24. Juni 2023

OSSIS STEIN: Ein Hörspiel von Frieder Schuller im „Haus der Geschichte“ in Dinkelsbühl

Einen besonderen „Sendeplatz“ auf dem Heimattag hatte die Premiere von OSSIS STEIN oder DER WERFE DAS ERSTE BUCH, ein Hörspiel von Frieder Schuller. Fern vom festlichen Straßenlärm fand die Präsentation am 27. Mai im „Haus der Geschichte“ in Dinkelsbühl statt. Der abgedunkelte Kinosaal bot ideale Bedingungen, um sich ganz einzulassen aufs Hören und das dichte Spiel der Worte zu erfahren.
Oskar Pastior, porträtiert in einem Holzschnitt ...
Oskar Pastior, porträtiert in einem Holzschnitt von Gert Fabritius. Bildquelle: Gert Fabritius
Von der – tatsächlich oder vermeintlichen – Unehrlichkeit eines Mitmenschen zu hören, setzt unterschiedlichste Reaktionen frei: Enttäuschung, Scham, peinliches Berührtsein gehören ebenso dazu wie Wut, Aggression bis hin zur sozialen Stigmatisierung der betroffenen Person. Eben darauf reagiert das Hörspiel OSSIS STEIN.

In 30 kurzen Szenen mit wechselnden Paaren hinterfragt Frieder Schuller die Verbindungen des Lyrikers Oskar Pastior (1927 Hermannstadt – 2006 Frankfurt a. M.) zum rumänischen Geheimdienst Securitate. Von „Otto Stein“, Pastiors Deckname als IM, entlehnt der Autor seinen „Ossi“, und der Name wird zum tatsächlichen Stein. Schon damit werden Denk- und Spielräume eröffnet. Schnell wird klar, dass in diesem Prozess, in dem es um das Verteidigen und Erklären, vielleicht das Aus-, Ver- und Behandeln einer Schuld geht, letztlich vor allem die eigene Urteilskraft gefordert ist. Die weiter im Titel angebotenen Anlehnungen an Mythos (Sisyphus) und Neues Testament (die verhinderte Steinigung Maria Magdalenas) können hilfreich sein, müssen aber die Rezeption nicht verengen.

Nach Präsentation des knapp einstündigen Hörspiels standen der aus Katzendorf angereiste Autor und Sebastian Mandla, Gründer und Leiter von 3nsemble 23 e.V., einer Theatergruppe von Menschen mit und ohne Behinderung in Leipzig, dem Publikum für Fragen und Gespräch zur Verfügung. Wie es dazu kam, sich dieses Sujets anzunehmen und es nach einer ersten Konzeption für die Bühne – die Uraufführung fand am Radu-Stanca-Nationaltheater in Hermannstadt statt – zum Hörspiel umzuschreiben, schilderte Frieder Schuller in knappen Worten: Er habe, sagt er, Oskar Pastior persönlich gekannt und in den einst mit ihm geführten Gesprächen durchaus ein Empfinden dafür gewonnen, welchen nie ausgesprochenen, permanent präsenten Zwängen sich der ältere Lyrikerkollege in Rumänien ausgesetzt gesehen haben müsse. Als dann, nach dessen Tod 2006, die Verpflichtungserklärung entdeckt, publik gemacht und lautstark diskutiert wurde, habe ihn, Schuller, vor allem ein Satz des Verlegers Michael Krüger vom Carl Hanser Verlag berührt, wonach Pastior in der Zeit nach der Ausreise immer wieder davon gesprochen habe, unter welch erstickender Angst er in Rumänien litt, dass seine Homosexualität bekannt gemacht und er infolgedessen den damals gängigen Repressalien ausgesetzt werden könnte.

Frieder Schuller. Foto: © Kristian Schuller ...
Frieder Schuller. Foto: © Kristian Schuller
In seinem Nachwort der Hörspielfassung formuliert Schuller es dann so: „Die Angst des Homosexuellen und die Angst des aus der Deportation Zurückgekehrten, wieder in Haft zu müssen, dürften den jungen Oskar Pastior zu einem idealen Erpressungsopfer der Securitate gemacht haben.“ Die klar aufscheinende Bereitschaft, Verstehen zu üben und Würde nicht noch einmal zu rauben, sind zweifelsohne die Triebkraft für die Erarbeitung der mit OSSIS STEIN vorgelegten szenischen Annäherung. Schuller will für Pastior einstehen und zugleich der Gegenwart ein Bild vermitteln von einer Zeit und einem Land, in dem die Lebenswelt des Individuums von böswilliger Beschneidung und Eingrenzung geprägt war. Und, fast wie zur Verteidigung des eigenen Stücks, fügt er hinzu: „Das Aufnahmegerät, das er (Pastior) mit sich führte, war groß und schwer, unübersehbar! Da kann ich doch nicht so überrascht tun.“

Sebastian Mandla hat sich zur Aufgabe gemacht, OSSIS STEIN mit seinem Ensemble zu vertonen. Auf die Frage, was ihn daran reizte und wie er vorging, das Thema mit seinem 3nsemble 23 (Website), einer Theatergruppe von Menschen mit und ohne Behinderung, umzusetzen, erklärte er zunächst Praktisches. Zum Beispiel, dass die Spielerinnen und Spieler mit Behinderung für die Tage der Proben und Projektarbeit von ihren jeweiligen Werkstätten, in denen sie gewöhnlicherweise arbeiten, freigestellt werden. Auf diese Weise erhielten sie Arbeits- und Lebenserfahrung, die komplett außerhalb ihrer geschützten Alltagssituation liegt. Das sei schon ein Wert für sich. Die intensive Zusammenarbeit mit den nicht behinderten Künstlerinnen und Künstlern biete, so Mandla, die Chance, den Gedanken der Teilhabe und Inklusion positiv für alle umzusetzen, eben auch mit dem Ergebnis, ein Stück zu erarbeiten, das man dann vorführen oder präsentieren kann. Die Möglichkeit, sich selbst als aktiv mitgestaltenden Teil der Welt wahrzunehmen, stärke das Bewusstsein für die eigene Person. Weiter erwähnte Mandla, dass in Vorbereitung der Aufnahmen das Thema des „Anschwärzens“ beziehungsweise der „Denunziation“ ausführlich bearbeitet und diskutiert wurde. Unbekannt sei es nicht, das Leben in Wohngruppen und die unumgängliche Abhängigkeit zu Betreuern und Betreuerinnen bringe es mit sich und sei jedem vertraut. Letztlich sind es diese grundsätzlichen Überlegungen, die in der Arbeit des Ensembles immer wieder zu einer Erdung der Dinge und der Themen führen und so den Ton bestimmen, wie auch die professionellen Sprecherinnen und Sprecher ihre Stimme den jeweiligen Figuren leihen.

Frieder Schuller sucht für sein Stück einen Ton, der weder Absolution erteilen noch Verstehen erzwingen will. Das Suchende lässt er gleich im Prolog aufscheinen, wo Pastior selbst zu Wort kommt und erklärt: „Bewältigung hat, wie immer man es dreht,/ mit willentlicher Gewalt zu tun./ Ich bleibe lieber in der vermeintlichen Schuld./ Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten.“ Oskar Pastior Über die nächsten Aufführungen und Gastspiele des Hörspiels sowie andere Möglichkeiten zum Nachhören wird alsbald an dieser Stelle informiert. Vorgesehen ist auf jeden Fall schon eine weitere Aufführung am 4. November 2023 in Leipzig, wo das Stück, wieder begleitet von einer Podiumsdiskussion, vorgestellt wird.

Heinke Fabritius

Schlagwörter: Heimattag 2023, Dinkelsbühl, Oskar Pastior, Hörspiel, Schuller

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