4. Februar 2022

Erstes deutsches Nachkriegs-Gymnasium in Hermannstadt

Als Hermannstädter lässt mich der Artikel „Ein Tusch auf die Blasia – zum 100-Jährigen“ von Heinz Acker, Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 5. Mai 2021, Seite 11, nicht kalt und regt mich an, alte Erinnerungen hervorholen. Wir wissen, Blasmusik ist ein wunderbarer Nervenkitzel und hebt die Stimmung. Da gibt es sogar die „Konzertante Blasmusik“ und die Variante für Tanzmusik. Ein Ball mit einer guten Blasmusik ist etwas Wunderbares. So ein Ereignis ist in der Erinnerung stets fest verankert.
Die „Școala Normală;“ in der ...
Die „Școala Normală;“ in der Waisengasse in Hermannstadt, 1942. Foto: Emil Fischer
Heinz Acker beschreibt schöne Momente aus einer schweren Zeit. Ja, wieso und warum war die Zeit vor 67 Jahren schwer, fragen die Jungen. Ich greife zurück. Nun, der Krieg war noch nicht weit weg. Die Russen waren im Land, die Kommunisten verfolgten die Deutschen mit Schriftsteller- und „Schwarze Kirche“-Prozessen. Unser Deutschlehrer Prof. Harald Krasser wurde fast von der Straße aus verhaftet. Die Banater Schwaben wurden in den Bărăgan verschleppt. Es waren unruhige Zeiten, besonders abends in den Stadtparks mit den rumänischen Banden. Ich wurde am Heimweg als Deutscher erkannt und angegriffen und musste mich meiner Haut wehren. Man probierte damals, allgemein unauffällig zu bleiben. So war eben die Zeit.

Noch eine Feststellung. Als die russische Armee 1944 ins Land strömte (Rumänien hatte ja die Front gewechselt), benötigte sie Räumlichkeiten, besonders für Lazarette. Und da wurden einfach die deutschen Schulen beschlagnahmt. So auch die Brukenthalschule, wo russische verwundete Soldaten untergebracht wurden. Die deutsche Bevölkerung musste die dortigen Betten immer wieder frisch beziehen und sauber machen. Ekelhafte Arbeit (siehe Kurt Klemens, Seite 16). Auch wegen Schulmangel wurde ich nicht eingeschult, obwohl ich bald 7 Jahre alt war. In den Jahren danach blieben nur noch die Erinnerung und die Sehnsucht an die schöne alte ehrwürdige Brukenthalschule im Zentrum von Hermannstadt übrig.

Plötzlich gab es einen Lichtblick. Im September 1954 wurde ein neues deutsches Gymnasium gegründet – das erste in Hermannstadt nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende in Rumänien schon im August 1944 kam, als die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet wurden. Es gab also eine zehnjährige Pause, in der die deutschen Jugendlichen die rumänischen Gymnasien besuchen mussten, wenn sie studieren wollten.

Es wurde nun also ein deutsches Knaben- und ein Mädchengymnasium eröffnet. Das reine Knabengymnasium erblickte das Licht der Welt in der „Școala Normală“ in der Pedagogilor-Straße (Waisengasse), hinter dem Zibin. Zur besseren Orientierung, es liegt neben dem heutigen Altenheim „Dr. Carl Wolff“, war aber in der damaligen Zeit gänzlich unbekannt. Es war ein großer Neubau (von 1938) einer vormals religiösen Schule, ich vermute des griechisch-katholischen Glaubens, der ja von der kommunistischen Regierung hart verfolgt wurde. Das Gebäude war enteignet worden und stand jetzt zur Verfügung. Für die Mädchen wurde im Ursulinenkloster Raum geschaffen, am anderen Ende der Stadt.
Zwanzigjähriges Abi-Treffen der deutschen ...
Zwanzigjähriges Abi-Treffen der deutschen Knabenschule im Jahr 1975 in Hermannstadt. Im Hintergrund die alte „Școala Normală;“ mit dem Fenster der gewesenen Abi-Klasse 1955. Foto: H. Jüstel
Im Herbst 1954 versammelten wir uns nun in dieser neuen Schule und wurden im Hauptflur gleich in den ersten Klassenraum eingewiesen. Wir waren damals die 10. Klasse, die letzte Gymnasialklasse, nach kommunistischer Verordnung. Darum hatten wir auch das Privileg, als Einzige „Gangdienst“ zu machen, also nach dem Pausenende die Schüler von den Gängen in die Klassenzimmer zu schicken.

Gleich nebenan gab es die Klassenräume für die zwei 9. Klassen und die vier 8. Klassen. Also bestand das Knabengymnasium aus sieben Klassen. Bei den Mädchen war es ähnlich.

Nach der 7. Klasse der Elementarschule konnte man damals in Rumänien auf das dreijährige Gymnasium gehen, wenn man sich rechtzeitig eingeschrieben hatte. Das war bei mir im Herbst 1952 der Fall gewesen. Allerdings geschah das im rumänischen „Gheorghe Lazăr“-Gymnasium, das auch während des Krieges normal funktioniert hatte. Hier wurde 1951 die erste Gymnasialklasse mit deutscher Unterrichtssprache zugelassen. Im nächsten Jahr gab es dort wieder eine neue 8. Klasse mit deutscher Unterrichtssprache, in der ich meinen Platz fand. Die zwei deutschen Klassen im großen rumänischen Gymnasium galten damals als „Secția germană“. Und nach diesen beiden Schuljahren im „Gheorghe Lazăr“ wechselten wir im September 1954 in die Școala Normală in die Waisengasse hinter den Zibin.

Die beiden Jahre im rumänischen Gymnasium waren auch nicht ohne. In den Pausen machten wir mit den rumänischen Schülern bei den Pausenspielen „Bâza“ oder „Lapte gros“ aktiv mit, also unten auf der Schülerebene waren wir integriert und unauffällig. Aber der Lehrkörper bestand auch aus Kommunisten, z.B. war Schuldirektor Stănescu, aus Oltenien stammend, ein Apparatschik mit den typischen Eigenschaften dieser Machtmenschen in den ersten Jahren nach dem Krieg. Dazu gehörte auch, dass er in jedem Deutschen einen verkappten „Hitleristen“ vermutete. Aus diesem Grund hatte er auch seine beiden deutschen Klassen besonders „im Auge“.

Jeden Morgen mussten wir uns klassenweise im Schulhof aufstellen und der Reihe nach durch eine enge Türe in das Gebäude eintreten, wobei kontrolliert wurde, ob jeder am linken Ärmel die Vignette „LGL“ aufgenäht hatte. Hatte man die bestimmte Jacke vergessen, durfte man nicht hinein, oder ein anderer Schüler warf einem aus dem Fenster im andern Schulhof hilfsweise seine Jacke herunter.

Eines Tages war unser Direktor höchstpersönlich damit beschäftigt, an der Eingangstür den deutschen Schülern die Mützen regelrecht vom Kopf zu reißen mit der Bemerkung „Vă dau eu vouă, șepci hitleriste“ (ich gebe euch schon, Hitlermützen) und seine Beute als corpus delicti im Lehrerzimmer vorzuführen. Es bedurfte einiger Mühe unserer Lehrer und vor allen Dingen auch der rumänischen Lehrer, um den „Schuldiktator“ möglichst schonend über seinen Fehlgriff aufzuklären (siehe Klassenbericht K. Breckner). Wir, die deutschen Schüler, hatten einfach aus Jux die jahrzehntealten Brukenthaler Schülermützen, vom Opa noch, mitgenommen. Ja, so war die Zeit in den 50er Jahren.

Solche Auftritte gab es dann in der neuen Schule natürlich nicht mehr. Und ab da waren wir eine deutsche Schule mit deutschem Lehrkörper und Verwaltung. Die Umgangs- und Unterrichtssprache war Deutsch. Die Schule war recht groß, mit vielen Klassenräumen, großem Schulhof, modernem Turnsaal und einem Sportplatz, als Fußballplatz gestaltet, wo Ali Kindermann, unser neuer Turnlehrer, uns mit der Granate als Sportgerät werfen ließ (das war damals eine verpflichtende Wehrübung). Und um alle Räume zu belegen, wurden noch einige gemischte Elementarschul-Klassen von der deutschen Konradplatz-Schule übernommen. Das war sehr aufregend, denn da waren plötzlich lauter schöne Mädchen im Schulhof zu betrachten.

Zusätzlich wurde in den Räumen im ersten Stock, mit großer Hilfe von Prof. Schmidt ein Internat, für die von auswärts kommenden Schüler, eingerichtet. Auch neue junge Lehrer stellten sich vor, wie die Herren Römer, Hermann, Fakesch, Braisch, Enzinger u.a., angeführt von Rektor Enkelhardt.

Nachdem in ganz Rumänien alle Schulen immer am 15. September begannen, wurden auch gleich in den ersten Schultagen die außerschulischen Aktivitäten wie Lernkreise, Sportmannschaften, Kunst-Kreise und Technik-Gruppen organisiert. Dabei regte sich bald auch das musikalische Bedürfnis. Unser damaliger Geschichtelehrer Hermann Schmidt (später der jahrelange Rektor der Brukenthalschule), ergriff die Initiative, ließ überall nachfragen und belebte die alte „Blasia“-Idee. Er gründete eine neue Blaskapelle gleich im September 1954. Es wurden Instrumente besorgt und repariert und, was der größte Glücksfall war, es wurde der Neppendorfer Kapellmeister Michael Gärtz unter Vertrag genommen. Ich gab das Flügelhorn meines Vaters ab, so dass mein Kamerad Heinrich Schuller damit aktiv mitspielen konnte. Er kann heute noch viele gewesene Blasia-Mitglieder aufzählen wie Michael Nikolaus (Flügelhorn), Peter Leonhardt (Flügelhorn), Horst Schneider (Flügelhorn) Heini Schuller (Flügelhorn), Dirring (Flügelhorn), Thomas Nägler (Zuschlag-Horn), Klaus Weyrauch (Zuschlag-Horn), Mathias Beer (Bassflügelhorn), Drothler (Zugposaune), Harry Schmidt (Klarinette), Müller (Klarinette), Kurt Scheiner (Klarinette). Vielleicht können diese „Ehemaligen“, wenn sie diesen Artikel lesen, sich melden. Vielleicht organisiert jemand hier in Deutschland wieder ein Blasiatreffen, so wie es 1979 Erwin Kasper in Waldkraiburg tat.

In einer der ersten Proben im September 1954 oder sogar in der ersten Probe, fragte Hermann Schmidt den Dirigenten Gärtz, wann der erste Auftritt erfolgen könne. Antwort: in drei Monaten! Und es war sogar noch früher. Am 4. Dezember 1954 erfolgte das erste Konzert der neu gegründeten Blasia in dem neuen Knabengymnasium (Beleg vorhanden).

Die neu gegründete Blaskapelle am deutschen Knabenlyzeum zeigte durch die regelmäßigen Proben im neuen Jahr 1955 unter den strengen Augen des Kapellmeisters Gärtz bald Wirkung. Die Kapelle wurde immer besser und am 1. Mai 1955, bei dem großen Defilieren zum Tag der Arbeit, zog das Knabengymnasium mit seiner Blasia vorne dran, durch das Stadtzentrum und durch die Hauptstraße, die Heltauer Gasse, an der großen Tribüne vorbei, wo ja die mächtigen Kommunisten und Stadtväter saßen. Zu erwähnen ist noch, dass es zu Beginn eine Verordnung gab, dass nicht im Gleichschritt auf die Musik marschiert werden darf (wegen der Erinnerung aus der Kriegszeit). Und als unsere Kapelle jetzt in der Nähe der Tribüne ihren schönsten und zackigsten Marsch anstimmte, um beim Vorbeimarsch den besten Eindruck zu hinterlassen, kamen Ordner und Offiziere gelaufen und unterdrückten alles, weil gerade in der gleichen Zeit eine Militärkapelle ein (mir langweiliges) Lied spielte. Es war vorher nicht abgesprochen worden. Also war alles umsonst gewesen.

Dafür war morgens am 1. Mai das Blasen vom hohen Schulturm erlaubt, nachdem die Genehmigung eingeholt worden war (die neue Schule beinhaltete außer den vielen Klassenräumen auch eine integrierte Kirche mit Turm). Die Bevölkerung im Umkreis war hell begeistert vom Lied „Der Mai ist gekommen“. Sie hatten ja vorher so etwas noch nie gehört.

Im 1955 gab es dann mehrere Auftritte. Ein Blasmusikkonzert wurde in dem schönen großen Schul-Turnsaal dargeboten. Das „Programm-Blatt“ ist erhalten geblieben (leider ohne Datum). Da kann man lesen: „Zwei Seelen“ von Emil Stolz oder „Jägerchor“ aus der Oper „Der Freischütz“ u.a. Zum guten Gelingen des Abends wurde auch ein Theaterstück unter Regie von Prof. Harald Krasser aufgeführt.

Im Frühjahr 1955 wurde auch eine große Ausfahrt in die Nähe Hermannstadts unternommen, wobei die Blasia zusammen mit der Gitarrengruppe auftrat (Datum nicht mehr bekannt).

In die Knabenschule kam im späten Frühjahr 1955 etwas Unruhe auf, als die Übersiedlung in das alte Brukenthal-Schulgebäude vis-à-vis der Evangelischen Kirche, begann. Wir legten noch in Ruhe im Juni unser Bakkalaureat im schön eingerichteten Turnsaal ab. Alle Fächer an einem Tag, wie es damals üblich war. Dafür sollten wir unsere Abiturdiplome jedoch, noch von der alt bewährten Schulsekretärin Frl. Leonhardt, in der richtigen Brukenthalschule am Huetplatz, empfangen. Gestempelt mit „Oberschule für Jungen Nr. 4 mit deutscher Unterrichtssprache“. Also waren wir in den letzten Augenblicken doch noch richtige „Brukenthaler“ geworden.

Die Größe unserer Schule beglückte uns bis zum Schluss, denn wir feierten da noch einen rauschenden Exitus, zusammen mit den beiden Mädchenklassen des gleichen Jahrgangs. Nach 20 Jahren organisierte ich ein Erinnerungstreffen, wo dann auch ein buntes Foto geschossen werden konnte. Im Jahre 1955 war noch kein geeigneter Fotograf aufzutreiben.

Die Blasia mit ihrem Dirigenten Michael Gärtz übersiedelte mit der Schule zusammen auch in die Brukenthalschule am Huetplatz, also zurück in ihre alte Wirkungsstätte. Ich war damals, nach dem Abi, mehr an der Temeswarer Hochschule interessiert und weiß nicht, wie es seit dem Sommer 1955 weiterging. Ich glaube, Richard Schuller „Schucki“ übernahm dann wieder die Leitung. Und da endet mein Wissen.

Horst Fleischer, Leingarten

Schlagwörter: Hermannstadt, Gymnasium, Schule, Erinnerungen, Geschichte

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