22. Dezember 2009

Jugendliche untersuchen den Wandel des Ceaușescu-Bildes

Der Wandel des Ceaușescu-Bildes im Spiegelbild der Medien und in der Erinnerung der Zeitzeu­gen, ein gemeinsames Projekt des Stephan-Ludwig-Roth-Lyzeums in Mediasch und der Europaschule Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Leverkusen, wird von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördert.
Eine international besetzte Jury aus Pädagogen und Historikern hat am 2. März 2009 in den Berliner Räumlichkeiten der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ über die ein­­gereichten Projektskizzen zum diesjährigen Ausschreibungsthema „1939-2009: Freund und Feind in den Medien“ entschieden. Aus über 125 Bewerbungen aus Europa und Israel wählte die Jury 54 Projekte aus, die zur Förderung empfohlen wurden. Dazu gehört auch das gemeinsame Projekt des „Stephan-Ludwig-Roth-Lyzeums“ in Mediasch und der Europaschule „Freiherr-vom-Stein-Gym­nasium“ in Leverku­sen zum Thema „Vom Liebling des Westens zum Monster von Bu­karest. Jugendliche aus Rumänien und Deutsch­land untersuchen den Wandel des Ceaușescu-Bil­des im Spiegelbild der Medien und in der Erinnerung der Zeitzeugen“. Für die gemeinsame bis zu einjährige Projektarbeit stellt die Stiftung den beiden Schulen rund 11 000 Euro zur Verfügung. Darüber hinaus erhielten die Projektleiter und Schülervertreter beider Schulen in einem mehrtägigen kostenfreien internationalen Vorberei­tungsseminar in Berlin inhaltliche und methodische Unterstützung für die Projektarbeit und für die Verwaltung der Fördermittel. Die Druckle­gung und Präsentation der Projektergebnisse wird mit weiteren Zuschüssen der Stiftung von bis zu 5 000 Euro gefördert.

Jene Bilder vom 25. Dezember 1989 – der tote rumänische Staatschef Nicolae Ceaușescu nach seiner Erschießung durch ein Hinrichtungskom­mando der rumänischen Streitkräfte – sind bis heute im kollektiven Gedächtnis Europas prä­sent. 24 Jahre lang, von 1965-1989, stand Ceau­șescu als Nachfolger Gheorghe Gheorghiu-Dejs an der Spitze des rumänischen Staates, zunächst international präsent, vom Westen umworben und von Moskau nur hin und wieder ermahnt; seit den 80ern isoliert und dem Druck von beiden Seiten ausgesetzt. In der Hinrichtung des Staatsoberhauptes und Parteivorsitzenden sahen viele den Höhepunkt kommunistischer Macht­abgabe im Osten des Kontinents, seine wahren und vermeintlichen Taten als finalen Beweis der Unmenschlichkeit des Kom­munismus an sich.

Ceaușescu galt in den Medien der Bundesre­publik vor allem nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Bonn und der scheinbaren Auflehnung gegen die sowjetische Bevormun­dung des Ostblocks als Freiheitskämpfer. Unsere Medien entwickelten ein Freund-Bild, das oft jeden kritischen Blickwinkel auf die katastropha­len Auswirkungen der Diktatur dieses Potentaten in Rumänien ausschloss und jeden Kritiker seiner Innenpolitik sofort zum „kalten Krieger“ abstempelte. Wann begann dieses Freund-Bild zu wanken? Welche Ereignisse und Hintergründe führten dazu? Mit diesen Fragen werden sich 24 Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte (Jahrgangsstufe 12) am Leverkusener Gymnasium zusammen mit 24 Kommilitonen der deutschen Abteilung am Mediascher Ly­zeum in den nächsten Monaten auseinandersetzen.
Im Ausstellungsraum der Stiftung „EUROPEANS FOR ...
Im Ausstellungsraum der Stiftung „EUROPEANS FOR PEACE“ in Berlin werden die einzelnen Projekte von den Gästen aus dem Ausland begutachtet und beurteilt.
Die Dokumentationsarbeit begann mit einer Studienfahrt der Schüler aus Leverkusen, die Anfang Oktober für 15 Tage nach Mediasch, Her­mannstadt und Kronstadt fuhren, um im Rahmen einer intensiven Archivarbeit das Propagan- ­dabild und den Personenkult Ceaușescus in den rumänischen Medien bis 1989 zu dokumentieren. Dieser Personenkult, der um den rumänischen Diktator, den „Helden der Helden“, insze­- niert wurde, nahm nicht nur absurde Ausmaße an, sondern förderte eine Gigantomanie, mit der Größe vorgetäuscht werden sollte, wie die Fertigstellung des Donau-Schwarzmeer-Kanals, der Bau des riesigen „Hauses des Volkes“, für das in Bukarest ein Areal mit 9 000 Häusern, Kirchen und Klöstern eingeebnet wurde, oder das Vorha­ben der „Systematisierung“ des ganzen Landes, wodurch Dörfer verschwinden und die Menschen in Plattenbau-Agrarsiedlungen angesiedelt werden sollten. Die Berichte der rumänischen Medien werden anlässlich des Auf­enthaltes in Siebenbürgen durch Zeitzeugenbe­fragungen ergänzt, um festzustellen, wie dieses Propagandabild von den einzelnen Menschen wahrgenommen wurde. Der Projektleitung in Mediasch ist es gelungen, nicht nur ehemalige Opfer der Dikatur als Zeitzeugen zu gewinnen, sondern auch ehemalige Mitglieder des kommunistischen Machtapparates sowie Mitglieder der berüchtigten Geheimpolizei „Securitate“.

Die zweite Phase der Projektarbeit wird mit dem Besuch der Mediascher Schülerinnen und Schüler eingeleitet, die im Frühjahr 2010 zusammen mit ihren Partnern in Leverkusen das von den Medien im Westen propagierte Bild des rumänischen Diktators bis 1989 dokumentieren und die Hintergründe des Wandels dieses Bildes zwischen 1980-1989 vom Positiven zum Negati­ven erforschen wollen. Auch in Leverkusen werden Zeitzeugen befragt, die nach ihrer Umsied- ­lung in die Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren mit dem positiven Ceaușescu-Bild konfontiert wurden und es sehr schwer hatten, dieses Bild anhand ihrer Erfahrungen in Rumänien zu korrigieren.

Durch die Dokumentation der Unmenschlich­keit einer Diktatur soll die demokratische Wert­orientierung der Teilnehmer gestärkt und damit eine Außenwirkung erzielt werden, die weit über die Zahl der Projektteilnehmer hinausgeht. Gleichzeitig sollen die Jugendlichen eine Ant­wort darauf finden, wodurch sich die Rolle der Medien in Diktaturen und Demokratien unterscheidet und wie in Diktaturen durch die Medien als Instrumente der Propaganda Menschen manipuliert und zu Unterwürfigkeit und Hass erzogen werden. Das Projekt verfolgt auch das Ziel der Intensivierung und Festigung der Partner­schaft zwischen den Schülern beider Schulen, denn der inzwischen zum Teil multikulturelle Charakter der Mediascher Schule soll produktiv für alle in der Projektgruppe genutzt werden. Gerade die unterschiedlichen sprachlichen und sozialisatorischen Traditionen der einzelnen Schülergrup­pen sollen in der praktischen Doku­mentationsarbeit eingesetzt werden.

Die Schüler des Leistungskurses Geschichte am Freiherr-vom-Stein-Gym­nasium Leverkusen haben die Möglichkeit, ihre Projektarbeitsergebnisse im Rahmen des Zentralabiturs als besondere Lernleistung einzubringen. Eine gute bis sehr gute Leistung in diesem Bereich kann die Abiturabschlussnote erheblich verbessern.

Auf der Grundlage der Archivarbeit wird die Projektgruppe eine schriftliche Dokumentation zusammenstellen mit dem Ziel der Präsentation sowie der Umsetzung des Themas im Unterricht. Mit dem umfangreichen Filmmaterial, über das sie schon verfügt (Mitschnitte der Brennpunkte von ARD und ZDF bis Januar 1990; Aufnahmen aus dem geheimen Filmarchiv Ceaușescus und von der Zeitzeugenbefragungen), wird ein Film unter dem Titel „Ceaușescu – Der Tod eines Diktators im Spie­gelbild der Medien und in der Erinnerung der Zeitzeugen“ erstellt, der in Mediasch und Leverkusen öffentlich vorgeführt werden soll. Damit soll das Interesse der Zuschauer über das Thema hinaus für das jeweilige andere Land geweckt werden. Vor allem für die rumänische Sei­te ist das sehr wichtig, wenn man bedenkt, wie gering dieses Interesse in der Bundesrepublik Deutschland ist. Gleichzeitig woll­en die jungen Leute den Zuschauern vermitteln, wie sich die Rolle der Medien in Diktaturen und Demokratien unterscheidet.

Hans Gerhard Pauer

Schlagwörter: Zeitgeschichte, Mediasch, Leverkusen, Schule

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