10. Februar 2005

Quantensprung in der Krebstherapie

Harry H. Binder, Dipl. Phys.-Chem. Wissenschaftlicher Berater, weist im folgenden Beitrag auf die Möglichkeiten hin, Krebs mit Protonen zu heilen. Wie wichtig die physikalische Forschung für unser Leben ist, zeigt vor allem die Nutzung von Elementarteilchen in der Medizin. Die Idee ist nicht neu. Schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde weltweit in zahlreichen Forschungseinrichtungen die Wirkung von Protonen, Elektronen, Pionen, Neutronen und schweren Ionen in der Krebstherapie erforscht. Vor allem die Protonentherapie verspricht gute Heilungschancen bei größtmöglicher Schonung der Patienten und relativ vertretbaren Kosten. Diese Therapie wird bis auf Einrichtungen in den USA, Japan und der Schweiz kaum angewandt, befindet sich aber auch in Deutschland auf dem Vormarsch.
Millionen Menschen erkranken weltweit jährlich an Krebs. Trotz enormer Fortschritte in der Krebstherapie kann heute kaum die Hälfte aller krebskranken Patienten dauerhaft geheilt werden. Allein in Deutschland werden pro Jahr rund 350 000 Neuerkrankungen verzeichnet. Dank frühzeitiger Diagnose und besserer Behandlungsmöglichkeiten sind die Heilungschancen in den letzten Jahren zwar gestiegen, aber Krebs ist heute nach Herzkreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache, Tendenz steigend. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose haben sich bei knapp der Hälfte aller Patienten schon Metastasen gebildet, was eine Heilung kaum mehr möglich macht. Hier kann nur noch Schmerz lindernd, palliativ, eingegriffen oder eine kurzzeitige Lebensverlängerung erreicht werden. Die restlichen Patienten, bei denen der Tumor noch lokal begrenzt ist, sind mit konventionellen Behandlungsmethoden – Chirurgie, Strahlentherapie (mit Röntgenstrahlen) und Chemotherapie – meistens heilbar.

Dennoch können viele Patienten wegen der komplizierten Lage des Tumors in der Nähe von Risikoorganen wie Hirnstamm, Hirnnerven, Sehnerven u.a. weder durch eine Operation noch durch Strahlentherapie behandelt werden. Mehr als 20 000 dieser Patienten, insbesondere solche mit inoperablen Schädelbasis- und Hirntumoren, Prostatakarzinomen, Augenmelanomen u.a., könnten jährlich in Deutschland von der Protonentherapie profitieren. Die Idee, geladene Teilchen in der Krebstherapie einzusetzen, ist nicht neu. Bereits 1954 wurde der erste Patient in einem Forschungsinstitut in Berkeley, USA, mit Protonen bestrahlt. Weitere Institute in den USA, in der Schweiz, Schweden. Russland, Japan, Deutschland u.a. folgten und stellten zeitweise ihre Geräte der medizinischen Forschung zur Verfügung. Aber erst mit dem Einsatz neuer Diagnoseverfahren wie Computertechnik, Computer- und Kernspintomographie, hochentwickelter Elektronik und intelligenter Software konnte diese Therapie erfolgreich eingesetzt werden. Die ersten Kliniken entstanden 1994 in Loma Linda und 2001 in Boston, USA, zwei weitere in Japan. In den weltweit etwa 40 Forschungs- und Therapieeinrichtungen wurden bis heute knapp 50 000 Patienten mit Protonenstrahlen erfolgreich behandelt. In München geht Anfang 2005 die europaweit erste Klinik in Betrieb, gefolgt von weiteren Kliniken in Köln, Essen, Erlangen, Berlin und Heidelberg.

Protonen, die Kerne der Wasserstoffatome, verhalten sich wegen ihrer relativistischen Eigenschaften im Gewebe anders als Photonen (Röntgenstrahlen). Während Photonen sowohl im Eintrittskanal bis zum Tumor als auch hinter dem Tumor einen großen Teil ihrer Energie (Dosis) abgeben, und dabei gesundes Gewebe beschädigen, geben Protonen ihre größte Energie erst am Ende der genau berechneten Reichweite, dem sogenannten „Bragg Peak“ ab. Damit kann die therapeutische Dosis genau im Tumor platziert werden, gesundes Gewebe wird weitgehend geschont. Durch Energievariation der Protonen kann die Tiefe des „Bragg Peaks“ beliebig verändert werden. Für die Therapie werden die Protonen in einem Zyklotron (Kreisbeschleuniger) oder einem Synchrotron (Ringbeschleuniger) auf Energien bis 250 MeV (das entspricht 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit) beschleunigt und anschließend durch ein Vakuumsystem mit Fokussier- und Umlenkmagneten zum Behandlungsplatz geleitet. Ein isozentrisches, um 360 Grad rotierendes Strahlführungssystem , die Gantry, ermöglicht es den dünnen Protonenstrahl von jedem gewünschten Winkel aus auf den Tumor zu richten. Mit der erreichten Energie können Tumoren bis zu einer Körpertiefe von 35 cm bestrahlt werden.

Das am Paul Scherrer Institut (PSI) in der Schweiz und der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt (GSI) entwickelte Intensitätsmodulierte Rasterscanverfahren erlaubt eine äußerst präzise dreidimensionale Bestrahlung der Tumoren. Hochpräzise Geräte zur Dosis- und Strahlüberwachung garantieren größte Sicherheit für die Patienten während der ambulanten und völlig schmerzfreien Therapie.

Die äußerst aufwendige Technik macht Protonenanlagen sehr teuer. So kostete das privat finanzierte „Rinecker Proton Therapy Center“ in München über 120 Millionen Euro. Hier sollen jährlich 4 000 Patienten behandelt werden. Deutschlandweit sollen in den nächsten Jahren ca. 10 bis 15 Protonenzentren entstehen. Neben Protonen werden auch schwere Ionen, vor allem Kohlenstoffionen in der Krebstherapie eingesetzt. Eine solche Klinik entsteht zurzeit in Heidelberg.

Harry H. Binder

Bewerten:

1 Bewertung: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.