang an die Macht sichern konnte. Die in der Akte angesammelte Beweislast zeige, so die Generalstaatsanwaltschaft, dass sich die gesamten Sicherheitskräfte Rumäniens – das Verteidigungsministerium, das Innenministerium, die Abteilung Staatssicherheit sowie die Patriotischen Garden – am 22. Dezember 1989 um 16.00 Uhr geschlossen dem Rat der Front der Nationalen Rettung unterstellten. Ab diesem Moment lag die Verantwortung für die folgenden politisch-militärischen Entscheidungen bei diesem. Die Untersuchungen sollen beweisen, dass das absichtliche Herbeiführen einer Massenpsychose über angebliche Terroristen, gezielte Desinformationen und widersprüchliche militärische Befehle zu den chaotischen Zuständen führten.

Die Staatsanwälte kamen zu dem Schluss, die Folgen der Aktionen in diesem Zeitraum seien ungleich schwerer gewesen als jene vom 17. bis 22. Dezember, als die genannten Strukturen noch dem Diktator gehorchten. Als Folge der Desinformationen seien auch erst die Bedingungen geschaffen worden, unter denen das Ehepaar Ceaușescu in einem Scheinprozess hingerichtet werden konnte.

Konkret wird Iliescu und Voiculescu vorgeworfen, durch Fernsehauftritte und Pressekommuniqués die Massenpsychose direkt herbeigeführt bzw. eigenmächtige Aktionen des Verteidigungsministeriums nicht gestoppt zu haben. Iosif Rus wird beschuldigt, in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember unberechtigterweise und mit voller Absicht militärische Interventionen am Flughafen Otopeni durchgeführt und damit den Tod von 48 Personen (40 Soldaten und acht Zivilisten) sowie 15 Verletzte verursacht zu haben.

Emil Dumitrescu wird vorgeworfen, durch seine Fernsehauftritte am 22. Dezember sowie durch die Leitung und Koordination des im elften Stock des Gebäudes des Rumänischen Fernsehens installierten Militärkommandos direkt zu den Ereignissen vom 22. bis 30. Dezember beigetragen zu haben. Die Nachrichtenübertragungen des TVR im Zeitraum vom 22. bis 24. Dezember wurden hingegen vom damaligen stellvertretenden Chefredakteur des Nachrichtenprogramms, Teodor Brateș, koordiniert. Brateș hatte die Existenz angeblicher Terroristen sowie weitere Falschinformationen, z.B. über die angeblich vergiftete Wasserversorgung, verbreitet. Die Akten gegen den ehemaligen Premierminister Petre Roman, Verteidigungsminister Victor Atanasie Stănculescu und weitere Personen wurden hingegen mangels Beweisen geschlossen.

Hätte es die Revolution ohne Manipulationen gegeben?

Die Frage, ob es auch ohne die Machenschaften des Rates der Front der Nationalen Rettung eine Revolution gegeben hätte, ist schwer zu beantworten. Ioan Toma, Jugendminister im Jahr 1989, erklärte in einem Interview gegenüber Mediafax, die Rumänen hätten nach der Abzahlung der Auslandschulden, für die vom Volk große Opfer erbracht werden mussten, eine fundamentale Veränderung erwartet. Stattdessen aber verlangte Ceaușescu neue Opfer, wie General Ion Coman der Historikerin Lavinia Betea verriet.

Ceaușescu hielt offenbar nichts von der Perestroika. Am 4. Dezember 1989 traf er sich mit Gorbatschow in Moskau, war danach zutiefst verstört und bezeichnete ihn als gefährlich, wie Delegationsmitglied General Constantin Olteanu 2009 gegenüber Mediafax erwähnte.

Nina May

Schlagwörter: Rumänien, Revolution, Prozess

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