28. November 2022

Literarischer Aufbruch in die Moderne: 54. Jahrestagung des AKSL

Vom 21. bis 23. Oktober 2022 fand am Heiligenhof in Bad Kissingen die 54. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) zum Thema „Literarischer Aufbruch in Siebenbürgen zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ statt. Mitveranstalter waren die Akademie Mitteleuropa e.V. und das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München.
Nach einer Begrüßung der rund 45 Tagungsteilnehmer aus Deutschland, Rumänien und Ungarn durch den Gastgeber Gustav Binder am Freitagabend eröffnete der AKSL-Vorsitzende Dr. Harald Roth die Tagung und dankte neben den Mitveranstaltern vor allem Prof. Dr. András Balogh (Budapest/Klausenburg) und Dr. Enikő Dácz (München), denen Planung, Konzeption und inhaltliche Organisation der Tagung oblag.

Mit seinem Beitrag „Zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Literarische Konstellationen nach dem Ersten Weltkrieg in Siebenbürgen“ führte Prof. Dr. András Balogh in die Thematik der Tagung ein. Der Zeitabschnitt nach dem Ersten Weltkrieg führte nicht nur in Politik oder Gesellschaft zu Traditionsbrüchen und Neuorientierungen, sondern auch in der siebenbürgisch-deutschen Literatur. Die noch aus dem 19. Jahrhundert herrührende Aufgabe der deutschen Literatur Siebenbürgens zur Stärkung der sächsischen Identität und deutschen Gemeinschaft schien angesichts der politischen Entwicklungen in den 1920er Jahren gescheitert. Dieser Traditionalismus einerseits und die Notwendigkeit zur Modernisierung der deutschen Literatur Siebenbürgens andererseits führten in ein Dilemma und schufen künstlerisch-ästhetische Spannungen, die sich in den literarischen Werken jener Zeit nachvollziehen lassen. In der Person und im Werk Adolf Meschendörfers erkennt Balogh einen der wichtigsten Erneuerer der siebenbürgisch-deutschen Literatur jener Zeit. Mit seiner Sprache schuf er eine neue moderne, künstlerische Ästhetik, und seine Romane, die den Gegensatz von Individuum und Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Ungewissheiten jener Zeit aufgreifen, verstärkten dadurch wieder jenes verloren geglaubte sächsische Identitätsgefühl.

Der Samstag begann mit dem Beitrag „Literarische Inszenierungen von Kronstadt nach dem I. Weltkrieg“ von Dr. Enikő Dácz. Darin stellte sie Teilergebnisse eines sechsjährigen gemeinsamen Forschungsvorhabens mit Dr. Réka Jakabházi vor. Kronstadt eignete sich deswegen für diese Untersuchung, da die Verteilung der drei großen Sprachgruppen damals recht ausgeglichen war und die Stadt aufgrund der Heterogenität der literarischen Felder eine Ausnahmestellung unter den siebenbürgischen Städten besaß. Dácz analysierte, wie sich diese literarischen Felder verschoben, welche Positionierungsstrategien die ungarische, rumänische und sächsische Literaturszene entwickelte und in welcher Form sich das jeweilige literarische Kronstadt inszenierte – zumeist in Veranstaltungen, Lesungen und literarischen Zirkeln – und dabei gegenseitig rezipierte. Neben der Herausbildung von nationalen Regionalismen, die auch zu Konflikten führten, entstanden jedoch auch transnationale Überlappungen und dadurch neue Netzwerke. Wie sich diese langfristig im Kronstädter Literaturleben auswirkten, soll Gegenstand eines Nachfolgeprojekts werden.

Dr. Réka Jakabházi (Klausenburg) veranschaulichte in ihrem Vortrag „Das Burzenland in der dreisprachigen Lyrik der Zwischenkriegszeit“ dessen identitätsstiftende Bedeutung und Wirkung. Anhand zahlreicher Gedichte sächsischer, ungarischer und rumänischer Lyriker – etwa Adolf Meschendörfer, Konrad Nußbächer, Lajos Áprily, Ferenc Szemlér, Ion Sassu-Duşcoară und Ştefan Baciu – analysierte sie die lyrischen Landschaftsbilder in ihrer Symbolhaftigkeit für die Geschichte der eigenen Nationalität, für Heimat und geschichtlichen Wandel sowie für den Versuch, jene alte Zeit zu bewahren. Die Natur, und hier vor allem das stets wiederkehrende Motiv der Berge, widerspiegelt nicht nur die kollektive historische Erinnerung. Sie steht auch für das alles Überdauernde, das keinem politisch-historischen Wandel wie demjenigen nach dem Ersten Weltkrieg unterliegt.

Isabella Cârlănaru (Klausenburg) untersuchte in ihrem Beitrag „Heinrich Zillich. Autor, Exeget und Literaturorganisator“ den Aspekt der Multikulturalität Siebenbürgens in dessen Roman „Zwischen Grenzen und Zeiten“ (1936). Sie wählte dafür die Formen der Mehrsprachigkeit, die der Autor in seinem Roman vielfach verwendete, und kategorisierte diese systematisch anhand einschlägiger Gruppierungsmerkmale, die sie mithilfe zahlreicher Textbeispiele erläuterte.

Dr. Szabolcs János (Großwardein) stellte die „Ungarisch-sächsische Kooperation in der Zwischenkriegszeit“ im Rahmen des literarischen Transsilvanismus‘ vor. Der Transsilvanismus als eine ungarische geistig-philosophische Strömung entstand nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und betonte eine spezifisch siebenbürgische Identität oder siebenbürgische Seele, die nationale oder konfessionelle Abgrenzungen ignoriert und als Ergebnis der Landesnatur, der alle Siebenbürger zugehörig sind, wirksam ist. Ihren griffigen Niederschlag fand diese Vorstellung in dem schlicht scheinenden Satz: „Der Beweis der siebenbürgischen Idee ist Siebenbürgen selbst.“ Einen Schwerpunkt dieser Kooperation bildete der Austausch auf der Ebene literarischer und kulturpolitischer Zeitschriften der frühen Zwischenkriegszeit – Erdély Helikon, Pástortűz, Klingsor –, wodurch ein primär literarischer Dialog angestoßen werden sollte, um diesem Konzept eine möglichst breite Akzeptanz zu verschaffen. Tatsächlich kam es in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu einem verstärkten Austausch sächsischer und ungarischer Autoren, zu ­gegenseitigen Einladungen, gemeinsamen Lesungen, Rezensionen, Briefwechseln, Ausgaben der eigenen Zeitschriften in der jeweils anderen Sprache. Die angestrebte langfristige literarisch-kulturelle Zusammenarbeit scheiterte schließlich. Als Keimzelle für eine siebenbürgische Utopie besitzt sie jedoch ideengeschichtliche Relevanz, die über ein rein literaturhistorisches Phänomen hinausragt.

Doina-Doris Coţa (Klausenburg) vermittelte in ihrem Beitrag „Iris Wolff und die Rezeption des I. Weltkriegs anhand des Romans ‚So tun, als ob es regnet‘“ einen Eindruck über ihr Dissertationsthema. In einem eher textanalytischen Ansatz veranschaulichte sie die schlichte und melodische Sprache der Autorin und vor allem deren Fokussierung auf die visuelle Wahrnehmung und wie sie diese literarisch umsetzt.

Einen größeren thematischen Sprung bewältigte abschließend Dr. Oli­ver Herbst (Würzburg) in seinem Vortrag „Vom Gedichtvortrag bis zu Social Media. Wo stehen die Dialekte der Siebenbürger Sachsen heute?“, in dem er einen Überblick über sprach- und kulturgeschichtliche Bezüge der rund 250 siebenbürgisch-sächsischen Dialekte bot, den er um eine kurze, aber umfassende Übersicht der Instrumente und Medien zu deren Dokumentation ergänzte. Gezielt ging er auf die Bedeutung der sozialen Medien bzw. digitaler Foren im Allgemeinen ein und deren Bedeutung für die Bewahrung aber auch Verbreitung dieser Dialekte, auch wenn er deren Fortbestand als gefährdet ansieht. Seinen Aufruf zur Pflege des Sächsischen ergänzte er mit Vorschlägen, wie dessen Verwendung innerhalb verschiedener Altersstufen oder Redesituationen untersucht werden könne.

Eine Lesung der vor allem durch Kinderbücher bekannt gewordenen Autorin Karin Gündisch aus ihrem (noch) unveröffentlichten Manuskript „Geheime Seiten des Lebens“ beschloss das Tagungsprogramm. Ihr Roman für erwachsene Leser, den sie selbst als Bericht aus dem Inneren einer Diktatur bezeichnete, fußt auf ihrem Tagebuch, das sie zwischen 1982 und 1984 führte und das eher einer Chronik der Ereignisse jener Jahre entspricht und weniger einer Sammlung persönlicher Gedanken und Reflexionen. Dadurch fungierte es als eine Art Materialsammlung für den Roman, der zeitlich in denselben Jahren angesiedelt ist. So entstand eine zwar fiktive Geschichte, die sich jedoch an realen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen orientiert. ­Jedem der 40 Buchkapitel fügte die Autorin daher in einem Anhang Originaldokumente, etwa Quellen, Dekrete oder Geheimdienstberichte hinzu.

Die 55. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde zur Rechtsgeschichte Siebenbürgens wird vom 21.-24. September 2023 in Passau stattfinden.

Stefan Mazgareanu

Schlagwörter: AKSL, Jahrestagung, Literatur

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