3. Dezember 2023

Nachruf auf Ewalt Zweyer, der mehr war als nur Gründungschefredakteur der Hermannstädter Zeitung und Chefreporter des Neuen Weg

Der Journalist Ewalt Zweyer verstarb am 7. November in seinem 92. Lebensjahr in Zorneding bei München. In seiner Wohnung ist er unerwartet und friedlich eingeschlafen. Er war mit sich im Reinen und konnte getrost auf sein Leben und das, was er vollbracht hat, zurückblicken. Und das ist allerhand: in Rumänien wie in Deutschland, im privaten wie im beruflichen und nicht zuletzt im öffentlich-gesellschaftlichen Leben, sei es für den Verband der Siebenbürger Sachsen, die Siebenbürgische Zeitung oder andere Einrichtungen der Siebenbürger Sachsen.
Ewalt Zweyer und seine Tochter Ute Hellmuth ...
Ewalt Zweyer und seine Tochter Ute Hellmuth-Zweyer bei der Feier zum 55. Gründungsjubiläum der Hermannstädter Zeitung im Spiegelsaal des Forums am 25. Februar 2023. Foto: Laura Micu (Hermannstädter Zeitung)
Unter den Siebenbürger Sachsen hat der Name Ewalt Zweyer einen guten Klang. In den 70 Jahren, die er journalistisch tätig war, hat er jede siebenbürgisch-sächsische Gemeinde besucht, hat den Kontakt zu deren Bewohnern gesucht, um über erbrachte Leistungen oder stattfindende Ereignisse zu berichten. Er fand zu jedem einen Draht, egal ob Pfarrer oder Melker. Einen guten Klang hat der Name Ewalt Zweyer aber nicht nur bei den Personen und Personengruppen, über die er in seinen Reportagen berichtete und die er noch Jahrzehnte später beim Namen begrüßte. Den hat er auch bei den Tausenden von Lesern, denen er die stattgefundenen Ereignisse und erbrachten Leistungen übermittelte. Denn da er die Menschen, mit denen er zu tun hatte, verstand, konnte er sie auch seinen Lesern verständlich machen.

Im Dezember 1949 begann er als Lokalreporter bei der kurz zuvor gegründeten Tageszeitung Neuer Weg. 1950 übernahm er unter der Vorgabe, dass er Agronomie zu studieren hatte, das neu ins Leben gerufene Ressort „Landwirtschaft“. Das tat er ab 1950 im Fernstudium an der Universität Bukarest, sattelte aber 1965 auf das Studium der Germanistik und Anglistik um und beendete es 1970 mit einer Diplomarbeit über die völkerverbindende Wirkung der von Adolf Meschendörfer 1907-1914 in Kronstadt herausgegebenen Zeitschrift Die Karpathen. 1968 wurde er Chefredakteur der neu gegründeten Hermannstädter Zeitung (ab November 1971 in „Die Woche“ umbenannt). Am 15. November 1974 wurde er geschasst, hatte aber das Glück, als Chefreporter vom Neuen Weg angenommen zu werden und als solcher bis zur Rente im Oktober 1990 tätig zu sein. Auch danach und nach der im Dezember 1990 erfolgten Ausreise nach Deutschland war er weiterhin journalistisch tätig und veröffentlichte bis 2018 insbesondere in der Siebenbürgischen Zeitung (SbZ). Er tat das u.a. als Pressereferent und Schriftführer der Kreisgruppe München, er, der große Reportagen geschrieben, z.B. über Genschers Besuch in Rumänien, und Persönlichkeiten wie den Patenminister Hermann Heinemann interviewt hatte. Für Ewalt war das sehr wohl vereinbar und er sah keinen großen Unterschied zwischen Journalismus im Beruf oder im Ehrenamt: „In beiden Fällen dreht sich das Alltagsgeschäft um Menschen mit ihren Sorgen und Hoffnungen, mit ihrem Tun und Wollen“, bekannte er in dem Interview aus Anlass seines 80. Geburtstages (siehe Macher, Kümmerer und Journalist – Ewalt Zweyer zum 80.)

Der Journalist Ewalt Zweyer hat nicht nur in Print-, sondern auch in audiovisuellen Medien veröffentlicht. Von ihm stammen etliche Beiträge für das rumänische Fernsehen, insbesondere für deren Sendung in deutscher Sprache. Seine Reportage über die erste Auslandstournee der Tanzgruppe der Hermannstädter Brukenthalschule im Mai-Juni 1990 und deren Auftritte am Heimattag in Dinkelsbühl will ich herausheben, um Ewalts enge Bindung an die Brukenthalschule, für die er sich viele Jahre als Vorsitzender des Elternbeirates einsetzte, anzusprechen. 1999 hat er zum 50. Jubiläum des Verbandes der Siebenbürger Sachsen gemeinsam mit dem Kameramann Martin Zinz den Dokumentarfilm „Zeichen und Bilder unserer Gemeinschaft. Der Heimattag der Siebenbürger Sachsen“ erstellt, der zuletzt aus Anlass des 60. Jahrestag des Heimattages als Beitrag des digitalen Heimattages 2021 gezeigt wurde.

Beleuchten wir die angeführte journalistische Karriere näher. Als er sie im Dezember 1949 beim Neuen Weg begann, war Ewalt Zweyer, am 16. Februar 32 in Bukarest geboren (das Geburtsdatum besteht aus lauter Potenzen von zwei/y!), noch keine 18 Jahre alt! Er war noch keine 19, als er das Ressort Landwirtschaft übernahm und war gerade 36 Jahre alt, als er als Chefredakteur der Hermannstädter Zeitung deren erste Nummer vom 25. Februar 1968 innerhalb von neun Tagen mit einem kleinen unerfahrenen Team aus dem Boden stampfte. So etwas ist in Umbruchzeiten möglich, erstrecht wenn man wie Ewalt Zweyer Mitglied der Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) war, sogar Ersatzdelegierter des Kreiskomitees Hermannstadt und Mitglied der Zentralen Revisionskommission. Als solcher nahm er am 3. Juli 1968 teil an der Beratung beim Zentralkomitee der RKP mit Wissenschaftlern und Kulturschaffenden aus den Reihen der deutschen Nationalität, in deren Folge der „Rat der Werktätigen deutscher Nationalität entstand“. So etwas war aber auch möglich, weil Ewalts Vater, der aus Hermannstadt stammende Buchhändler und Musiker Friedrich Zweyer, nach dem Umsturz 1944 eineinhalb Jahre in Jilava inhaftiert war, so dass der Zwölfjährige als ältester von neun Geschwistern seinen Beitrag zum Familieneinkommen leisten musste in der familieneigenen Buchhandlung, aber auch außerhalb, z.B. indem er Ziegen hütete. Das erklärt Ewalts zupackende Art und sein Urvertrauen in seine Leistungskraft und -fähigkeit. Auch der unerschütterliche Grundoptimismus – an der Oberfläche neigte er sehr wohl zum Zagen und Mäkeln – und der Überlebenskünstler Ewalt Zweyer haben in dieser Zeit ihren Ursprung: ihr Haus überstand als einziges in der Nachbarschaft die großflächigen Bombardierungen Bukarests. Dieser Optimismus verließ ihn nie wieder. 80 Jahre später, am 21. August 2021 als er sich bei einem Sturz einen Halswirbelbruch zuzog, ließ er den Chirurgen vor der sehr riskanten Operation wissen: „Meinen 90. Geburtstag will ich noch feiern!“ Und er feierte ihn auch, fit an Geist und Körper.
Ewalt Zweyer beim Sichten von Bildern aus seinem ...
Ewalt Zweyer beim Sichten von Bildern aus seinem Leben, aufgenommen Oktober 2017 im oberbayerischen Zorneding. Foto: Konrad Klein
Für die frühe journalistische Karriere gibt es auch eine banalere Erklärung. Immerhin stammt er mütterlicherseits von der Kronstädter Verlegerfamilie Zeidner ab und ist davon geprägt worden. Diese Prägung führt über den Journalismus hinaus, hin zum Büchermacher, Herausgeber und Übersetzer Ewalt Zweyer. „Leben auf einem Bahnsteig“, seine Übersetzung des 1981 publizierten Romans von Octavian Paler, Leiter des Rumänischen Fernsehens und Chefredakteur der Zeitung România Liberă, durfte allerdings in der sozialistischen Ära nicht erscheinen(!), sondern erst 1994 im Kriterion-Verlag. Da hatte er schon die Ausstellung und das Begleitbuch „850 Jahre Siebenbürger Sachsen“ fertiggestellt. Er tat es dank einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – in Deutschland hatte er noch nicht das Rentenalter erreicht – und als „Heimatkundler“ der damaligen Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. in guter Zusammenarbeit mit Dr. Konrad Gündisch, Dr. Volker Wollmann und Erhard Graeff.

Es folgten viele weitere Buchprojekte, die er zwischen 1996 und 2008 für die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung München betreute. Neben annähernd 100 Ortsmonographien hat er 2004 auch die Festschrift „Zukunft gestalten – Werte erhalten. 25 Jahre Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung“ herausgegeben, auch in rumänischer und englischer Fassung als Band 56 der stiftungseigenen Schriftenreihe. Als „besonderer Vertreter“ hat er für die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung auch zahlreiche Projekte betreut oder durchgeführt, darunter auch große Restaurierungsmaßnahmen in Siebenbürgen, insbesondere an der Kirchenburg Tartlau. Es ist sicherlich auch diesen frühen Maßnahmen zu verdanken, dass sich die Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen heute zu einem touristischen Magneten entwickelt hat. Und dass Siebenbürgen insgesamt heute zu den Top-Reisezielen in Europa zählt, hat vielleicht auch mit Ewalt zu tun. 1995 organisierte er eine erste Reise nach Siebenbürgen für die Familie und enge Bekannte. 1997 und in den Jahren danach folgten Busreisen, an denen nicht nur Landsleute teilnahmen. Was für eine organisatorische Leistung das war, kann man erst richtig würdigen, wenn man sich bewusst macht, dass die damalige touristische Infrastruktur ebenso wie die damaligen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten mit den heutigen nicht zu vergleichen sind.

Ewalt Zweyer bei der Eröffnung der Foto ...
Ewalt Zweyer bei der Eröffnung der Foto-Wanderausstellung "Stillleben nach dem Exodus - Wehrkirchen in Siebenbürgen" von Peter Jacobi in München im Dezember 2010. Foto: Konrad Klein
Es ist allerhand, was Ewalt Zweyer sich zugetraut, was er angepackt und erledigt hat – bis ins hohe Alter hinein. Daher, aber auch dank der Art und Weise, wie er es schaffte, kann man ihn zu Recht als guten Sachsen bezeichnen. Auch wenn er kein Siebenbürgisch-Sächsisch sprach, so hatte er das typische evangelische Gottvertrauen und setzte sich tatkräftig, zuverlässig und beständig für seine Nächsten und die sächsische Gemeinschaft ein. Aber er war alles andere als ein typischer Sachs und auch wenn er gerne in seines Volkes Mitte gestanden hätte, gestand ihm dieses eher eine Randposition zu. Das hatte damit zu tun, dass er sich mit den kommunistischen Machthabern eingelassen hatte. In seinen Augen war das das kleinere Übel, war es der saure Apfel, in den man beißen musste, damit deutsche Kultur überhaupt gelebt und gepflegt werden konnte. In dem schon erwähnten Interview sind auch die „halben Wahrheiten“ und weitere Einlassungen zur Sprache gekommen, unter anderem, dass er sich geweigert hat, die Parteihochschule Ştefan Gheorghiu zu besuchen, und dass es ihm gelungen war, sich den Anwerbungsversuchen der Securitate zu entziehen. In weiteren Gesprächen hatte er mir versichert, niemandem bewusst geschadet zu haben, und mir ist auch nicht bekannt, dass jemand einen solchen Vorwurf gegen Ewalt erhoben hätte.

Das ändert nichts an der erwähnten Randposition und an der Tatsache, dass viele Landsleute eine gewisse Distanz bewahrten. Auch bei mir gab es diese Distanz, sie war aber in erster Linie dem Respekt und der Hochachtung einer solchen Persönlichkeit gegenüber geschuldet. Sie hatte aber auch mit Ewalts Haltung zu tun. Damit meine ich nicht nur die äußere Haltung, die Tatsache, dass er nie ohne Hut aus dem Haus ging, und sich nie ohne Sakko und Krawatte in der Öffentlichkeit zeigte. So freundlich und verbindlich er war und auf jeden zuging, so umgab ihn doch eine gewisse Unnahbarkeit. In den vielen Jahren, in denen wir nicht nur vieles zusammen erlebten, sondern auch viel und gut zusammen arbeiteten, lernte ich ihn besser kennen, auch im privaten Umfeld. Das tat meiner Bewunderung keinen Abbruch und wir kamen uns näher, wurden wärmer miteinander, aber richtig herzlich ist unsere Beziehung nicht geworden.

Das bedauere ich, und ich bedauere es erst recht, seit ich erfahren habe, dass er 2018 in seinen Zettelkasten auch eine Todesanzeige eingestellt hat mit einem eingekringelten Zitat von Albert Schweitzer: „Das einzig Wichtige im Leben, sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen.“ Ich bin mir aber sicher, dass er diese Spuren nicht nur bei seinen Eltern und Geschwistern, bei seiner Gattin Ilse, die er 1958 geheiratet und 2015 beerdigt hat, bei den drei gemeinsamen Kindern und drei Enkelkindern hinterlassen hat.
Das Redaktionskollegiums aus den Kindheitstagen ...
Das Redaktionskollegiums aus den Kindheitstagen der Hermannstädter Zeitung. Oben Chefredakteur Ewalt Zweyer mit Redaktionssekretär Felix Caspari, seinem „großen Zeigefinger“ (HZ vom 21.2.1969). Karikatur: Karl Nik. Voik. Bildarchiv K. Klein (Original: Samml. Hermann Schobel, Würzburg)
Zahlreiche und vielfältige Spuren hat Ewalt Zweyer an allen Orten seines Wirkens hinterlassen, in erster Linie in Hermannstadt. Seiner Heimatstadt, nicht Geburtsstadt, hat er sich in den letzten Jahren wieder zugewandt sie allein in diesem Jahr dreimal besucht – in Begleitung seiner Tochter Ute, die sich seit seinem Sturz 2021 intensiv um ihn gekümmert hat. Ein weiterer Besuch, bei dem er von Răzvan Pop für dessen Podcast zur Geschichte Hermannstadts interviewt werden sollte, stand bevor.

Mit dem Hermannstadt-Band der vom Wieser Verlag herausgegebenen Reihe „Europa erlesen“ auf den Knien ist Ewalt Zweyer nach einem längeren Telefonat mit Sohn Harald und in Anwesenheit seiner Tochter Ute Hellmuth-Zweyer am 7. November sanft entschlafen. Der Band war auf Seite 271 aufgeschlagen, dem Beginn des Beitrags von Emil Cioran. Ob er ihn schon gelesen hatte oder wieder lesen wollte, wissen wir nicht. Es hat ihn aber sehr gefreut, dass Cioran Hermannstadt neben Dresden und Paris zu den drei Städten der Welt zählt, die ihn fasziniert haben und dass Cioran sich wegen der in Hermannstadt gemachten positiven Erfahrung mit Mehrsprachigkeit, in mehrsprachigen Städten wohl fühlt.

Die Möbel, in denen Ewalt seine letzten Stunden verbracht hat, hatte er aus Hermannstadt mitgenommen und jetzt sind sie wieder nach Hermannstadt zurückgekehrt, in die Burgergasse, wo sie die Erinnerung an Ewalt bewahren werden, in dem von Ute eröffneten Café „Zweyers“.

Mir wird Ewalt als Kümmerer und ruheloser Macher in Erinnerung bleiben, als hellsichtiger Betrachter der Welt und seiner Bewohner, als toleranter und großherziger Menschenfreund, gerade weil er um deren Unzulänglichkeiten weiß. In Erinnerung bleiben wird mir aber auch manch eine seiner äußerst treffenden trockenen Bemerkungen oder Aperçus, wie z.B. dieses: „Sage nicht alles, was du weißt, wisse aber alles, was du sagst.“

Hans-Werner Schuster



Die Trauerfeier mit Urnenbeisetzung findet am 8. Dezember um 14.00 Uhr in der Katholischen Kirche St. Georg, Burgstraße 24, in Zorneding (Ortsteil Pöring) statt; für den 16. Dezember um 13.00 Uhr ist eine Trauerfeier im Spiegelsaal des Forums in Hermannstadt geplant.

Schlagwörter: Nachruf, Zweyer, Journalist, Neuer Weg, Hermannstädter Zeitung

Bewerten:

21 Bewertungen: +

Neueste Kommentare

  • 02.01.2024, 17:59 Uhr von ingenius mobile: Ihr Bezug zu der Realität heute, fehlt leider vollständig Frau Katzken, wenn sie hier immer wieder ... [weiter]
  • 30.12.2023, 17:23 Uhr von Katzken: Leider ein Kommunist durch und durch!Möge erin Frieden ruhen! Ich musste den " Neuer Weg" bis 1990 ... [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.