25. Oktober 2006

Büchner-Preis posthum an Oskar Pastior verliehen

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verlieh den Georg-Büchner-Preis am 21. Oktober in Darmstadt posthum an Oskar Pastior. Der aus Siebenbürgen stammende Lyriker war am 4. Oktober im Alter von 78 Jahren in Frankfurt verstorben. Diese mit 40 000 Euro dotierte, bedeutendste deutsche Literaturauszeichnung krönt Pastiors literarisches Lebenswerk. Die Akademie würdigte den aus Hermannstadt gebürtigen Schriftsteller als „methodischen Magier der Sprache“, der ein „Oeuvre von größter Radikalität und Formenvielfalt“ geschaffen habe.
Die Akademie würdigte zum Abschluss ihrer Herbsttagung in Darmstadt den in Hermannstadt geborenen Schriftsteller als „methodischen Magier der Sprache“, der ein „Oeuvre von größter Radikalität und Formenvielfalt“ geschaffen habe. Noch am Vorabend der Preisverleihung, also am 20. Oktober – Oskar Pastior wäre an diesem Tag 79 Jahre alt geworden – lasen Schriftstellerkollegen, darunter Herta Müller und Peter Esterhazy, in der Orangerie Gedichte des Verstorbenen.

„Der Ruhm kam spät, aber er kam.“, stellte Klaus Reichert, Präsident der Akademie, in seiner Eröffnungsrede zur Preisverleihung im Staatstheater Darmstadt fest. Diesen Ausspruch münzte Reichert auf den lange Zeit von der Öffentlichkeit ignorierten Lyriker, den „wunderbaren Vorleser“ Oskar Pastior, der seine vielsprachigen Gedichte vortrug „mit dieser Stimme, die einen poetischen Raum aufbaute, der die Hörer wie in einen Zauberkreis bannte.“

Sinnenfrohes Spiel


Die Laudatio auf den Preisträger hielt die frühere Kulturstaatsministerin Christina Weiss. In ihrer Skizze vom Leben und Werk des Dichters kennzeichnete die Rednerin Pastiors Stil als „Jonglieren mit Klängen und Lettern“. Ein rein intellektueller Zugang zur Sprach- und Dichtkunst dieses herausragenden Vertreters der experimentellen Lyrik sei insofern abwegig, da es bei diesem „sehr sinnenfrohen Spiel“ nicht um Verstehen gehe, sondern „um das Staunen über die Sinnlichkeit des Wortkörpers“. Die „handfeste Sinnlichkeit der Silbenlaute, der Wortkörper und der Sprachleibe“ strahle Erotik aus. Pastiors Ästhetik charakterisierte Weiss als eine des Missverständnisses, als ein Sinnverrücken – Ausfluss seiner zutiefst wortlistigen Rebellion gegen das normative Denken. Die Vielstimmigkeit der Texte erzeuge Ohrensausen.
Oskar Pastior am 13. Juli 2006 in München. Portraitaufnahme: Armin Pongs
Oskar Pastior am 13. Juli 2006 in München. Portraitaufnahme: Armin Pongs


Pastiors lyrische Klangschöpfungen („Improvisationen aus 26 Buchstaben“) seien gleichsam Musik, die, so die Laudatorin, im Zuhörerohr Sinnenlust, in seinem Kopf die Sinnmaschine zu bewegen vermag: „Gleichberechtigt sind die Wortlaute, die syntaktische Hierarchie ist aufgehoben, es ist eine 26-Ton-Musik, die vergleichbar der 12-Ton-Musik funktioniert. Keiner der Töne darf dominieren, in jeder Kadenz erklingt jeder Ton nur einmal. Dennoch gibt es Millionen Variationsmöglichkeiten. Es ist die künstlerische Entscheidung des Komponisten, welche Kombinationen in sein Hörgeflecht aufgenommen werden. Oskar Pastior geht es letztlich immer um die Semantik, er bewegt die Wortlaute so lange, bis sie ihm neue Einsichten bloßlegen. Er baut auf die Satzerwartung als treibende Kraft.“ Den Rezipienten böte sich eine „Schule der Wahrnehmung und des Eigensinns“, schloss Christina Weiss ihre Laudatio.

Schwer löslich im Gemüt


Die von Oskar Pastior vor seinem Tod verfasste Dankesrede verlas Michael Krüger, Verleger des Carl Hanser Verlags: eine letzte Probe dieser meisterlichen, subversiv-ironischen Wortspielkunst, von Anfang an: „Wäre die Aufgabe eine Rede, wäre über etwas zu reden, das sich nicht unter ein ‚Reden-über’ zu ducken hätte, sonst wäre das rhetorisch und ich ein Redner, und davon ist, ich hoffe Sie sind einverstanden, ja nicht die Rede...“

In seiner „kalbenden Rechenschaft“ entsann sich der Büchner-Preisträger „vor einer plötzlichen Öffentlichkeit, die nun auch mein Kummerkasten sei“; Pastior entsann sich also fragmentarisch seiner Deportation als Heranwachsender ins sowjetische Arbeitslager, dann auch seiner Bukarester Jahre, Prägung bis ins Mark, lebenslänglich („kaputt, Krieg aus, tritt ein, nach Haus, Gebein oder Stein usw.“). Wechsel des Sujets, der Ebene – wie er denkt, es in ihm, ihn denkt, das Subjekt-Objekt-Satzge­fügedenken. Prozesshaft ist sein Schreiben: „Das Auffärben der Buchstaben beim Schreiben, das Abwickeln mit den Bei­nen als so ein Ausschreiten in Baumschulhypostasen und putzigen Plantagen, das dem Text, der da entsteht, das Lesen beibringt“. Pastior gesteht, er sei „schwer löslich im Gemüt und träg im sporadischen Kopf“. Pastior klagt: „Seit Lyrik unfein ist und kaum mehr vorkommt, müssen wir uns selber Vor- und Nachwort schreiben.“ Pastior dankt der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für den Büchner-Preis 2006.

Oskar-Pastior-Stiftung in Berlin


Oskar Pastior hat testamentarisch verfügt, dass bei seinem Tod eine Stiftung einzurichten sei, die seinen Namen tragen, sein Vermögen und seinen (literarischen) Nachlass erben soll, das heißt Urheberrechte, Manuskripte, Kunstwerke, Fotografien u. a. Wie Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin und Stiftungsratmitglied, gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung erklärte, sei es Aufgabe der Stiftung, einen Preis zu verleihen an Dichterinnen und Dichter, die in der Tradition der Wiener Gruppe stehen (u. a. H.C. Artmann, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker), des Bielefelder Colloquiums und von OULIPO (internationale experimentelle Schriftstellergruppe, deren Mitglied Pastior seit Anfang der neunziger Jahre war). Ferner falle es der Stiftung, die ihren Sitz in Berlin haben wird, anheim, das Werk des verstorbenen Lyrikers zu pflegen und in geeigneter Form der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Neben Ernest Wichner gehören dem Stiftungsrat an: Klaus Ramm, Christina Weiss, Herta Müller, Ulf Stolterfoht, Marianne Frisch und Dierk Rodewald. Pastiors Nachlass soll an ein öffentliches deutsches Literaturarchiv gehen.

Christian Schoger

Schlagwörter: Oskar Pastior, Ehrungen, Nachruf

Bewerten:

9 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.