25. November 2013

Cristian Mungius neuer Film "Jenseits der Hügel" in deutschen Kinos

Basierend auf wahren Begebenheiten, dokumentiert von Tatiana Niculescu Bran, schrieb Cristian Mungiu das Drehbuch für diesen beunruhigend realistischen Film „Jenseits der Hügel“ („Dupa dealuri“), der 2012 in Cannes doppelt preisgekrönt wurde: für das Beste Drehbuch und den Darstellerpreis für die beiden Kinodebütantinnen Cristina Flutur und Cosmina Stratan. Der Film ist nun seit dem 13. November 2013 in deutschen Kinos zu sehen. Bereits 2007 hatte Mungiu als erster rumänischer Filmregisseur die Goldene Palme als bester Film für den beklemmenden Streifen über Abtreibung „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage”(„4 luni, 3 săptămâni și 2 zile“) erhalten.
Nur andeutungsweise erfährt der Zuschauer aus den von Ernst und Niedergedrücktheit geprägten Dialogen des Films „Jenseits der Hügel“, welche Rohheiten den beiden jungen Frauen Voichița und Alina in ihrem Leben schon zugestoßen sind. Sie sind gemeinsam in einem Waisenhaus in der Moldau aufgewachsen und müssen das Heim als Volljährige verlassen. Alina kommt in eine Pflegefamilie und nimmt gelegentlich minderwertige Jobs in Deutschland an, während Voichița in der Nonnengemeinschaft des orthodoxen Klosters „Dealu Nou” seelische Geborgenheit findet. Vermutlich waren sich die zwei Frauen auch als Liebende zugetan – Voichița will in ihrer neuen Rolle als Nonne davon nichts wissen, während Alina zum Äußersten bereit ist, um bei ihrer Freundin zu bleiben. In einem beiläufigen Gespräch bei der Polizei oder beim zufälligen Auffinden einer Videokamera erfahren wir, dass beide als Minderjährige sexuell missbraucht wurden, als ein deutscher Pädophiler, der Hilfslieferungen ins Heim brachte, sie zu pornografischen Filmaufnahmen zwang.

Das Leid will im musiklosen Streifen Mungius kein Ende nehmen. Vergeblich versuchen die jungen Frauen, sich gegenseitig von ihren widersprüchlichen Lebensentwürfen zu überzeugen. Eine leise Hoffnung keimt auf, im Kloster zusammenleben zu können, aber auch diese geht verloren. Alinas psychische Krankheit, die Unwissenheit und Hilflosigkeit der Klostereinwohner, das völlige Versagen des medizinischen und sozialen Netzes werden für alle zur harten Probe. Beider Existenz hängt an einem seidenen Faden, und selbst der Weg zu Gott scheint versperrt zu sein. Die zunehmende winterliche Kälte gipfelt in einem kaum erträglichen Schneesturm und bedroht Leib und Seele der beiden Frauen.

Ein solches Geschehen konnte nur mit einer nicht wertenden, scheinbar kommentarlosen Kamera aufgenommen werden. Sie ist weder mitleidheischend noch voyeuristisch oder verurteilend. Aber gerade deshalb ist der Film so beeindruckend. Es geht nicht um die bittere Armut, sondern um deren komplexe Konsequenzen. Zwei junge Frauen geraten ins mitleidlose Getriebe eines versagenden Systems, das selbst der letzten Hoffnung auf göttlichen Beistand Steine in den Weg legt. Der Film zeigt nicht mit dem Finger auf Schuldige, und dennoch sind alle daran beteiligt, wenn Unmenschliches passiert.

Mungiu ist hier Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Sein Film führt die neue Bewegung im jungen rumänischen Kino fort, die sich einer eigenen minimalistischen Sprache, fast Sprachlosigkeit bedient, um realistische Gewaltsamkeit darzustellen. Man vernimmt das Echo von Filmen wie „Der Tod des Herrn Lăzărescu“ (Cristi Puiu) oder „Mutter und Sohn“ (Călin Peter Netzer), die trocken und dokumentarisch Fakten aufzeigen, die nur entstehen können, wenn im Hintergrund entsetzliche Kräfte am Wirken sind.

Hilde Ottschofski

Schlagwörter: Film, Rezension, Rumänien

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Neueste Kommentare

  • 25.11.2013, 18:05 Uhr von orbo: "Es geht nicht um die bittere Armut, sondern um deren komplexe Konsequenzen." "Die zunehmende ... [weiter]

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