1. Oktober 2023

Diskussion über Identität der Siebenbürger Sachsen: Bekenntnis des gemeinsamen Weges

Der Bundesvorsitzende Rainer Lehni hat unter dem Titel „Wohin geht unsere Gemeinschaft? Intitiative zum Erhalt der Identität der Siebenbürger Sachsen“ in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 8 vom 22. Mai 2023, Seite 1 und 4 (siehe auch SbZ Online vom 26. Mai 2023), zu einer Diskussion über den Erhalt der Identität der Siebenbürger Sachsen (Identitätsoffensive) aufgerufen. Dem Aufruf will ich mit diesem Beitrag gerne Folge leisten.
Beginnen möchte ich mit Erläuterungen des Begriffs „Identität“. Mit Bezug auf Personen übersetzt das Lexikon das Wort mit völliger Wesensgleichheit und unveränderlichen Haltung von Menschen in verschiedenen Situationen. Sozialpsychologisch meint „Identität“ ein „Sich – selbst – Gleichsein in Bezug auf Erleben und Verhalten eines Individuums. Sie bildet sich vor allem in der Kindheit und Pubertät durch Übernahme sozialer Rollen und Eigenarten in einer kleineren oder größeren Gemeinschaft, darin sich kennzeichnende Merkmale für sie in einer längeren Zeitspanne ausgebildet haben. Diese Erklärung führt zu dem Begriff „Geschichte“. Damit im Zusammenhang erklärt der deutsche Theologe und Historiker Adolf von Harnack (1851-1939) die Identität einer Person (Volk) mit folgenden Worten: „Was wir sind und haben – im höheren Sinn – haben wir aus der Geschichte, freilich nur aus dem, was eine Folge darin hat und bis heute nachwirkt“.

Diese Aussage kann auch für das Identitätsverständnis der Siebenbürger Sachsen übernommen werden. Unsere Identität liegt in unserer Geschichte mit allen ihren lebensprägenden Erfahrungen. Darauf zurückblickend bezeugen es nicht nur entsprechende wissenschaftliche Arbeiten, sondern auch in der Gegenwart viele unserer Landsleute verbal in ihren Alltagsbegegnungen mit anderen Personen oder gelegentlich auch mental mit ihrem Verhalten. In Siebenbürgen werden sie dabei von Zeugen unserer Geschichte (Museen, Kirchen, Burgen, Häuser, Friedhöfe, Mahnmäler) und noch einigen gelebten Traditionen aus unserer über 800-jährigen Geschichte unterstützt. In der Fremde fehlen uns ausgewanderten Sachsen jedoch diese Zeugnisse. Darum versuchen wir sie mit Symbolen der Heimat (u. a. Bilder unserer Heimatkirchen, Gemeinschaftspflege, Trachten, Brauchtum) zu ersetzen. Diese unterstützen uns bei der Bewahrung und Darstellung unserer siebenbürgisch-sächsischen Identität. Im alltäglichen Lebensvollzug werden wir jedoch auch mit Erwartungen und Ansprüchen der uns umgebenden Gesellschaft konfrontiert, wie etwa Integrationsbemühungen und die daraus früher oder später folgende Assimilation. Somit leben wir, bewusst oder unbewusst, in einem uns umgebenden Spannungsfeld von Identitätswahrung, Integrations- und Assimilationsprozessen. Bei ersterem steht es uns frei, unterschiedliche Akzente zu setzen oder jene anderer Landsleute bloß mitzutragen. Das äußert sich pragmatisch bei ausgewanderten Landsleuten in der unterschiedlich intensiven, aktiven Beteiligung an identitätsdarstellenden Aktivitäten und Veranstaltungen. Der erwähnte Aufruf unseres Verbandsvorsitzenden, nach mehr als 30 Jahren seit dem Großen Exodus der Sachsen überwiegend nach Deutschland, könnte in der Wahrnehmung eines natürlichen und allmählich nachlassenden Interesses seitens vieler ausgewanderter Landsleute an der Bewahrung siebenbürgisch-sächsischer Identität begründet sein, oder er ist ein Versuch, diese neu aufflammen lassen oder sie zumindest neu stärken (Identitätsoffensive) zu wollen. Wie kann dieser Aufruf, mit dem, was er beabsichtigt, umgesetzt und zugleich auch die Frage nach dem Weg unserer Gemeinschaft, dabei eine mögliche Antwort finden?

Nebst den seit vielen Jahrzehnten in der außersiebenbürgischen Zerstreuung praktizierten und zu Traditionen gewordenen Identitätsdarstellungen sollten über diese hinaus für sie neue Wege gefunden werden, um sie stärker in das Bewusstsein unserer Nachkommen zu verankern. Ein vielversprechender Weg dazu wäre auch hier ein „Learning by doing“, hier übersetzt als identitätsstiftende Begegnungen mit der Praxis unserer sächsischen Geschichte. Konkret verstehe ich solches als eine intensivere pragmatische Vernetzung des Lebens mit unserer Geschichte, als Quelle unserer sächsischen Identität. Und das nicht alleine in Gestalt des Studiums entsprechender Literatur (z.B. Heimatbücher), sondern unsere Geschichte persönlich erfahren durch noch mögliche räumliche Begegnungen mit konkreten Werken der Ahnen, als stumme und dennoch nicht sprachlose Zeugen unserer Identität.

Dieser Gedanke führt zu dem Wort Goethes „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“. Durch unsere Auswanderung aus ­Siebenbürgen und nun als Staatsbürger/innen eines anderen Landes haben wir, juristisch betrachtet, den Anspruch auf das materielle Erbe der Ahnen verloren. Dieses zumindest kirchenrechtlich wieder ins Lot zu bringen, ermöglicht uns neuerdings das Angebot der siebenbürgisch-sächsischen Landeskirche in Gestalt einer „Sonder- oder Vollmitgliedschaft“ in ihren Reihen, gemäß der Aussage ihres Hauptanwaltes Friedrich Gunesch bei einer Tagung in Bad Kissingen am 29. Oktober 2022 mit Vertretern siebenbürgisch- sächsischer Heimatortsgemeinschaften in Deutschland.

Des Weiteren würde auch der engere Einbezug der Heimatortsgemeinschaften aus Deutschland in die juristische Verwaltung des Erbes unserer gemeinsamen Ahnen von den zuständigen sächsischen Gemeinschaften und Behörden in Siebenbürgen, den offensichtlich gemeinsamen Weg beider durch die Geschichte fördern und bestätigen. Darüber hinaus könnte es auch eine emotionale Bindung unserer Nachkommen an die Plätze der Urahnen mit ihrer identitätsstiftenden Geschichte neu wecken, fördern und stärken. Solches zu erreichen, hat für uns Ausgewanderte vor allem eine emotionale (seelsorgerliche) und dann auch identitätswahrende Dimension jenseits siebenbürgischer Grenzen, im Sinne des Aufrufs des Verbandsvorsitzenden. Gegenwärtig geschieht dieses bei Initiativen der Gemeinschaften ausgewanderter Siebenbürger Sachsen nur sporadisch und erst über umständlich erwirkte Zustimmungen vornehmlich seitens der zuständigen sächsischen kirchlichen Behörden in Siebenbürgen, als Verwalter des Gesamterbes unserer Ahnen. Eine Zusammenarbeit sollte jedoch bei dieser Behörde nicht alleine eine notwendige, verwaltungstechnische, sondern auch eine Herzenssache und dadurch Zeichen ihres guten, ermutigenden Willens zu einem Bekenntnis des gemeinsamen Weges aller siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaften durch die Geschichte sein. Sie vollzieht sich nämlich nicht alleine in Siebenbürgen, sondern auch überall dort, wo Siebenbürger Sachsen auf verschiedenste Weise in der Öffentlichkeit ihre Identität in juristisch anerkannten Formen, etwa als eingetragener Verein (e.V.) mit Einbezug des Begriffs „Siebenbürger Sachsen“ tun (z.B. Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Siebenbürgisch-Sächsische Heimatortsgemeinschaften u.ä.m.). Dadurch bleiben sie, mit unseren Landsleuten in Siebenbürgen, auch Teil und Zeugnis des Fortgangs der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte, trotz eines Lebensvollzugs außerhalb ihres Ursprunglandes Siebenbürgen. Die Weltvölkerkunde bestätigt ähnliche konkrete Beispiele und Schicksale und kann auch für Siebenbürger Sachsen gelten und Akzeptanz finden. Dieses nun auch von den Repräsentanten der Sachsen in Siebenbürgen (Deutsches Forum, Landeskirche A.B) öffentlich und ohne Einschränkungen anzuerkennen, wäre wünschens- und erstrebenswert. Die gegenwärtigen freundschaftlichen Beziehungen in mancherlei Gestalt zwischen den sächsischen Gemeinschaften innerhalb und außerhalb Siebenbürgens sind zwar wichtige Zeichen gemeinsamer Wurzeln und noch einer gewissen emotionalen Verbundenheit untereinander. Sie sind aber noch keine herzliche und offizielle Anerkennung einer gemeinsamen und die sächsischen Gemeinschaften wie weiter oben benannt, miteinander verbindende Fortdauer unserer Geschichte. Gute Voraussetzungen zur Umsetzung dieses gemeinsamen Weges in der Gegenwart und auch Zukunft bieten ab 1990 der gefallene Eiserne Vorhang, ein Europa ohne viele Grenzen, die große Mobilität der Gesellschaft, die Digitalisierung und eine emotionale Bindung ausgewanderter Landsleute an die Heimat.

Andere Wege, unsere siebenbürgisch-sächsische Identität und Gemeinschaft zu stärken, wären die schon seit Jahrzehnten praktizierten Urlaubsformen in der Heimat. Auch sie vertiefen die Beziehung zu unserer Geschichte. Deshalb sollten sie weiterhin gepflegt werden. Nicht zuletzt sind es die verschiedenen Sommerprojekte mit Jugendlichen an symbolträchtigen, sächsischen Geschichtsplätzen in Siebenbürgen und die neuerdings in unseren Medien angekündigten Aufrufe und Einladungen zur Förderung nachhaltigen Handelns auf dem ehemaligen Lebensgebiet uns vorangegangener Generationen. Solches sollte, wenn möglich, auch mit Berücksichtigung von altem Brauchtum und Traditionen unserer Ahnen in Sachen Nachhaltigkeit erfolgen. Sie könnten ebenso einen Beitrag zur Stärkung siebenbürgisch-sächsischer Identität und Wegweisung für unsere Gemeinschaften sein, überall dort, wo unsere gemeinsame Geschichte noch im Vollzug ist.

Erwin Köber, Pfr. i.R., Lautertal

Schlagwörter: Identitätsdiskussion

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