14. Mai 2023

Die Hermannstädter Puppenmacherin Mathilde Mangesius

Erinnerungen an die wohl bedeutendste siebenbürgisch-sächsische Puppenkünstlerin und ihre Trachtenpuppen
Thilde Mangesius mit zwei kleinen Helfern (in der ...
Thilde Mangesius mit zwei kleinen Helfern (in der Mitte wohl Malersohn Gerold Hermann geb. 1923, verschollen 1945) beim Anziehen und Bemalen von Trachtenpuppen in ihrer Puppenwerkstätte in Hermannstadt (1. Hälfte 1930er Jahre). Nachlass Dr. Andreas Möckel. Foto und Bildunterschriften: Konrad Klein
Jedes Lebewesen hinterlässt eine Spur, die im Lauf der Zeit verblasst oder vergeht. Manchmal sind es Zufälle, die in letzter Minute eine Initiative ermöglichen, etwas aufzugreifen und in einem neuen Licht zu betrachten. Solch ein Zufall ergab sich vor Jahr und Tag in einem Gespräch mit Konrad Klein, der sich auch für das gleiche Thema interessierte wie ich, mir dann aber den Vortritt ließ, weil ich die hier vorgestellte Person noch persönlich kannte. Die Rede ist von Mathilde Mangesius (1884-1969), die mir noch aus meinen Kindheitstagen sehr gut in Erinnerung ist, weshalb ich sie hier würdigen möchte, ehe die Erinnerung an sie ganz erloschen ist. Es war schwer, überhaupt noch Zeitzeugen zu finden (etwa Professor Volker „Focke“ Hermann, der sogar ihr Nachbar war), so dass ich mich weitgehend auf gedruckte Veröffentlichungen und Fotos verlassen musste.

Mathilde (Thilde) erblickte am 5. September 1884 in Bukarest als Tochter des Oberförsters Emil Mangesius und der Friederike Thekla, geborene Busch, das Licht der Welt. Sie wohnte in Hermannstadt in einem wunderschönen Haus mit gepflegtem Rosengarten in der Poplakerstraße 58 (heute Str. Cristian Nr. 18). Seit einigen Jahren befindet sich in dem Haus mit der markanten Mansarde ein medizinisches Zentrum.
Messestand mit sächsischem Hausfleiß auf der ...
Messestand mit sächsischem Hausfleiß auf der Weihnachtsausstellung des Sebastian-Hann-Vereins in Hermannstadt 1935 (?). Vorne Puppen von Thilde Mangesius in sächsischer und rumänischer Tracht. Fotopostkarte, Sammlung Konrad Klein
Da ich als Kind Zutritt zu ihrer Werkstatt im Dachgeschoss des Hauses hatte, beschreibe ich sie aus der Sicht meiner jugendlichen Wahrnehmungen, die mich langfristig geprägt haben. Im Straßenbild war sie bekannt als kleine Person mit schönen weißen Haaren. Sie war freundlich, aber reserviert und stets streng und diszipliniert bei ihrer Arbeit. Ich bewunderte ihre kleinen, antiken Möbel mit den vielen Schubladen und Fächern voller Kostbarkeiten, Stoffen und Bändern, wo ich stöbern durfte, wenn ich bei ihr war. Wohnung und Atelier waren eins, überall gab es Puppenteile, die zum Trocknen von der Decke hingen. Als gebildete und keineswegs weltfremde Künstlerin war sie häuslich und, vornehm ausgedrückt, großzügig: voller Stolz zeigte sie mir ihre Spülbürste zur schnellen Erledigung des Abwasches.
Trachtenpuppen von Thilde Mangesius, ...
Trachtenpuppen von Thilde Mangesius, Weihnachtsausstellung 1935. Nachlass Dr. Andreas Möckel. Foto: Konrad Klein
Ihre modernen Stoffpuppen in der Art der Käthe-Kruse-Puppen (mit der sie auch in Verbindung stand) waren von „gesunder Einfachheit der Körpergestaltung und Gewandung“, wie am 27. Mai 1932 im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt zu lesen war. Eine ihrer Puppen schaffte es auf das Titelblatt der illustrierten Wochenschrift Welt und Heimat vom 27. Juli 1924. 1925 stellte sie beim Sebastian-Hann-Verein Puppen und Puppenwagen aus. Im Adressbuch der Stadt Hermannstadt von 1933 wird sie mit einer „Puppenfabrik“ in der Poplakerstraße erwähnt.

Thilde Mangesius: Sächsische Bauernkinder (um ...
Thilde Mangesius: Sächsische Bauernkinder (um 1935), auf der Rückseite eine Notiz zur Größe: 36 cm. Nachlass Dr. Andreas Möckel
Im Dezember 1943 schrieb Harald Krasser in der Südostdeutschen Tageszeitung: „Die Trachtenpuppen der Mathilde Mangesius verdienen besonders hervorgehoben zu werden.“ 1944 wird sie in der Zeitschrift Volk im Osten anlässlich der Kunstausstellung der deutschen Volksgruppe in Rumänien von Dr. Otmar Richter lobend erwähnt: „Die Trachtenpuppen von Thilde Mangesius runden das Gesamtbild der Ausstellung ab und verbinden in glücklicher Weise die alten gesunden Bindungen zwischen Kunst und Handwerk.“

1950 berichtet die Lupta Sibiului in ihrer Ausgabe über die „arta plastică“ (Bildende Kunst) in Hermannstadt von einer Gemeinschaftsausstellung, in der Mangesius eine beeindruckende und tiefe Kenntnis der Nationalitäten bescheinigt wird. Die Trachten der Puppen würden durch Liebe zum Detail bestechen und seien ein genaues Abbild des Originals, so dass es für jedermann leicht erkennbar sei, welche Region des Landes die Puppe repräsentiere. Oft stellte sie zu ihren Puppengruppen als Dekoration einen kleinen Esel hinzu. Im Mai 1951 wiederum wird sie im Neuen Weg im Rahmen einer Ausstellung der bildenden Künstler Hermannstadts mit vielen Trachtenpuppen erwähnt. 1955 war sie in der Ausstellung der Region Stalin mit den nordsiebenbürgischen „Bauern aus Drăguș“ vertreten. Das war nur ein Teil ihrer erfolgreichen Ausstellungen. Den Überblick über die Veröffentlichungen in der Presse ermöglichte mir Manfred Wittstock aus Hermannstadt, der in seinem bzw. Rolf Schullers Künstlerarchiv zahlreiche Unterlagen von ihr aufbewahrt.

Thilde Mangesius: Sächsisches Brautpaar in ...
Thilde Mangesius: Sächsisches Brautpaar in Festtracht (ca. 1935). Auf der Rückseite Notizen zur Größe (42 cm) und zum Verkaufspreis der für Berlin bestimmten Puppen in Reichsmark („à Stck RM 27,-/zus. 40 RM“). Nachlass Dr. Andreas Möckel (ursprüngl. Nachlass Trude Schullerus)
Letzten Sommer versuchte ich in Hermannstadt noch mehr über sie zu erfahren (Besuch im Teutsch-Haus, Telefonate mit Zeitzeugen, Gespräche mit der Trachtenpuppenmacherin Edith Rothbächer…) – leider vergebens. Im Gespräch mit Professor Volker Hermann bei selbst gepresstem Apfelsaft in seinem liebevoll gepflegten Garten taten nachbarschaftliche Erinnerungsgespräche sehr gut. Da Mathilde schräg gegenüber wohnte, half er ihr als Kind beim Stanzen von Puppenteilen oder beim Stopfen der Puppenkörper, wie er sich noch erinnern konnte. Außerdem besaß er eine Puppe, einen Jungen, die er aber leider nicht mehr finden konnte. Sein Vater Hans Hermann, der bekannte Maler und Kunsterzieher, hatte vergeblich versucht, Mathilde an verschiedene Kunstvereine zu vermitteln – sie arbeitete lieber autark und wollte sich nicht von anderen in ihre Arbeit reinreden lassen.

Ihre Künstlerpuppen waren bekannt und begehrt, aber durch die aufwendigen Ausrüstungen nicht billig und dadurch auch nicht zum Spielen gedacht. In den späten 50er Jahren wurde es ruhig um sie, ich erinnere mich noch gut an ihre regelmäßigen Besuche bei uns zum Mittagessen, die meine Mutter als Nachbarschaftshilfe organisiert hatte.

Bei meiner Cousine Brigitte tauchte vor längerer Zeit ein silberner Serviettenring auf, von dem sie nicht so recht wusste, was für eine Bewandtnis es damit auf sich hatte. Auf der Vorderseite war der Name „Mathilde Mangesius“ eingraviert, wahrscheinlich war es seinerzeit ein Notverkauf. Durch unsere Ausreise 1962 hatte ich sie aus den Augen verloren. Für mich war sie eine Persönlichkeit, die mich schon als Kind künstlerisch geprägt hat. Im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim sah ich vor vielen Jahren eine Puppe von ihr in einer Vitrine, die mich auch zu dieser Hommage an Mathilde Mangesius inspiriert hat. Ein spätes Dankeschön an sie und ihr Schaffen. Entschuldige, liebe Thilde, falls ich jetzt allzu viel aus deinem Nähkästchen geplaudert habe.
Das „Mangesiushaus“ in der Poplakerstraße 58 ...
Das „Mangesiushaus“ in der Poplakerstraße 58 (heute Str. Cristian 18), wo die Puppenkünstlerin Mathilde (Thilde) Mangesius wohnte und ihre Puppenwerkstätte hatte. Foto: Ursula Hergesell
Mathilde Mangesius starb am 28. Februar 1969 in Hermannstadt. Ihre Grabstätte ist auf dem dortigen Friedhof zu finden: A-18-C-23. Herzlichen Dank an Konrad Klein für die mir zur Verfügung gestellten Bilder, einschließlich der Wochenschrift Welt und Heimat.

Ursula Hergesell

Schlagwörter: Puppenmacherin, Hermannstadt, Trachtenpuppen

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