25. Februar 2006

Die große Glocke der Schäßburger Bergkirche

So wie der Stundturm und die Bergkirche gehört auch die große Glocke der Bergkirche mit ihrem unverwechselbaren, tiefen, feierlichen Ton zu den Wahrzeichen von Schäßburg. Auch in Ruhestellung und schweigend, mächtig im Glockenstuhl, ist sie in ihrer Größe und dem über 5-Tonnen-Gewicht imposant. Früher wurde sie von vier Männern geläutet, nach dem Zweiten Weltkrieg besorgt das ein mechanisches Läutwerk, das mit Spenden aus Deutschland installiert wurde.
Die Bergkirche besitzt drei Glocken. Die kleine Glocke habe ich nie läuten hören – es ist ein „Arme-Sünder-Glöckchen“. Sie wiegt bloß 183 kg und trägt die Inschrift „Gott hilft“. Die Mittlere, „Vertrau auf Gott“, ist 800 kg schwer und wird täglich als Abendglocke, im Sommer um 19 Uhr, im Winter um 18 Uhr geläutet. Außerdem ruft sie sonntags um 9.30 Uhr oder bei anderen Anlässen zum Gottesdienst. Diese beiden Glocken, die bei Fritz Kauntz in Hermannstadt gegossen wurden, sind relativ neu, denn sie ersetzten erst 1929 die Glocken, die im Ersten Weltkrieg abgehängt und zu Kanonen umgegossen werden mussten.

Die über 2 500 kg schwere große Glocke der Bergkirche wurde 1785 in der einheimischen Glockengießerei umgegossen. Foto: Walter Lingner
Die über 2 500 kg schwere große Glocke der Bergkirche wurde 1785 in der einheimischen Glockengießerei umgegossen. Foto: Walter Lingner

Die große Glocke entging diesem Schicksal, denn bei ihrer Größe und Schwere war es zu kompliziert, sie abzumontieren und abzutransportieren. So blieb sie, gottlob, auf ihrem Platz. Sie stammt aus dem Jahr 1419 und musste im Laufe der Jahrhunderte mehrmals umgegossen werden, zum letzten Mal 1797 durch den Glockengießer Michael Thallmann. Dieses besagt auch die Inschrift „Saepius heu reliquata fui, nunc integer laudo numen deo et ad sacros congresso convoco plebem“ („Ich bin öfter umgegossen worden, jetzt lobe ich unversehrt die Gottheit und rufe das Volk zu den heiligen Versammlungen zusammen.“). Die große Glocke wird bei allen Beerdigungen geläutet. Ihr weihevoller Ton begleitet den Sarg, sobald er aus der Totenhalle getragen wird, bis hin zum offenen Grab. Viele Schäßburger Auswanderer besitzen eine Tonbandaufnahme der Glocke und wünschen, dass die Glocke bei ihrer Beerdigung erklingt. Außerdem wird die Glocke am Heiligen Abend (in der „Christnacht“) um 22 Uhr und in der Neujahrsnacht geläutet. Dazu hat Michael Albert die bewegenden Verse geschrieben: „Dann tönt voll Ernst, dann tönt voll Macht vom Berg die Glocke droben, um in der stillen heil’gen Nacht den Herrn, den Herrn zu loben.“ Bei entsprechender Witterung, Luftfeuchtigkeit und Windrichtung ist die Glocke weit bis hinaus nach Schaas zu hören. Es heißt, als der Bau der Bergkirche begann, standen auf dem Bergrücken Eichen, die gefällt werden mussten. Aus den Balken dieser alten Eichen soll angeblich der Dachstuhl und auch der Glockenstuhl entstanden sein. Bei den Schwingungen der Glocke ächzt der Glockenstuhl und lässt befürchten, dass er nicht standhält. Als die Glocke im 20. Jahrhundert wegen Reparaturarbeiten am Glockenstuhl einige Zeit nicht geläutet werden konnte, stellte bei Wiederaufnahme des Läutens eine betagte Schäßburgerin befriedigt fest: „Na kaun em jo Gott soa Dank weder sterwen!“

Während des Krieges und auch eine Zeit danach, als es an Männern fehlt – einige waren gefallen bzw. noch im Krieg, andere nach Russland deportiert – sprangen wir Jungen, Schüler und Studenten, ein und läuteten die große Glocke. Es war für uns eine durchaus ernste Angelegenheit und brachte gleichzeitig ein kleines Taschengeld ein. Deutlich in Erinnerung ist mir das erschütternde Begräbnis des jungen Studenten M. H. geblieben, an dem die halbe Stadt teilnahm. Seinen Eltern war es gelungen, ihr einziges Kind vor Krieg und Deportation zu bewahren. M. H. hatte nun ein Medizinstudium aufgenommen, da wurde er auf der Fahrt nach Temesvar von Unbekannten erschossen und aus dem Zug geworfen. Der Mord konnte nie aufgeklärt werden. An ein Silvesterläuten denke ich heute noch mit feierlichem Gefühl. Wir vier jungen Läuter befanden uns auf verschiedenen Neujahrsunterhaltungen, brachen von dort dann pünktlich auf, um uns kurz vor Mitternacht bei der Bergkirche zu treffen und in den stockfinsteren Turm zu steigen. Als die Stundturmuhr Mitternacht schlug, begannen wir die Glocke in Schwingung und zum Tönen zu bringen. Möge der feierliche Klang der großen Glocke auch in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten die Lebenden rufen, die Toten beklagen und allen Menschen Frieden verkünden.

Walter Roth


Schlagwörter: HOG-Nachrichten, Schäßburg

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