11. Juli 2018

Spiegelungen 2.17: Diskurse über idealisierte Heimaten und Leerstellen

Nicht nur seit es ein an oberster staatlicher Stelle angesiedeltes Heimatministerium gibt, hat dieses weitgehend unübersetzbare Wort Hochkonjunktur. So nimmt es nicht wunder, dass sich die letzte Nummer der Zeitschrift des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), Spiegelungen, diesem Thema widmet und unter dem Titel „Idealisierte Heimaten“ mehrere Beiträge zu diesem Sujet vereint. Damit wird, so Florian Kührer-Wielach in seinem Leitwort, das Individuum in Beziehung zum Kollektiv und zum Raum gesetzt. Eine idealisierte Heimat wäre somit „die idealtypische Form dieses Verhältnisses“, wie sie nicht zuletzt in „migrantisch geprägten Dispositiven“ zu finden ist.
Im ersten Artikel der Zeitschrift untersucht Jannis Panagiotidis daher russlanddeutsche Heimatdiskurse nach dem Zweiten Weltkrieg und verortet sie zwischen Wahlheimat und Urheimat, zwischen Russland und Deutschland. In diesem Spannungsfeld analysiert er sehr fundiert Diskurse und Heimatpolitik und stellt fest, dass die territoriale Revision nicht für die russlanddeutschen Vertriebenenverbände in Frage kam, ganz im Gegensatz zu anderen Vertriebenendiskursen.

Sehr speziell ist das Thema von Heinrich Siemens, der den Heimatverlust und die idealisierte Heimat bei den Mennoniten untersucht und ihr Bekenntnis zum Plautdietschen feststellt, der Sprache, die 88 % der in Deutschland lebenden Mennoniten als Hintergrund haben. Denn gleichsam wie im populären Volkslied „Heute in der Nacht / bin ich aufgewacht / und hab geweinet“ ist der „Sehnsuchtsort der Mennoniten eine geografische Leerstelle. […] Kein Ort Nirgends“.
Monica Tempian untersucht die Konstruktionen von „Heimat“ im neuseeländischen Exilantenkreis um die Schauspielerin Maria Dronke und erwähnt drei Identifikationsmodelle für Exilanten: „Idylle, Verlust und wiederzugewinnendes Paradies“. Entweder das Heimatland oder das Gastland werden als Paradies deklariert beziehungsweise man verbleibt im Dazwischen. Davon hebt sich Maria Dronke allerdings ab und spricht – als Vermittlerin eines Humanismus-Begriffs nationale Grenzen sprengend – von einem Gefühl des „Heimwerdens“. Eszter Probst beschreibt in ihrem Beitrag die Heimatkonzepte in der ungarndeutschen Literatur, in den Gedichten von Georg Fath über Robert Hecker, Claus Kotz bis Robert Becker vor allem im Hinblick auf die Raumerfahrungen. Über die virtuelle Heimat der deutschsprachigen Einwanderer in Israel schreibt Gisela Dachs, vor allem über die Nostalgie beim Konsum bestimmter Fernsehinhalte. Es gebe eine sprachliche und emotionale Heimat in der Mediennutzung in der eigenen Muttersprache, die bei Einwanderern festzustellen ist. Dabei bedeutet der Konsum von Fernsehsendungen oder Zeitungsartikeln aus dem Herkunftsland keine Identifikation mit deren Inhalten. Die multinationalen Beiträge zeigen, wie vielfältig die Heimatdiskurse und -konstruktionen sein können, und differenzieren diese an den jeweils konkreten Beispielen.

In der Projektwerkstatt behandelt Krisztina Slachta ein ganz anderes Thema, nämlich den Kulturtransfer zwischen Ost und West während des Kalten Krieges. Nach den Rezensionen und Berichten folgt der charmante literarische Teil, der mit den Preisträgern des Spiegelungen-Preises für Lyrik 2017 glänzt: Lothar Quinkenstein, Kristiane Kondrat und Nora Iuga. Neben den lyrischen Miniaturen von Dana Ranga stehen dann der Romanauszug von Paul Schuster sowie mehrere literarische Interventionen zu einer Ausstellung aus dem ungarndeutschen Museum. Das Feuilleton rundet diese heimatverbundene und dennoch kosmopolitische Ausgabe der Spiegelungen ab.

Edith Ottschofski


Heft 2/2017 der Spiegelungen kann zum Preis von 17 Euro zzgl. Versandkosten bestellt werden beim Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, E-Mail: verlag[ät]pustet.de.

Schlagwörter: Spiegelungen, Heimat, IKGS, Zeitschrift

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