30. August 2023

Neue Erzählungen von Astrid Bartel: "Des Lebens ungeteilte Freude"

Der Titel des neuen Buches "Des Lebens ungeteilte Freude" von Astrid Bartel ist auch der Titel einer der Erzählungen. Angelehnt an Schiller schwebt das Zitat unausgesprochen über so mancher vermeintlich harmlosen Begebenheit, es ist die Grundstimmung des Lebens an sich, das – wie wir es ja alle kennen – nur selten glatt verläuft.
Astrid Bartel ist ein aufmerksamer Mensch, der offen, beinahe ungeschützt den unterschiedlichsten Menschen begegnet, mit ihnen Freude und Leid empfindet und sie voller Empathie in ihren Handlungsweisen beobachtet, manchmal auch selbst Teil der Handlung wird. Wie so viele ist auch Astrid Bartel keine „geborene“ Schriftstellerin, die ihr Leben von früh an dem Schreiben gewidmet hätte, sondern erst ihre Lebenserfahrung brachte sie dazu.

Während die ersten beiden Erzählbände ausschließlich Geschichten und Erinnerungen aus ihrer Heimat Siebenbürgen enthalten, finden wir im neuen Buch nun auch Begebenheiten, wie sie ihr in ihrem Leben in Deutschland passieren. Als junge Studentin kam sie 1965 zusammen mit den Eltern nach Deutschland, studierte in Köln und zog schließlich mit ihrem Mann nach Berlin. Nachdem die vier Söhne erwachsen waren und die politische Wende viele Rumänen, darunter zahlreiche Roma, in den Westen spülte, arbeitete sie einige Jahre als vereidigte Dolmetscherin für die Berliner Kriminalpolizei. Viele Erinnerungen an Begebenheiten aus ihrer Kindheit und Jugend in Hermannstadt kamen dabei in ihr hoch und sie begann, die Erlebnisse aufzuschreiben.

Dieses „Aufschreiben“ führt uns auch noch im dritten Band zu Geschichten aus Kindheit und Jugend wie die über Franzonkel, der nach Jahren in sibirischer Gefangenschaft plötzlich vor der Tür stand. Oder wir lernen Coco kennen, ein in Temeswar gestrandeter Mensch aus Czernowitz, in dessen Kellerwohnung die junge Studentin gern Tee aus dem Samowar trinkt und Gespräche über „Gott und die Welt“ führt. Daneben stehen Begebenheiten über ihre ersten Jahre in Köln, als das westdeutsche Leben für sie noch zu einiger Verwirrung führte. Verwirrend war auch das Leben für so manchen Rom, der in den frühen neunziger Jahren nach Berlin kam und leicht in Situationen geraten konnte, die bei der Polizei oder sogar im Gefängnis endeten (und der erst einmal lernen musste, dass er kein „Zigeuner“, sondern ein „Rom“ ist). In wie viele vermeintliche oder echte Missverständnisse da die Dolmetscherin Astrid Bartel hineingeriet, lässt sich in einigen Geschichten zum Teil amüsiert, zum Teil nachdenklich miterleben.

Wie es den Menschen zumute war, die die Ausreise aus der sozialistischen Diktatur Rumänien hinein in die westliche Welt erlebten, das erzählt Astrid Bartel gleich in der ersten Geschichte des neuen Buches. Sie wirkt wie ein roter Faden, der sich unmerklich durch viele Erzählungen zieht und im Deutschland von heute ganz besonders virulent ist, nämlich die Frage, wohin die „Auswanderer“ denn nun gehören: Bleiben sie immer Fremde im neuen Land, hört das Heimweh einmal auf? Neben dem politisch-gesellschaftlichen Aspekt ist das in nicht geringem Maße auch ein innerer Konflikt jedes Einzelnen, der sein Zuhause verlassen musste.

Fast alle Begebenheiten werden von der Autorin als Ich-Erzählerin geschildert. Und sie schafft es, uns als Leser unmittelbar mitzuziehen, indem sie meistens ohne eine Einleitung gleich mitten in die Geschichte hineinspringt. Dabei baut ihr Stil nicht unbedingt Spannung auf, es ist eher so, dass die vermeintliche Schlichtheit von Sprache und Situationsbeschreibung uns gar nicht erst Distanz entwickeln lässt, sondern wir erleben sofort alles Erzählte mit. Wir erleben Menschen auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, wir freuen uns über kleine Widrigkeiten des Alltags, wir verfolgen mit Spannung den Verlauf einer Geschichte, warten auf den Höhepunkt und werden daraus manchmal ohne einen solchen wieder entlassen, sind aber trotzdem zufrieden, denn es ging ja „nur“ um eine unscheinbare menschliche Begebenheit. So ist das Leben, stellt man fest und kann dabei Parallelen zum eigenen finden.

Die Beobachtungsgabe der Autorin ist enorm. Über aller Beobachtungsgabe steht aber noch ihre Sympathie gegenüber den Menschen, die sie beschreibt, seien sie jung oder alt, gebildet oder einfältig, berechnend oder naiv. Und das macht ihre Geschichten so lesenswert.

Elisabeth Deckers

Astrid Bartel: „Des Lebens ungeteilte Freude“. Erzählungen. Books on Demand, Norderstedt, 2022, 396 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-7557-3396-6 (Hardcover); 14,90 Euro, ISBN 978-3-7557-1708-9 (Paperback); 5,49 Euro, ISBN 978-3-7562-7906-7 (E-Book)

Schlagwörter: Rezension, Erzählungen

Bewerten:

12 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.