26. Mai 2023

Wohin geht unsere Gemeinschaft? Initiative zum Erhalt der Identität der Siebenbürger Sachsen / Aufruf zur Diskussion und zum Mitmachen

In seiner Sitzung am 4. März 2023 hat sich der Bundesvorstand des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland mit dem Thema Identität befasst. Konkret angesprochen wurde die Frage: Wie können wir unsere Identität als Siebenbürger Sachsen in der Zukunft weitererhalten? Bundesvorsitzender Rainer Lehni startet die Identitätsoffensive mit grundlegenden Gedanken und ruft hiermit unsere Mitglieder und andere Interessenten auf, sich mit Beiträgen an dieser Diskussion zu beteiligen.
Junge Gesichter prägen den Heimattag den ...
Junge Gesichter prägen den Heimattag den Siebenbürger Sachsen, die Aufnahme entstand zu Pfingsten 2022. Foto: Siegbert Bruss
Für uns Siebenbürger Sachsen spielt der Grundgedanken der Gemeinschaft von jeher eine elementare Rolle. Rund 800 Jahre war diese Gemeinschaft, mit all ihren Wandlungen entlang der Jahrhunderte, im Karpatenbogen fest verwurzelt. Ein „Land des Segens“, wie es im Siebenbürgenlied heißt, war es nicht immer. Immer wieder gab es Angriffe auf diese Gemeinschaft. Mal waren es Osmanen oder Tataren, mal die Habsburger mit der Gegenreformation oder später die Ungarn mit ihrer rigiden Magyarisierungspolitik. Der 1919 begrüßte Anschluss an Rumänien führte auch nicht zu der erhofften Ruhe in der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Was aber unserer Gemeinschaft dann tatsächlich ein Ende der geschlossenen Siedlung in rund 250 siebenbürgisch-sächsischen Städten und Dörfern bescherte, waren der Nationalsozialismus und nach dem Zweiten Weltkrieg der vier Jahrzehnte dauernde Kommunismus. Als 1989 eine blutige Revolution die kommunistische Herrschaft in Rumänien hinwegfegte, lebte die Hälfte der Siebenbürger Sachsen bereits nicht mehr im angestammten Heimatgebiet. Die neu gewonnene Freiheit führte dazu, dass alle Dämme brachen, und kulminierte 1990/91 im vielgenannten Exodus, der dazu führte, dass heute nur noch mehrere tausend Landsleute in Siebenbürgen leben. Deutschland, Österreich, Kanada, die USA, aber auch andere Länder sind den Siebenbürger Sachsen zur neuen Heimat geworden. Die Flucht im Herbst 1944 aus Nordsiebenbürgen, die Entlassungen aus der Deportation in die Sowjetunion in das besetzte Deutschland, siebenbürgisch-sächsische Angehörige der deutschen Militäreinheiten, die nach dem Krieg in Deutschland verblieben, bis hin zur totalen Enteignung und Entrechtung in der Heimat, Familienzusammenführung und Massenauswanderung haben die Gemeinschaft in Siebenbürgen von Jahr zu Jahr schrumpfen lassen.

Wo steht unsere Gemeinschaft heute?

Über 95 Prozent unserer Gemeinschaft lebt heute außerhalb der angestammten Heimat. Die mit Abstand größte Gemeinschaft lebt in Deutschland, wo der Verband der Siebenbürger Sachsen seit 1949 ihre Interessen vertritt. Auch wenn der Verband aktuell „nur“ rund 27 000 Mitglieder zählt, kommt sein Einsatz allen Landsleuten zugute. Um auch in Zukunft eine kräftige Stimme zu haben, sind viele neue und vor allem jüngere Mitglieder notwendig. Hier ist der Verband bereits in die Werbeoffensive gegangen. Unser Verband bietet mit seiner Bundesebene, den acht Landesgruppen, rund 95 Kreisgruppen, zahlreichen Kulturgruppen und der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) ein breites Betätigungsfeld von Kultur- bis hin zur Gemeinschaftspflege. Praktisch ist für jede und jeden etwas dabei, man muss die Angebote nur annehmen und mitmachen. Das tun in der Tat sehr viele Landsleute, die noch zur sogenannten Erlebnisgeneration gehören, die diese Gemeinschaft in Siebenbürgen noch erlebt hat. Die heute 30-Jährigen und jünger hingegen kennen Siebenbürgen nur aus den Erzählungen oder den Besuchen in die Heimat der Eltern oder Großeltern. Hier ändert sich aktuell etwas Grundlegendes. Im Verband, und hier speziell in der Jugendgliederung, der SJD, wächst eine Generation heran, die sich ihr Wissen über Siebenbürgen und unsere Gemeinschaft hier in Deutschland angeeignet hat. Diese Generation wird nach und nach die Geschicke des Verbandes übernehmen. Dazu müssen wir heute die Weichen stellen und unsere Nachfolger zu dieser Gemeinschaft führen.

Hinzu kommen die Heimatortsgemeinschaften, die zum Großteil im Verband der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften zusammengeschlossen sind. Der HOG-Verband ist unser Schwesterverband und wir arbeiten eng zusammen. Die HOGs nehmen etwas andere Aufgaben wahr als jene der Kreisgruppen des Verbandes, indem sie die Gemeinschaft aus dem betreffenden Heimatort pflegen und den Kontakt zum Heimatort aufrechterhalten. Im Prinzip stehen die Heimatortsgemeinschaften genauso für die sächsische Gemeinschaftspflege, wenn auch mit einer etwas anderen Zielsetzung als im Verband der Siebenbürger Sachsen. Im Rahmen der vor 40 Jahren gegründeten Föderation der Siebenbürger Sachsen arbeiten die Verbände der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Siebenbürgen, Österreich, Kanada und den USA eng zusammen. Man ist sich bewusst: Siebenbürgen ist und bleibt der uns alle verbindende gemeinsame Dreh- und Angelpunkt. Dass die Zusammenarbeit sehr gut ist, zeigen die vielen Kulturaustausche und Föderationsjugendlager der Vergangenheit genauso wie die Teilnahme an den Heimattagen in Dinkelsbühl, Wels und Nordamerika sowie den Sachsentreffen in Siebenbürgen. 2017 zeigte sich das durch die Beteiligung vieler Landsleute aus all diesen Ländern am ersten Großen Sachsentreffen in Hermannstadt, seinerzeit vom HOG-Verband initiiert. Dieses alles sind begrüßenswerte Initiativen, die der Pflege der Gemeinschaft und Identität der Siebenbürger Sachsen dienen. Und das nicht nur auf dieser länderübergreifenden Ebene, sondern hin bis zur kleinsten Kreisgruppe oder Heimatortsgemeinschaft. Von großer Bedeutung sind die Beziehungen unseres Verbandes zur Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Unsere Heimatkirche, auch wenn sie zahlenmäßig klein geworden ist, bietet weiterhin die geistige Heimat für unsere Gemeinschaft. Auch wenn sie seit 100 Jahren nicht mehr explizit eine Kirche der Siebenbürger Sachsen ist, hat sie ihr Profil mit der siebenbürgisch-sächsischen evangelischen Tradition bis heute bewahrt. Auch die Heimatkirche ist einem Wandel unterzogen. Die Wandlung von einer Volkskirche zu einer Diasporakirche war nicht leicht, sie wird aber immer im Bewusstsein der Siebenbürger Sachsen, egal wo sie leben, als „ihre“ Kirche wahrgenommen.

Wohin steuert unsere Gemeinschaft?

Für mich ist eines klar: Der Verlust der Heimat Siebenbürgen als Ort wiegt schwer, ist heute in einer globalisierten und digitalisierten Welt aber nicht das Wichtigste. Besuche in Siebenbürgen sind durch gute Anbindungen an das Autobahnnetz von Mitteleuropa aus wesentlich erleichtert, ebenso die Anbindung an viele Flughäfen im deutschsprachigen Raum. Wer möchte, kann heute ohne größeren Zeitaufwand die Stätten der Kindheit und Jugend problemlos besuchen. Ich ermuntere Sie alle dazu.

Viel wichtiger ist aber, dass wir als Siebenbürger Sachsen diese unsere Identität bewahren und vor allem die junge Generation dafür begeistern. Das können die Verbände allein nicht tun. Hier braucht es das Bewusstsein in den Familien. Das ist in vielen Familien zum Glück noch da. Angefangen vom kulinarischen Familienrezept bis hin zum sächsischen Dialekt oder dem gemeinsamen Besuch in der Heimat kann jede Familie zum Erhalt dieser Identität beitragen. Der Verband der Siebenbürger Sachsen bietet den allgemeinen Rahmen, in dem sich unsere Volksgruppe ihre Identität und Gemeinschaft bewahren kann.

Selbstverständlich sind wir in Deutschland als Aussiedler oder Spätaussiedler anerkannt. Diese Anerkennung war nicht von Beginn an sicher. Nach dem Krieg haben sich die Gründerväter des Verbandes (von 1951 bis 2007 unter dem Namen Landsmannschaft firmierend) dafür eingesetzt, dass auch die Siebenbürger Sachsen als Kriegsopfer in Deutschland anerkannt und in den Genuss der gleichen Rechte wie die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aus den damaligen deutschen Ostgebieten kommen. Auch wenn es zwischendurch große Enttäuschungen, z.B. die Fremdrentenkürzung Mitter der 1990er Jahre gab, sind unsere Landsleute zum größten Teil gut bis sehr gut in die hiesige Gesellschaft integriert. Es war sicher nicht immer reibungslos. Trotz allem haben sich die meisten Landsleute beruflich gut eingegliedert. Die aktuellen Bestrebungen in der Politik, alle nach Deutschland Zugezogenen als Migranten zu bezeichnen, zwingen uns umso mehr darauf zu pochen, dass wir als Deutsche anerkannt sind, so wie wir uns auch immer gefühlt haben. Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge oder neuerdings dringend notwendige Facharbeiter haben selbstverständlich die Möglichkeit auch nach Deutschland zu kommen. Die Beweggründe allerdings sind verschieden. Der politische Duktus in der Bundesrepublik Deutschland hat aber auch dazu geführt, dass man Aussiedler und andere Zugezogene oft in den gleichen Topf wirft und als Migranten bezeichnet. Wir Siebenbürger Sachsen sind zwar auch zugezogen, aber auf Grund eines ganz anderen Artikels aus dem Grundgesetz und verwehren uns gegen den Begriff Migranten. Daher ist es unsere Pflicht, darauf zu beharren, als Deutsche oder deutsche Aussiedler bezeichnet und benannt zu werden. Siebenbürger Sachsen sind Deutsche nicht nur nach dem Grundgesetz, und als solche sollten wir unsere Gemeinschaft auch wahrnehmen und dadurch unsere Identität wahren.

Es liegt also an uns selbst, wie wir unsere Identität als Siebenbürger Sachsen erhalten und weitergeben. Unterstützen Sie unsere Gemeinschaft mit Ihrem Einsatz! Nur gemeinsam sind wir stark genug, um diese Gemeinschaft am Leben zu erhalten! Und machen Sie mit an der Diskussion über die Zukunft unseres Verbandes.

Rainer Lehni, Bundesvorsitzender

Schlagwörter: Gemeinschaft, Identität, Identitätsdiskussion, Rainer Lehni, Deutschland

Bewerten:

32 Bewertungen: +

Neueste Kommentare

  • 02.06.2023, 16:14 Uhr von Siegbert Bruss: Jeder ist eingeladen, seine Meinung zu sagen. Ob er seine Gedanken im Diskussionsforum auf ... [weiter]
  • 02.06.2023, 10:37 Uhr von gogesch: wie soll diese Diskussion stattfinden? [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.