13. Juni 2020

Brückenbauer zwischen Siebenbürgen und dem Banat: Zum 150. Geburtstag des Dichters und Publizisten Viktor Orendi-Hommenau

Die gegenseitige Wahrnehmung der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, der beiden größten deutschen Bevölkerungsgruppen in Südosteuropa, war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts recht sporadisch. Auch im Widerstand gegen die Magyarisierungspolitik der Budapester Regierungen nach dem Ausgleich von 1867, die beide betraf, kam man sich nicht näher. Nur in Ausnahmefällen kamen schwäbisch-sächsische Kontakte zustande, die einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichten.
Viktor Orendi-Hommenau um 1930 ...
Viktor Orendi-Hommenau um 1930
Adam Müller-Guttenbrunns selbstbiographische Erzählung „Der kleine Schwab. Abenteuer eines Knaben“ ist dafür ein seltenes literarisches Zeugnis. Heinz Schullerus erwähnt es in seiner Dissertation über Adolf Meschendörfers Zeitschrift Die Karpathen: „Der frühe Weg des kleinen Schwaben führt nach Siebenbürgen und über sächsische Schulen.“ Er sieht dies in Zusammenhang mit „geistigen Beziehungen zwischen den beiden Siedlungsgruppen“, die in den Karpathen „freundschaftlich rege (werden), denn eine Reihe der aufstrebenden Kräfte der Schwabendichter arbeitet an der Zeitschrift mit“. Zu den ständigen und geschätzten Banater Mitarbeitern der Kronstädter Zeitschrift zählten u.a. die Erzähler Otto Alscher, Eugen Probst und Ludwig Schmidt sowie die Lyriker Josef Gabriel, Nikolaus Schmidt, Bruno Kremling.

In der Tat waren Literaten und Publizisten in beiden deutschen Siedlungsgebieten die Vorreiter und Förderer sächsisch-schwäbischer „geistiger Beziehungen“. Pionierarbeit leisteten in diesem Bereich Adolf Meschendörfer (1877-1963) mit den Karpathen (1907-1914) in Kronstadt und Viktor Orendi-Hommenau (1870-1954) mit seiner Monatsschrift Von der Heide (1909-1919; 1922-1927) in Temeswar.

An Viktor Orendi-Hommenau soll hier anlässlich seines 150. Geburtstags ausführlicher erinnert werden. Er wurde am 13. Juni 1870 in Elisabethstadt in Siebenbürgen geboren, sollte jedoch seine aktivsten und produkivsten Schaffensjahrzehnte als kulturpolitischer Journalist, als Dichter und Übersetzer im Banat verbringen. Gleichwohl blieb seine Beziehung zur siebenbürgischen Heimat lebendig und spiegelte sich im Einsatz für schwäbisch-sächsischen Literaturaustausch und politisches Zusammenwirken im Widerstand gegen die ungarische Entnationalisierungspolitik. Der Doppelname Orendi-Hommenau geht auf die Mutter zurück, die eine geborene Farkas Edle von Hommenau war.

Seinen Debüt-Band „Blätter und Blüthen“ (Sächsisch-Regen 1896) veröffentlichte er noch unter dem Namen Viktor Orendi. Darin ist sein frühestes Gedicht mit dem Jahr 1888 datiert. Es handelt sich bei diesen Gedichten um gefühlsbetonte, jugendliche Gelegenheitslyrik, von Weltschmerz erfüllt. Sprachlich-formal stehen diese gereimten Verse der volkstümlichen Dichtung nahe. Doch manch stimmungsvolles Natur- oder Liebesgedicht deutet auf den Umgang mit anspruchsvollen lyrischen Formen hin, etwa das Ritornell, die Terzine oder häufiger das Sonett. Zweifel an seiner Berufung als Dichter und am Sinn des Dichtens thematisiert er selbstironisch im Gedicht „Erkenntnis“ (1892). Im „Vorwort zur zweiten Auflage“ (Hermannstadt 1902), die zahlreiche neue Gedichte enthält, zeigt er sich hocherfreut, dass die Dichtungen des Erstlingsbands „Blätter und Blüthen“ in der „engeren Heimat so unerwartet herzliche Aufnahme fanden“. In der zweiten Auflage stehen neben empfindsamen Stimmungsbildern auch Gedichte, die den inzwischen ins Banat übergesiedelten Viktor Orendi-Hommenau als nationalitätenpolitisch engagierten Autor ankündigen: „Sachsenlieder“, „Schwabenlied“, „Chauvinistenrat“. In Neumarkt am Mieresch begann er 1894 seine journalistische Arbeit mit der Herausgabe des kurzlebigen „sozial-liberalen“ Blattes Das kleine Universum, redigierte anschließend das Szász-Réener Wochenblatt (1895/1896) und war sodann als freier Publizist tätig.

Unmittelbar nach seinem Wechsel ins Banat begann Viktor Orendi-Hommenau mit der Herausgabe des Deutschen Tagblatts für Ungarn (1901-1903) seinen Kampf gegen die assimilatorische Nationalitätenpolitik Ungarns, den er kompromisslos in den von ihm herausgegebenen Banater Periodika fortsetzte, im Deutsch-ungarischen Volksfreund (1903-1919) und in der Monatsschrift Von der Heide. Seine konsequent oppositionelle Haltung brachte ihm Presseprozesse, Gefängnis- und Geldstrafen ein, die ihn und seine Familie in ihrer Existenz bedrohten. Er hatte 1904 Hedwig Ruß (1883-1956) geheiratet. Sie hat unter dem Pseudonym Hede von der Heide Lyrik in Periodika veröffentlicht. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen.

Viktor Orendi-Hommenaus bedeutendste literarische und publizistische Leistung war die Herausgabe der Monatsschrift Von der Heide, die er zudem allein redigierte und mit Müh und Not über zwei Jahrzehnte, mit vier Jahren Unterbrechung nach dem Ersten Weltkrieg, aufrechterhielt. Es sollte nach seiner Vorstellung eine belletristische Zeitschrift sein, die das einheimische literarische Schaffen und das allgemeine Interesse an Literatur im Banat, in Siebenbürgen und anderen von Deutschen bewohnten Regionen der Doppelmonarchie zu befördern hatte. Die Bewahrung der deutschen Sprache, des Brauchtums und der traditionellen Lebensformen der Siedlungsgemeinschaft gehörte zu den kulturpolitischen Zielsetzungen seiner Zeitschrift.

Der Heide-Herausgeber war gleichzeitig einer der produktivsten Lyriker der von ihm geförderten regionalen Literaturen. Als Mitarbeiter seiner Monatsschrift konnte er die bedeutenden banatdeutschen Schriftsteller der Zeit gewinnen, darunter Josef Gabriel, Adam Müller-Guttenbrunn, Ludwig Schmidt, Nikolaus Schmidt, Otto Alscher, Franz Xaver Kappus. Hinzu kamen zahlreiche Autoren aus den anderen deutschen Siedlungsgebieten der Donaumonarchie, vorwiegend aus Siebenbürgen.

Das Erscheinen der Zeitschrift Von der Heide ist von mehreren siebenbürgischen Zeitungen wohlwollend begrüßt worden, so auch vom Hermannstädter Siebenbürgisch-deutschen Tageblatt im Stil der Zeit: „Die Zeitschrift, der man es ansieht, mit welchen großen materiellen Schwierigkeiten sie zu ringen hat, ist vom Hauch einer warmen Liebe für deutsches Dichten und Sinnen durchweht und ihr edler Zweck ist vor allem, dem schwäbischen Volk in Südungarn von dieser Liebe etwas einzuflößen.....Es wäre zu wünschen, dass Orendis Monatsschrift auch aus den sächsischen Kreisen, die ein Herz für die Brüder im Banat haben, kräftige Unterstützung fände.“
Umschlag der Zeitschrift „Von der Heide“ mit Otto ...
Umschlag der Zeitschrift „Von der Heide“ mit Otto Alschers Porträt (1910)
Orendi-Hommenau hat von Anfang an kontinuierlich Beiträge siebenbürgischer Autoren gebracht, die allerdings in vielen Fällen nur von lokaler Bedeutung waren. Im Dezemberheft des ersten Jahrgangs der Heide (1909) führt der Herausgeber als Mitarbeiter aus Siebenbürgen an: Wilhelm von Hannenheim, Fritz Albert, Maria Schütz (Hermannstadt), Luise Helfenbein (Bistritz), Wilhelm Hermann (Hamruden bei Reps). Das Heft 8/1909 wird eröffnet mit einem Bild von Traugott Teutsch, über den es in einer biographischen Notiz heißt, er sei „der hervorragendste unter den lebenden Dichtern der Siebenbürger Sachsen“. Ausführlich wird über den „Altmeister der siebenbürgisch-sächsischen Schriftsteller“ im Heft 7-8/1916 der Heide berichtet. Die bio-bibliographischen Präsentierungen der Heide-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – auffallend viele Frauen publizierten in der Zeitschrift! –, ob sie sich auf Siebenbürgen, das Banat oder andere südostdeutsche Siedlungsgebiete bezogen, erscheinen uns heute recht simpel und undifferenziert. Doch die Nachrichten über das Literaturgeschehen in Städten und Regionen, über Neuerscheinungen oder bei Jubiläen und Todesfällen ergaben zusammengenommen ein Abbild des in Siebenbürgen bereits bestehenden und im Banat sich formenden deutschen literarischen Lebens unter schwierigen Voraussetzungen.

Obwohl Orendi-Hommenau sich vor allem schöngeistige Literatur für seine Blätter wünschte, veröffentlichte er auch Aufsätze über Sitten und Bräuche bei den Siebenbürger Sachsen, wobei das Dorfleben und dessen traditionelle Erscheinungsformen vorrangig dargestellt werden. Desgleichen sind die Prosatexte siebenbürgischer Autoren thematisch vorwiegend im Dörflichen angesiedelt, das schließlich in der literarischen Heide als das einzige Milieu erscheint, in dem ein harmonisches, sinnvolles Dasein möglich ist.

Wie in den Periodika des deutschen Sprachraums war in der Heide der Jahre 1914-1919 der Krieg das dominante Thema. Im Gleichschritt mit ihren Dichterkollegen in Deutschland und Österreich stimmten die Heide-Autoren zunächst enthusiastische Kriegshymnen an, die aber bald von Klageliedern ob der tragischen menschlichen Verluste abgelöst wurden. Dabei gab der Herausgeber mit seinen zahlreichen Gedichten geradezu den Ton an. Einiges zum Thema kam auch aus Siebenbürgen, darunter ein Gedicht vom kaum siebzehnjährigen Heinrich Zillich und „Kriegslieder“ (zwölf Gedichte) von der mehrfach in der Heide präsenten, aus Schäßburg stammenden Autorin Regine Ziegler. Eines ihrer Gedichte ist „Einem gefallenen sächsischen Kriegsfreiwilligen“ gewidmet.

Orendi-Hommenau stellte 1919 die Herausgabe seiner Zeitschrift ein, brachte sie aber drei Jahre danach in einer neuen politischen Konstellation mit unverändertem literarischem Anspruch wieder heraus, wobei sich die Nationalitätenfrage anders stellte. Die wichtigsten Wirkungs- und Verbreitungsgebiete der Heide – zwei Drittel des Banats, Siebenbürgen und das österreichische Kronland Bukowina – gehörten nun zu Großrumänien. In Heft 8-9/1924 führt der Herausgeber die „Orte, wo die Heide in mehreren Stücken regelmäßig bezogen wird“ an, insgesamt 170 Ortschaften, viele davon im näheren und ferneren Ausland, so in den USA. In Siebenbürgen waren es dreiundzwanzig Städte und Dörfer, darunter Agnetheln, Birthälm, Heltau, Hermannstadt, Honigberg, Jakobsdorf, Kerz, Kronstadt, Leschkirch, Mediasch, Neppendorf, Schaas, Schäßburg, Zeiden.

Nach dem Anschluss des Banats an Rumänien wurde er vorübergehend zum Prüfungskommissär für die deutschen Schulen des Gebiets berufen. Er war einer der Initiatoren des „Deutsch-Schwäbischen Kulturverbandes“ (1919) und setzte sich als Kulturpolitiker für die Gründung des ersten Volksbildungsvereins der Banater Deutschen ein. 1934 übersiedelte er nach Bukarest und zog sich allmählich aus der Öffentlichkeit zurück. Ihm und seiner Familie blieben materielle Entbehrungen und Notlagen auch in den letzten Lebensjahren nicht erspart, wie Gudrun Ittu in ihrem Beitrag „Vom Ministerialrat, geschätzten Publizisten und Übersetzer zum mittellosen Bittsteller: Viktor Orendi-Hommenau im Jahre 1944“ (2011) nachgewiesen hat. Die Hermannstädter Forscherin kommentiert drei von ihr aufgefundene Briefe Orendi-Hommenaus an den Direktor des Brukenthal-Museums Dr. Rudolf Spek, „dem er freundschaftlich verbunden war“. Sie vermerkt u.a.: „Am 13. Dezember (1944) jedoch berichtet der Dichter über seine verzweifelte Lage, in die er und seine Familie nach dem 23. August geraten waren... Obgleich es ihm sehr schwer fiel, richtiggehend zu betteln, sah er keinen anderen Ausweg aus der trostlosen Situation, als Dr. Spek zu bitten, sich in Hermannstadt um finanzielle Unterstützung für ihn zu bemühen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch deutsche Betriebe und Unternehmer, also wohlhabende Menschen, denen es möglich gewesen wäre, den in Not Geratenen zu unterstützen.“ Ob dies geschah, ist nicht überliefert.

Viktor Orendi-Hommenau ist am 21. Februar 1954 in Bukarest gestorben und auf dem evangelischen Friedhof der Stadt beerdigt worden.

Walter Engel

Schlagwörter: Dichter, Publizist, Literatur, Elisabethstadt, Temeswar, Banat

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