15. Oktober 2016

Wunn ich sachsesch schreiwe wäll - Mundartseminar in Stuttgart

„Wunn ich sachsesch schreiwe wäll“ war der Titel eines Textes, der bei der Autorenlesung am 17. September im Haus der Heimat in Stuttgart vorgetragen wurde. Gleichzeitig eignet er sich auch als Überschrift der gesamten Veranstaltung, klingen in ihm doch deren beide Grundanliegen an: sich austauschen über die Freude am Siebenbürgisch-Sächsischen, aber auch über Unsicherheiten beim Schreiben desselben. Wobei Letzteres vor allem im Seminar am folgenden Tage zur Sprache kam, während der vertraute Laut in heiteren oder besinnlichen Beiträgen am Leseabend die 14 Autoren mit einem zahlreich erschienenen und dankbaren Publikum verband. Dass sich darunter viele neue Gesichter befanden, rechtfertigt den Ortswechsel nach Stuttgart.
Dass die Veranstaltung zweitägig stattfinden konnte, war dem Zusammenwirken von Bundes­kulturreferat und Kulturreferat der Landesgrup­pe Baden-Württemberg zu verdanken. So waren es denn auch die beiden Kulturreferenten, die am Abend des 17. September Publikum, Autoren und Vertreter von „Radio Siebenbürgen“ begrüßten. Helmut Wolff, Pfarrer i.R. und seit einem Jahr Landeskulturreferent, stellte sich und seine Arbeit vor. Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster dankte für die freundliche Aufnahme in Stuttgart. Zur Einstimmung wurde mit Hans Seiwerth, in Hermannstadt geboren, Deutsch- und Geschichtelehrer sowie erfolgreicher Musiker, das Lied von Grete Lienert-Zultner „Der Owend kitt erun“ gemeinsam gesungen.

Den Reigen der Vortragenden eröffnete Hilda Femmig aus Neudorf bei Hermannstadt, zuletzt Lehrerin in Hermannstadt, mit ihrem Gedicht Um Gehonnesdåch. Äußerst lebendig schildert sie darin den Ritt der stolzen Burschen durch das Dorf, die ihrem „Kniëchtevueter“ und den Honoratioren ihr Ständchen bringen – nicht ahnend, dass sie bald auf die Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges geschickt werden sollten. In Wä ställt em et un? distanziert sie sich auf ironische Weise von reimloser Dichtung mit teils kryptischer Symbolik. Der aus Marienburg bei Schäßburg stammende und aus Bremen angereiste Michael Kenst stellte sich mit dem Wortspiel vor, er wolle kenst-leresch in Erscheinung treten. In Stuwwen ... nimmt er das materielle Besitzstreben der Siebenbürger Sachsen aufs Korn, in Åf dem Gäehrmert wird ein Witz nacherzählt. Hilde Juchum, geboren in Maldorf, geheiratet nach Frauendorf, bot mit Hiemetkläcken und Härwestsalwertrepsen Proben aus beiden Ortsmundarten . Das letztgenannte Gedicht ist eine sehr feinfühlige Naturbeschreibung.

Grete Menning-Gierer, die hauptsächlich in Mediasch Lehrerin war, entwickelte in De Charaktertypen eine Typologie, an der selbst Freud seine Freude gehabt hätte. Außerdem verriet sie anhand des Gedichtes Der richtij Soom, dass sie das Urbild jener legendär gewordenen Sächsin gewesen sei, die Samen von Zinnien kaufen wollte, die in Siebenbürgen den schönen Namen „Junge Herren“ trugen. Elisabeth Kessler, die sächsisch schreibende Landlerin, der mitzuverdanken ist, dass 1996-2004 der Siebenbürgisch-Sächsische Mundartkreis bestand und mehrere Treffen im Haus des Deutschen Ostens in München veranstalten konnte, trug die Gedichte Aldiest, Zekt, Än der Grißstadt und Fuehrt zem Härmestädder Trefen vor. In jedem der genannten Gedichte tritt ihre sensible lyrische Begabung zutage. Der Mitbetreuer der Rubrik Sachsesch Wält, Bernddieter Schobel, zeigte in seiner kurzen Geschichte Åldiest geschähn uch nooch Wangder åf der Walt mit etwas bissigem Humor, wie die Lebensbedingungen im real existierenden Sozialismus an den Grundfesten sächsischer Moral zu rütteln begannen.

Die Spezialität der Hermannstädterin (heute Öhringen) Martha Scheiner sind Fabel-Nachdichtungen. Zu Der Kuckuck heißt es: Frå no Fürchtegott Gellert. Und frå no Aesop ist Der Hirt uch seng iwwel Spaß mit der Moral: Wie iemol lecht, diëm gliewt em net, uch wunn hie de Wohrhiet soot. Die vielseitig publizistisch tätige Malwine Markel schreibt, wenn sie sächsisch schreibt, in Deutsch-Weißkircher Ortsmundart. Der Titel ihres Prosatextes Wunn ich sachsesch schreiwe wäll wurde als Überschrift dieses Berichtes übernommen. Es ist nur zu wahr, wenn es darin heißt: Denn det (sachsesch) Schreiwen hu mer nïet gelyirt. Nuerr det Riëden! Adruint ä senjem Dialekt. Trotzdem gelingen ihr hübsche Verse, die an Kinderlieder erinnern, wie De hiesch Bruetj zeigt. Walter-Georg Kauntz, der Puschke’ Walter, erzählte drei lustige Geschichten: Der Dånnerschmarter Dialekt, Hätt noch schlimmer kommen können und De Kram ian der Schubkuarr. Alle drei können nachgelesen werden in: „Donnersmarkter Anekdoten oder Lustige Geschichten aus Siebenbürgen af Sachsesch und auf Deutsch.“ Hermannstadt; Bonn: Schiller Verlag, 2015. Doris Hutter, die als Geschäftsführerin des Hauses der Heimat in Nürnberg dort selbst mehrere eintägige Mundartautorentreffen organisiert hat, brachte den Winnetou ä Grißpuld zu Gehör und auf Agnethlerisch unter dem Titel Äst Nouet? ein nostalgisches Loblied auf die gute alte WUSCH (Schmalspurbahn zwischen Agnetheln und Hermannstadt).
Mundartautoren nach erfolgreicher Lesung, jeweils ...
Mundartautoren nach erfolgreicher Lesung, jeweils von links, sitzend: Malwine Markel, Grete Menning-Gierer, Walter-Georg Kauntz; stehend vordere Reihe: Doris Hutter, Martha Scheiner, Hilde Juchum, Susanne Weber, Johanna Krestel, Hilda Femmig, Elisabeth Kessler, Bernddieter Schobel; hintere Reihe: Michael Kenst, Hans Seiwerth, Wilfried Römer. Foto: Jürgen Schnabel
Still und nachdenklich wurde man, als Johanna Krestel, gebürtig aus Hetzeldorf, ihr Gedicht Det Gohr 1945 vortrug. Mit fast erdrückender Realität beschreibt sie den Abschiedsschmerz des Kindes bei der Russlanddeportation der Eltern. In Ech wor nooch iest derhiem ist die Freude des Wiedersehens der alten Heimat nicht frei von wehmütigen Verlustgefühlen. Heiter wurde es dann wieder, als Wilfried Römer, Betreuer des Medwescher Tramiter, der Mundartbeilage des Mediascher Infoblattes, mit seinem Gedicht Der Stammbuum ein genealogisches Problem ansprach: Schließlich wissen Genealogen ja nur, was in den Büchern steht, aber nicht, wohin der Kuckuck seine Eier gelegt hat. Mit Susanne Weber, die auch deutsche Gedichte schreibt und in verschiedenen Anthologien veröffentlicht hat, endete die Reihe der Vortragenden. Ihre Gedichte sind von tiefem Empfinden geprägt. In De gehackelt Däschdak beschreibt sie, wie die von der verstorbenen Mutter einst liebevoll gehäkelte Tischdecke auch heute noch Geborgenheit und Trost ausstrahlt. In Wonn de Schwålwen wedder kunn erweckt der Anblick der im Frühjahr wiederkehrenden Schwalben Erinnerungen an eine glückliche Kindheit, zugleich aber auch das Bewusstsein, den Ort jenes Glücks verloren zu haben. Und dann gab es zum Schluss noch ein Bonbon von Hans Seiwerth: Köstlich waren seine textlichen Variationen der bekannten Siwe Krueden. Das gemeinsam gesungene Åf deser Iërd bildete den passenden Abschluss des Abends.
Ein aufmerksames Publikum, das begeistert mitging ...
Ein aufmerksames Publikum, das begeistert mitging und bei den Liedern von Hans Seiwerth auch mitsang. Foto: Hans-Werner Schuster
Das Seminar begann am nächsten Morgen, 18. September, ebenfalls im Haus der Heimat, wo die beiden Kulturverantwortlichen eine interessierte Teilnehmerschaft begrüßten. Hans-Werner Schuster sprach über die identitätsstiftende Bedeutung von Muttersprache. Ein Antrag zur Aufnahme des Siebenbürgisch-Sächsischen in die Liste des ideellen Weltkulturerbes sei von uns aus nicht möglich, da Vorschläge nur von den Ländern gemacht werden könnten. Persönlich sei er, was den Fortbestand des Siebenbürgisch-Sächsischen betreffe, optimistischer als noch vor einigen Jahren; insbesondere glaube er nicht an ein Aussterben dieser Mundart. Damit war das Stichwort für den ersten Beitrag gegeben:
Siebenbürgisch-Sächsisch. Auf den Spuren einer aussterbenden Sprache. Radiosendung von Carmen Gräf.
Die Lesungen des vorangegangenen Abends noch in frischer Erinnerung, schien der Ausdruck „aussterbend“ nicht so recht passen zu wollen. Mit Spannung wurde die Wiedergabe der Radiosendung auch deshalb erwartet, weil die meisten unter den Anwesenden den Inhalt nicht kannten. Am 16. März 2016 bei rbb ausgestrahlt, ist er inzwischen nicht mehr abrufbar. Beim Anhören wurde dann aber bald klar, dass hier nicht das Ende eines Dialektes vorausgesagt wird. Vielmehr handelt es sich um eine kenntnisreiche Darstellung der siebenbürgisch-sächsischen Kulturgeschichte mit einem bedauernden Ausblick auf die von der Autorin persönlich erlebte Ausdünnung von Tradition und gesprochenem Dialekt durch die Zerstreuung nach der Aussiedlung. Bemerkenswert in der folgenden Diskussion war die Mitteilung von Frau Dr. Haldenwang, dass in der Herkunftsforschung des Siebenbürgisch-Sächsischen Luxemburg nicht mehr so große Bedeutung beigemessen werde. Sie war es übrigens auch, die den folgenden Vortrag hielt:
Betrachtungen zu Band 10 (S - Schenkwein) des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs aus lexikografischer Sicht von Dr. Sigrid Haldenwang.
Nachdem Hans-Werner Schuster Biografie und Arbeit der Referentin umrissen hatte, berichtete Frau Haldenwang, ein Teil der Wortstrecke sei schon gedruckt worden, nämlich S – Salarist im 5. Band der alten Folge. Die Wortstrecke Salarist – Saumwerk sei zwar ebenfalls gedruckt, aber nicht ausgeliefert worden. Deshalb ging die Referentin zunächst auf die Frage ein: Weshalb Wiederaufnahme eines schon erstellten Werkes? Danach beschrieb sie, wie und durch wen der Wortschatz zusammengetragen wurde. Das Ziel der Wörterbucharbeit sei, den Allgemeinwortschatz des Siebenbürgisch-Sächsischen anhand von aussagekräftigen Mundartbelegen zu erfassen. Im umfangreichsten Teil ihres Vortrages beschrieb und erläuterte Frau Haldenwang die Richtlinien, nach denen ein Stichwort behandelt wird. Anschließende Fragen der Seminarteilneh­mer bezogen sich vor allem auf praktische Aspekte der Arbeit am Wörterbuch. Die Frage nach einer eventuellen Online-Stellung bleibt allerdings offen.


Bemerkungen und Anregungen rund um das Schreiben in siebenbürgisch-sächsischer Mund­art von Hanni Markel.
Zwar wurde auch Hanni Markel vom Bundeskulturreferenten vorgestellt, doch war dies eher ein formeller Akt, denn wer die Siebenbürgische Zeitung liest, kennt den Namen Hanni Markel. Zusammen mit dem Verfasser dieses Berichtes gestaltet sie die Rubrik Sachsesch Wält, wobei sie vor allem für die Schreibung zuständig ist. Und wer schon an Seminaren mit ihr teilgenommen hat, weiß, dass sie zwar von klaren Überlegungen ausgeht, diese jedoch nicht stur durchset­zen will, sondern ihre Vorschläge im Gespräch mit Autoren auf Alltagstauglichkeit hin prüft. Deshalb kommt der Begriff Werkstattgespräch dem Geschehen näher. Da ging es dann etwa um in neuerer Zeit erschienene Wörterbücher und deren Bewertung. Da ging es um überraschende Wortentstehungen, wie etwa von åffen, das nicht etwa auf das heutige „hinauf“ zurückgeht, sondern auf dessen Umkehrung: „auf hin“. Und da ging es schließlich um die Beantwortung zahlreicher Anfragen die Schreibung einzelner Laute oder von Lautfolgen betreffend. Die anwesenden Autoren haben eifrig mitgeschrieben.

Besonders wichtig in unserer zunehmend digitalisierten Zeit war das Referat Siebenbürgisch-Sächsisch in den Online-Medien von Hans-Detlev Buchner.

In klarer Gliederung stellte der engagierte Ma­cher unseres digitalen Siebenbürgens alle Formen und Möglichkeiten siebenbürgisch-sächsischer Online-Präsenz vor: Zunächst einmal Sie­benbuerger.de: Texte, Musik- und Sprachaufnahmen als Audio- und Video-Aufnahmen. Dann: Facebook-Gruppen, Facebook-Seiten und Youtube. Zuletzt Internet-Radios: RTI und Radio Siebenbürgen mit Saksesch Kanal. Mit diesen vielfältigen Möglichkeiten sei ein breites Betätigungs­feld gegeben, das es zu nutzen gelte.

Ich möchte diesen Bericht nicht abschließen, ohne ein ganz herzliches Dankeschön an die Landesgruppe Baden-Württemberg für die reich­liche, wohlschmeckende und so freundlich servierte ­Beköstigung.

Bernddieter Schobel

Fotoimpressionen von der Tagung

Schlagwörter: Mundartautoren, Seminar, Stuttgart

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