17. Oktober 2012

Karin Bruders neues Jugendbuch „Asphaltsommer“

Viebke ist 17, schlecht gelaunt und hat ein „verkrüppeltes Bein“. Wegen eines Autodiebstahls muss sie in den Sommerferien 21 Tage Sozialdienst im Altenheim leisten, was ihr den Frankreichurlaub mit Constantin vermiest. Am siebten Tag ist sie so genervt und von Liebeskummer zerfressen, dass sie abhaut – genau wie der Senior Hans Langhans, in dessen Wohnmobil eine gemeinsame Odyssee beginnt, die für beide Folgen hat.
Viebke lernt Constantin, den vier Jahre älteren Sportstudenten, bei einer Party kennen, zu der er eigentlich wegen Bettina gekommen ist, und verliebt sich auf der Stelle unsterblich in ihn, wie das 17-Jährige so an sich haben. „Und in mir war ein Feuer entbrannt, das sich jedem Löschversuch hartnäckig widersetzte. Constantin, hellblond, ein knuspriges Brötchen, mit leckerer Kruste, innen weich und herrlich duftend, trat in mein Leben. Ich war mir sicher, dass er mir ziemlich schnell auf den Wecker gehen würde. ,Ich liebe dich‘, sagte ich zwei Wochen später zu ihm. ,Ich weiß‘, sagte er.“ Die Tragik der Teenagerjahre in fünf Sätzen zusammengefasst – Viebkes Gefühlslage ist klar umrissen. „Es gab so wenige Menschen, bei denen ich sein wollte. (...) Constantin war anders als die anderen. Mit ihm konnte ich ganz wunderbar schweigen.“ Diese exzessive, unbedingte, aber auch etwas einseitige Liebe bekommt durch Viebkes Autodiebstahl einen gewaltigen Knacks: Der schöne Blonde lässt sie nach drei Monaten sitzen und nimmt statt ihrer, die sich gezwungenermaßen um alte Leute kümmern muss, „ausgerechnet Bettina“ mit nach Frankreich, „Bettina, die Nichtperson“.

Wie praktisch, dass der Altenheimbewohner Hans Langhans, ein gebürtiger Repser, sich just am siebten Tag von Viebkes Sozialdienst nach Frankreich absetzen will. Seine Frau ist erst kurz zuvor gestorben, und da er nur wegen ihr ins Heim gezogen ist, kann er es jetzt wieder verlassen, um mit seinem Wohnmobil nach Toulouse aufzubrechen, wo er etwas zu erledigen hat. Die beiden unfreiwillig Zusammengewürfelten sind ein ungleiches Gespann und mögen sich auch nicht besonders, raufen sich aber während der Reise irgendwie zusammen. Viebke möchte Constantin zurückerobern und Langhans seine Vergangenheit aufarbeiten, und da beides in Frankreich passieren soll, haben sie wenigstens eines gemeinsam: das Ziel der Reise.

Wie in ihrem letzten Buch „Zusammen allein“, das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 nominiert war (SbZ Online vom 22. Oktober 2011), konfrontiert Karin Bruder ihre Leser in „Asphaltsommer“ mit einer weiblichen, pubertierenden Hauptfigur, die abwechselnd wütend und verzweifelt, verliebt und verklemmt, entschlossen und wankelmütig ist, und manchmal auch alles gleichzeitig. Sie trifft mit Viebke den Ton und die Gefühlslage einer 17-Jährigen sehr genau, und man fühlt sich – sofern man eine Frau ist – beim Lesen unweigerlich an die eigene Jugend erinnert, spürt den damaligen Verliebtheiten und Launen nach und schämt sich auch ein bisschen, als würde man das eigene Tagebuch aus Teenagerzeiten lesen. Wie verrückt und hormongebeutelt, wie unsicher und gleichzeitig (t)rotzig kann man mit 17 sein, wie viel unendliche Liebe und zugleich abgrundtiefen Hass kann man einem armen, genauso unfertigen 21-Jährigen entgegenbringen, und wie schnell wech­seln die Stimmungen, wenn man noch nicht so genau weiß, wer oder was ober ob man überhaupt sein möchte? „Vielleicht will man ja sterben, wenn man richtig verliebt ist.“ Ja, das soll es geben.

Viebke ist nicht besonders liebenswert, aber man kann sie verstehen, wenn man die Tür zur Vergangenheit noch nicht ganz zugeschlagen hat, noch nicht ganz erwachsen ist. Langhans hingegen ist überzeichnet. Als gebürtiger Siebenbürger beginnt er jeden zweiten Satz entweder mit „no“ (mit kurzem, offenem „o“) oder mit „joi“, was sehr schnell sehr anstrengend wird und nicht entscheidend zu seiner Charakterisierung beiträgt. Seine Lebensgeschichte, die sich während der Reise nach und nach entfaltet, ist – gelinde gesagt – abenteuerlich: von Siebenbürgen als Halbwüchsiger nach Spanien, um gegen Franco zu kämpfen, dann nach Frankreich zur Résistance, um gegen die Nazis zu kämpfen, von dort nach dem Krieg zurück nach Siebenbürgen – zum Glück spät genug, um der Deportation nach Russland zu entgehen – und dann sehr bald nach Deutschland, weil das System in Rumänien unerträglich ist. Henny Kastler, seine erste Frau, ist der Grund für die Frankreichreise, denn sie lernte er dort im Widerstand kennen, mit ihr hat er eine Tochter, Verbindungen zu den Nachkommen anderer Kameraden bestehen noch. Alte Briefe und Tagebucheinträge von Henny, die Langhans mit sich herumträgt und Viebke eines Tages liest, lassen erahnen, welches Potenzial in der Geschichte steckt, aber leider dauert dieses Abtauchen in die Vergangenheit nicht sehr lang.

Sprachlich bleibt die in Kronstadt geborene Autorin ihrem aus dem letzten Buch bekannten Stil der kurzen, klaren Sätze treu und findet als Gegenpol immer wieder ungewöhnliche Bilder. Dass Viebke sich überlegt, „(...) das Für und Wider in hauchdünne Scheiben zu schneiden, meine Chancen unter der Lupe zu betrachten“, gehört ebenso dazu wie ihre trockene Feststellung „Bereits im Mutterleib lag ich quer“, die noch vor der Geburt das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter festlegt: Das Kind ist ihr im Weg und irgendwie lästig, also ignoriert sie es so gut wie möglich und lässt es von „Ersatzmüttern“ aufziehen, denn Oma Gerda wohnt weit weg und einen Vater gibt es ohnehin nicht. Mama Sabine wird folgerichtig vom eigenen Spross als „Barbie“ tituliert: „Wunderhübsch zum Anschauen, aber sie fiel sofort um, sobald man sie losließ.“ Das ist respektlos, aber ehrlich – eben wie Viebke, die grundsätzlich kein Blatt vor den Mund nimmt.

Die erste Veröffentlichung nach einem so ausführlich gelobten und ausgezeichneten Buch wie „Zusammen allein“ (Rezension in der SbZ Online vom 18. November 2010) wird besonders kritisch beäugt. Karin Bruder hat sich dieser Herausforderung mit „Asphaltsommer“ gestellt und etwas zu viel gewollt: zu viele Figuren, zu viele Motive, zu viele Handlungsstränge. Daraus resultieren zu viele lose Fäden, die sie zwar alle in der Hand zu halten vermag, deren Verknüpfung zum großen Ganzen sie aber schuldig bleibt; zu viele Fragen sind am Ende immer noch offen. Mit ein paar Ingredienzen weniger hätte sie mit ihrem neuen Jugendbuch durchaus an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen können. So ist „Asphaltsommer“ „eine Roadnovel der besonderen Art“, wie der Verlag schreibt, und jeder mag sich nach der trotz einiger Schwächen immer wieder amüsanten Lektüre seine eigene Meinung über diese „be­sondere Art“ bilden.

Doris Roth


Karin Bruder, „Asphaltsommer“, dtv – Reihe Hanser, München, 2012, 320 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-423-62521-0.
Asphaltsommer: Roman (Reihe Ha
Karin Bruder
Asphaltsommer: Roman (Reihe Hanser)

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Schlagwörter: Jugendbuch, Rezension, Karin Bruder

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