5. Oktober 2002

Eingliederung von Aussiedlern in Berlin vernachlässigt

Barbara John ist im 21. Amtsjahr und damit Deutschlands dienstälteste Ausländerbeauftragte. Seit Berlin von einer rot-roten Koalition regiert wird, schließt der Zuständigkeitsbereich der CDU-Politikerin auch die Aussiedler ein: weit über 90 Prozent davon sind Russlanddeutsche. Dass man in Russland oder in Rumänien geboren wurde und dennoch Deutscher ist, können viele Einheimische nicht verstehen. Themen wie diese und Fragen der Integration von Aussiedlern sind Gegenstand des folgenden Interviews, das die Berliner Landesvorsitzenden der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen, Ernst Meinhardt bzw. Johann Schöpf, am 10. September 2002 mit Barbara John, der Berliner Beauftragten für Integration und Migration, führten.
Seit den Wahlen vom Herbst 2001 hat Berlin einen SPD-PDS-Senat. Seither sind Sie nicht nur für Ausländer, sondern auch für Aussiedler zuständig. Gibt es da nicht Konflikte, weil die Aussiedler im Gegensatz zu den Ausländern Deutsche sind?

Barbara John, seit kurzem zuständig auch für die Aussiedlerintegration in Berlin
Barbara John, seit kurzem zuständig auch für die Aussiedlerintegration in Berlin

Ich hatte schon vor der Erweiterung meines Arbeitsgebietes mit Fragen und Problemen von Aussiedlern zu tun. Bei der Integration spielt es eine untergeordnete Rolle, ob jemand als Ausländer kommt oder als Aussiedler. Wenn er Schwierigkeiten bei der Integration hat, ob gesellschaftlich, schulisch, beruflich oder wirtschaftlich, dann müssen Lösungen her. Jedoch bestehen große Unterschiede zwischen den Ausländern, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, und den Aussiedlern, die gleich nach ihrer Ankunft über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Es unterscheidet sie mit Sicherheit auch eine stärkere Nähe zur deutschen Kultur. Dennoch gibt es auch bei den Aussiedlern immense Integrationsprobleme, besonders bei den Jugendlichen. Ich bin der Auffassung, dass die gesellschaftliche Eingliederung von Aussiedlern in Berlin, gleichwohl eine große Gruppe, die in den nächsten Jahren wachsen wird, bisher vernachlässigt worden ist. Deshalb ist es mir ein Anliegen zu betonen, dass Berlin hier eine Aufgabe hat, und dass die bereitgestellten Mittel keinesfalls gekürzt werden dürfen.

Was können Sie konkret für einen Aussiedler tun, der zu Ihnen kommt?

Ich kann nur auf Hinweise reagieren, die mir vorgetragen werden. Aus meinen bisherigen Gesprächen mit dem Berliner Landesverband der Vertriebenen sowie mit anderen Hilfsorganisationen, aber auch mit Aussiedlern selber ergeben sich eine ganze Reihe von Problemen. Einmal die nicht ausreichenden Sprachkurse insbesondere bei den Russlanddeutschen; dann vor allem schulische Probleme der Jugendlichen. Das sind natürlich gravierende Probleme, weil sie in die Perspektivlosigkeit führen können. Ich habe mir vorgenommen, besonders auf diesem Gebiet aktiv zu sein. Denn ohne Schulabschluss, ohne Berufsausbildung ist Erfolg in dieser Gesellschaft nicht möglich.

Sind Sie auch zuständig für die Förderung der Sprachausbildung?

Freilich bin ich auf der politischen Ebene auch dafür zuständig. Die Sprachausbildung wird mit dem neuen Zuwanderungsgesetz reformiert werden. Wie, wissen wir alle noch nicht. Aber ich sitze in den einschlägigen Gremien und werde mich dafür einsetzen, dass über die 600 Stunden hinaus, die als Sprachunterricht für Aussiedler angeboten werden sollen, weitere Förderprogramme aufgelegt werden. Denn es ist absehbar, dass mit diesen eingeschränkten Sprachkursen die Integration in den Arbeitsmarkt nicht zu erreichen ist – weder bei zugewanderten Ausländern noch bei Aussiedlern.

In der Vergangenheit ist es in Berlin mitunter zu Auseinandersetzungen zwischen diversen Migrantengruppen gekommen. Ist nicht zu befürchten, dass es nun zu ähnlichen Schwierigkeiten kommt, wenn in den Deutschkursen verschiedene Migrantengruppen zusammengelegt werden sollen?

Nein, das wird sich ganz anders organisieren, weil vor dem Beginn des Sprachkurses eine Einstufung stattfinden wird. Ob das bei Aussiedlern genauso ist wie bei den neu zuwandernden Ausländern, das muss man sehen. Möglicherweise nicht, denn durch die Aufnahme ist ja schon festgestellt, dass sie im Unterschied zu den meisten Ausländern über einfache Sprachkenntnisse verfügen. Entscheidend beim Erlernen einer Sprache ist, dass man möglichst da anfängt, wo Defizite bestehen. Und das sieht bei Aussiedlern in der Regel anders aus als bei vielen Ausländern. Befürchtungen, dass ein Anfänger neben einem Fortgeschrittenen sitzt, lassen sich also zerstreuen.

Die Mittel, die für die Sprachschulung zur Verfügung stehen, sind sehr knapp.

Wir erwarten für dieses und das kommende Jahr ca. 180 000 Zuwanderer mit Anspruch auf einen Integrationskurs. Und wir wissen jetzt schon, dass die Mittel für Sprachkurse rein kalkulatorisch errechnet worden sind. Anstatt zu ermitteln, wie viele Stunden notwendig sind, um die Sprache ausreichend zu erlernen, interessierte nur die Frage, wieviel der Bund bisher für die Sprachförderung ausgegeben hat. Dabei hat sich der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert. Überdies müssen die Bundesländer nochmals die Hälfte zuschießen oder wenigstens einen Teil. Und auch die Teilnehmer müssen sich beteiligen. Pro Unterrichtsstunde können nur 2,05 Euro aufgewandt werden. Das ist eigentlich eine Karikatur dessen, wie ein Sprachkurs aussehen müsste. Mit Sicherheit ist zu wenig Geld vorhanden.

Mussten Sie Ihr Amt umorganisieren nach der Erweiterung Ihres Kompetenzbereiches? Haben Sie jetzt Leute, die sich speziell um Aussiedler bzw. Ausländer kümmern?

Ich habe eine Mitarbeiterin bekommen, die zuvor dort gearbeitet hat, wo die Grundsatzfragen der Integration von Aussiedlern behandelt wurden. Ich werde noch weitere Mitarbeiter aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales bekommen, jedenfalls hoffe ich das. Die besagte Mitarbeiterin ist hauptsächlich für den Kontakt zu den Verbänden zuständig.

Erhebliche Schwierigkeit bei der Integration von Spätaussiedlern bereitet die Enttäuschung dieser Leute, dass man sie hier nicht als Deutsche anerkennt. Haben Sie die Möglichkeit, eine Informationsbroschüre speziell für Bundesdeutsche aufzulegen

Ich bereite die Herausgabe einer periodischen Informationsbroschüre mit dem Titel „Navigator“ vor. Es hapert allerdings nicht an Literatur über die Geschichte und das Schicksal von Aussiedlern. Die Frage ist nur, ob das jemand lesen will. Ich denke, dass man auf anderem Wege versuchen sollte, diese Gruppe stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen. Das Interesse an Zuwanderung ist im Moment ohnehin etwas abgeschwächt. Aber das wird sich nach der Bundestagswahl wieder ändern.

Vielen Dank für das Gespräch.

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