25. September 2010

Wandernde Humanisten - Anthologie der donauschwäbischen Literatur

Zu „Die Erinnerung bleibt“ – Donauschwäbische Literatur seit 1945. Eine Anthologie. Band 4, K-L. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Stefan Teppert, Hartmann Verlag, Sersheim, 2009, Seiten 1.114, 35 Euro.
Die Anthologie der donauschwäbischen Literatur, Band 4, Buchstaben K-L, zieht eine Art Bilanz. Die 62 Autoren dieses Bandes stammen hauptsächlich aus den donauschwäbischen Gebieten, dem Banat in Rumänien, der Batschka und aus der Baranya. Die Autoren sind nach alphabetischen Gesichtspunkten eingereiht, wobei die Arrivierten unter ihnen nicht namentlich besonders herausgestellt werden; die Autoren sind nicht Generationsgenossen, aber sie werden auf der Ebene ihrer Abstammungsmerkmale gleichgestellt markiert.

Die vom Herausgeber Stefan Teppert ausgewählten Texte sind häufig unveröffentlichte Beiträge und manchmal echte Entdeckungen. Jeder Autor wird mit einer kurzen biographischen Note eingeführt, die oft auch Hinweise auf ihre Tätigkeiten in ihrer jetzigen Heimat enthält. Mit zwei Ausnahmen – Heinrich Krassa (1869-1950) aus Wien und die Freiburgerin Gerda von Kries (1901-1972) – sind alle im donauschwäbischen Raum geboren. Aber auch am Rande der von Donauschwaben besiedelten Gebiete wurde Teppert fündig: Heinrich Kipper (1875-1959) ist aus der Bukowina und Karl Korn (1883–1960) aus Radautz. Die Wirkungszeit der Autoren liegt überwiegend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.

Die Frage, welche Gedichte, Prosa und Theaterstücke Aussicht haben, sich im Kanon der Aufhebenswerte zu etablieren, wird hier nicht gestellt. Darum geht es auch nicht in dieser Anthologie. Dass nur einige dieser Werke auf längere Sicht „bleiben“ werden, ist nicht ausschlaggebend. Eine Prognose, welche dieser Werke die Zeit überdauern und bei den Nachkommen weiterbestehen, ist somit nicht zu machen. Die Unterschiedlichkeit der Texte von Autoren verschiedenen Alters, Ranges, Bekanntheitsgrads und Verbreitung kann größer nicht sein als die im Buch vereinten. Doch als Zeitzeugen einer Kultur im Untergang sind diese Texte für Ethnographen, Sprachwissenschaftler und Historiker interessant. Für die Angehörigen und deren Nachkommen dieser Volksgruppen sind sie nicht nur ein Stück Erinnerung, sondern auch ein Zeitspiegel der Sitten und Bräuche, der Besonderheiten der Sprache dieses europäischen Kulturraums. Literarisch sind auch Entdeckungen für Neugierige zu machen, wie zum Beispiel Roland Kirsch (1960-1989) mit seinen posthum veröffentlichten „Prosaminiaturen“, 2000 herausgegeben von Richard Wagner und Herta Müller. Franz Xaver Kappus (1883-1966) ist der Empfänger von Rilke-Briefen, Karl Kerenyi alias Karl Kinzig (1897-1973) ist dem deutschen Leser als Rudi Waldheim im 1973 veröffentlichten Roman von Antal Szerb „Reise im Mondlicht“ bekannt – ein europäischer Bildungsbürger und „wandernder Humanist“. Sein Briefwechsel mit Thomas Mann und Hermann Hesse ging auch in die Literatur ein (Kerenyi, Karl – Hermann Hesse: Briefwechsel aus der Nähe, Zürich 1972, S. 204).

Etablierte Autoren wie Heinrich Lauer (1934-2004), früherer „Neuer Weg“-Journalist, bekannt für schöne Reisereportagen oder Marius Koity (Jahrgang 1966) und Johann Lippet aus der Banater Aktionsgruppe (Jahrgang 1951) sind ebenso vertreten. Andere Autoren, die sich auch Heimatdichter titulieren, deren so manches Gedicht vielleicht unter den Landsleuten einen kanonischen Rang erreicht hat, sind Anton Kiss aus Nitzkydorf, Franz Keller aus Freidorf, Stefan Kaufmann aus Rudolfsgnad, Susanna Karly-Berger aus Wudersch, Josef Kanter aus Sagetal, Josef Kopp aus Tschanad, Matthias Lämmli aus Miletitsch, Helga Korodi aus Temeswar und so weiter. Johann Kandler, der seine Erinnerungen an die Deportation nach Russland und in den Bărăgan aufgeschrieben hat, spannt einen weiten Bogen von der Deportation zu der schwierigen Zeit danach, in der „die Versuche, wieder Heimat und Anschluss zu finden nach der langen Abwesenheit“, geschildert werden (Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2009, Seite 7).

Deportation, Flucht, Vertreibung und Verfolgung, Krieg, der Wandel der Gemeinschaft nach dem Kriegsende und die Ausreise oder Aussiedlung aus der Urheimat werden in den Beiträgen autobiographisch aufgearbeitet. Eine größere Textvielfalt wünschte man sich manchmal, um ein umfassenderes Bild des Autors zu bekommen. Zensierte Literatur aus Zeit des Kommunismus ist nicht erkennbar. Ideologisch gefärbte Texte wurden augenscheinlich vermieden. Die donauschwäbischen Autoren pflegen eine sorgfältige Spracharbeit, seien es nun Hochsprache, Mundart oder Umgangssprache. Die Beschreibungen der Lebenswirklichkeit und -bedingungen, Daseinsidentitäten und Befindlichkeiten reihen sich ein zu Themen wie Liebe, Tod und Leid; zusammengefasst also allgemeine literarische Themen, wenn man Reich-Ranicki, „Es ist eine alte Wahrheit: Im Grunde kennt die Literatur nur zwei große Themen – die Liebe und den Tod“ (F.A.S. vom 30.05.2010, S. 23), glauben will. Die Autoren geben sich souverän, eigenwillig, gesellschafts- und landschaftsbezogen. Sie beherrschen die poetischen und rhetorischen „Materialien“ der Sprache. Sie setzen Metaphern zielsicher ein, spielen leichthin mit Redeformeln, Umgangssprache, Mundart und Zitaten und gehen unbefangen mit fremdsprachlichen Sprachpartikeln sowie dem Lokalkolorit um. Die Schreibenden, in deren Physiognomie bei aller Individualität immer der kollektive Echoraum, der donauschwäbische Raum, mitschwingt, sehen sich bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Abstammung verpflichtet: Ihre Heimat prägten auch ihre Schriften. Deswegen ist die Anthologie interessant und liest sich aufregend, auch wegen der vielen verschiedenen Idiome. Im donauschwäbischen Raum ist das rumänische Banat das tonmächtigste, vertreten durch 56 Autoren. Wer die Reise durch einen ehemals historisch-multikulturellen Raum Mitteleuropas und seiner Autoren mitmachen will, sollte sich auch diese Bücher anschaffen, obwohl für jüngere Leser eine Landkarte hilfreich gewesen wäre mit den verschiedenen Herkunftsorten. Dem Germanisten Teppert ist zu gratulieren für das einzigartige Gelingen, einen weiteren Band der Anthologie, die auf sieben Bände angelegt ist, veröffentlicht zu haben, mit dem Ziel, eine Epoche deutscher Kulturgeschichte aus ihrer Vergessenheit zu tragen.

Katharina Kilzer


Stefan Teppert (Herausgeber): „Die Erinnerung bleibt: Donauschwäbische Literatur seit 1945. Eine Anthologie. Band 4, K-L“ Hartmann Verlag, Sersheim, 2009, 1 114 Seiten. Zum Preis von 35,00 Euro zu beziehen beim Oswald Hartmann Verlag, Postfach 11 39, 74370 Sersheim, Telefon: (0 70 42) 3 36 04, Fax: (0 70 42) 83 00 59.

Schlagwörter: Literatur, Donauschwaben

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