4. Januar 2012

Staunenswertes über das Alltagsleben in Mühlbach

Chroniken von Zeitzeugen, Aufzeichnungen, Tagebücher, Lebenserinnerungen, Selbstzeugnisse, Briefe, Berichte, Reisebeschreibungen, Presseveröffentlichungen und Ähnliches sind zu allen Zeiten von der Geschichtsschreibung als authentische Quellen und Dokumente in Anspruch genommen worden, auch wenn sie zum Teil subjektive Perspektiven widerspiegeln, was aber dem Wahrheitsgehalt meist keinen Abbruch tut. Unser historisches und kulturgeschichtliches Wissen wäre ärmer, wenn es einen Hieronymus Ostermayer, Georgius Krauss, Johann Tröster, Adam Krickel, Wilhelm Mild, Emil Sigerus, Rudolf Wagner-Régeny, Ranko Burmaz, Jakob Rannicher, Alfred Hönig, Johann Böhm, Irene Mokka, Hans Zikeli, Johann Untch, Otto Dück, eine Ella Gmeiner und andere nicht gegeben hätte.
Manches davon liest sich überdies, als ob Großvater oder Großmutter von vergangenen Zeiten erzählten: Wer hörte da nicht gerne zu. So kann sich auch der Nichtfachmann an diesen Zeugnissen erfreuen, seine Wissbegierde befriedigen und sein Wissen ergänzen, wie man sich überhaupt dem Charme und Zauber solcher schriftlicher Erlebnisberichte und Zeitbilder nicht entziehen kann. Mit den „Erinnerungen aus den Jahren 1844 bis 1910 in Siebenbürgen“ von Josef Schoppelt geht es uns genau so.

Otto Rodamer ist auf eine Familienchronik und auf Lebenserinnerungen seines Ururgroßvaters Josef Schoppelt gestoßen und hat Letztere im April 2011 im Verlag Books on Demand GmbH Norderstedt herausgebracht. Josef Schoppelt (1837-1929) war ein sehr angesehener und sozial engagierter Bürger im siebenbürgischen Mühlbach (heute Sebeș), Zunftvorsteher, Mitbegründer des Mühlbacher Bürger- und Gewerbevereins, Mitglied im Direktorialrat des Spar- und Vorschussvereins, seines Zeichens Schuhmachermeister, Landwirt und Weinbauer. Seine „Erinnerungen“ sind schon einmal – 1920 in Mühlbach – in kleiner Auflage im Druck erschienen, heute existieren nur wenige Exemplare davon. Aus Schoppelts Vorwort geht hervor, dass er sich dessen bewusst war, weder eine wissenschaftliche noch literarische Arbeit geliefert zu haben. Nichtsdestoweniger enthält seine Schrift viel geschichtlich Wissenswertes, von der Wissenschaft zu verwertende Informationen und für den Leser kurzweilig-unterhaltsame wie aufschlussreiche Darstellungen aus vergangener Zeit.

Wir lesen interessante Beschreibungen und Details, auch manch Überraschendes, ja Staunenswertes über das Alltagsleben jener Zeit, über Schulbetrieb, Vereine, Zünfte, Bräuche, Landwirtschaft, Lebensumstände und -gewohnheiten, aber auch über politische Ereignisse, gesellschaftliche Umbrüche und die turbulente Zeit von 1848/49. Die zeitbedingte, stellenweise etwas holprige, jedoch reizvolle Sprache Schoppelts wurde beibehalten, heute nicht geläufige Begriffe werden vom Herausgeber erläutert. Eine ansprechende Aufmachung, Illustrationen, Stadtpläne und ein Plan der Hausbesitzer von 1926 ergänzen und bereichern das äußerst attraktive Büchlein. Die nicht immer glückliche Textaufteilung und einige Druck- und Satzfehler – fast kein heutiges Druckerzeugnis ist frei davon – verzeiht man gerne.

Karl Teutsch


Otto Rodamer (Hrsg.): „Josef Schoppelt, Erinnerungen aus den Jahren 1844 bis 1910 in Siebenbürgen“, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2011, 79 Seiten. ISBN 978-3-8423-6319-9. Erhältlich über den Buchhandel zum Preis von 6,90 Euro (einschl. Versand), in Siebenbürgen im Erasmus Büchercafé und in der Schiller-Buchhandlung in Hermannstadt sowie in Buchhandlungen anderer siebenbürgischer Städte (Preis: 30 Lei).

Schlagwörter: Rezension, Mühlbach

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