28. März 2008

Joachim Wittstocks neue Bücher

Für Joachim Wittstock muss man sich Zeit nehmen, nicht nur um in die Zeit um 1960 einzutauchen, die er in seinem neuen Buch „Die uns angebotene Welt“ (ADZ-Verlag) beschreibt, sondern vor allem die Zeit, die es braucht, um seinen sprachlichen Erkundungen zu folgen, seiner Suche nach immer neuen Formulierungen und Facetten des Ausdrucks. Dabei begeistert der Hermannstädter Dichter, Essayist und in diesem Fall Romanautor seinen aufmerksamen Leser durch sein Sprachgefühl und seinen Sinn nicht nur für die Mehrsprachigkeit aus den siebenbürgischen Landen, sondern auch für vergessene Worte wie „zerscheitern“, das aus dem Frühneuhochdeutsch Luthers stammt. Und so ist nicht nur wichtig, was erzählt wird, sondern vor allem wie es gesagt wird.
Bedachtsam, wie Wittstocks Formulierungen es sind, beginnt das Werk: Zaghaft spricht sich der Autor zunächst Mut zu, „endlich den Roman seiner Jugend auszuarbeiten und unter die Leute zu bringen“. Es handelt sich um die Studentenjahre in Klausenburg, die Joachim Wittstock im Rückblick beschreibt. Und um den Abstand zu verdeutlichen, wählt er sich ein Alter Ego, das er Georg Härwest nennt und sogar zum Kronstädter macht. Der junge Georg Härwest kommt – und damit beginnt der Roman – nach Klausenburg, um dort Germanistik zu studieren. Es ist die Zeit der „Ungarn-Ereignisse im ’56er“, und wie vorsichtig darüber gesprochen wird, ist bezeichnend für die Art, wie der Roman geschrieben ist. Mit einem Ausflug in die Mehrsprachigkeit legt Wittstock die Schilderung der Ereignisse der ungarischen Hausfrau Georgs in den Mund. Ihr kommen Wörter wie tragikus über die Lippen, „tragikusch“ ausgesprochen und szomorú traurig. Bei aller Tragik wird noch auf die Sprache verwiesen. Für Georg hingegen bedeutet, den Aufstand als „verbrecherisches Umsturzabenteuer“ zu bezeichnen, eine plumpe und wenig plausible sprachliche Korsettierung. So spricht man im Roman nur andeutungsweise und voller Sorge darüber: „Schweigen war aber doch das Übliche, in der Fertigkeit, den Mund zu halten, war dazumal beinahe jedermann erfahren.“ In dieser schweren Zeit also, in der die „Wisper-Kommunikation sagt, wer gefährlich werden kann“, nimmt Georg „alle Umschichtungen einer auf revolutionäres Gequirl eingestellten Epoche nach Möglichkeit gleichmütig auf“. Vom Zusammenschluss der ungarischen und der rumänischen Universität in Klausenburg ist die Rede, von den Umtrieben, um einen deutschen Literaturkreis ins Leben zu rufen, von Verhaftungen, von Liebesgeschichten und Selbstmord. Widerstand und Aufmüpfigkeit bedeutete in jener Zeit schon, das deutsche Kulturgut zu pflegen, etwa im deutschen Literaturkreis. Die Verhaftungen waren willkürlich, die geschilderten Selbstmorde junger Frauen berühren den Leser.

Georg versucht dabei, nicht immer ein „volksdemokratischer“ Mitläufer zu sein, sondern auch sich zu behaupten, Haltung zu bewahren und dennoch vorsichtig zu sein, sich an keinen auffälligen Aktionen zu beteiligen, keine Zuspitzungen herbeizuführen. Dabei muss er sich in der ihm „angebotenen“ Welt zurechtfinden, einer Welt, die man, so wie sie existiert, hinnehmen muss. „Die Welt ist nicht ein Laden zum Kaufen, dass man geht und fragt, welches ist der Preis?, und sagt, der Preis, Prețul, ist mir zu teuer, er konveniert mir nicht. Die Welt ist (...) a u c h eine Ofertă, auch. Aber man muss sehen, die Welt besteht, wie sie ist (...) Was existiert, das muss man sehen.“ (So erläutert eine Romangestalt den Titel.)

Das Buch stellt sich als ein Entwicklungsroman dar. Der zur Vernunft und Einsehen gelangte Autor erfindet sich selbst als Jugendlicher neu, Härwest, anklingend an den siebenbürgischen Herbst. Und auch für die anderen Gestalten seines „chronikalischen Unterfangens“ hat Wittstock Pseudonyme ausgesucht, die er aufgrund vielerlei Rücksichten nicht aufdeckt, auch nicht um der „einstigen Authentizität“ willen. Alles wird in dritter Person erzählt, meist in indirekter Rede, und selbst diese Aussagen werden noch relativiert, wie beispielsweise „glaubte Georg bemerken zu können“. Dies wirkt sehr distanziert. Zuweilen leuchten jedoch poetische Momente auf, wie etwa der wunderschön traurige Ausblick in die Zukunft mit Ileana.

Der Autor nimmt einen Urspungstext des jungen Georg zu Hilfe, aufgeschrieben in einem Kalender-Heft, Kalenderbuch, einer Kladde, den Impurheften, Maculator, dem Sudelheft. „Der Erzählbericht ist ein Gedankenprodukt, kein Schriftwerk des damaligen Georg“ und wird ständig als Chronik infrage gestellt, indem auf das Erfundene, Romanhafte verwiesen wird. Begebenheiten werden wegen des Erzählflusses zusammenlegt ohne jedoch zu versäumen, darauf aufmerksam zu machen. Aber die widerspenstige Episodik lässt sich nicht immer zu einer plausiblen Schau zusammenfügen.

So ist Wittstock bemüht, das Romanhafte dieser Chronik zu betonen, indem er gleichzeitig mit den Mitteln einer Chronik (Briefe, Aufzeichnungen, fotografische Aufnahmen, Zeitungsberichte) arbeitet, um nicht zu sehr „ins Mutmaßliche, ins bloß Erfundene abzuirren“.

Als Aufbauprinzip lässt sich Wittstock von Johann Sebastian Bachs „Inventionen“ inspirieren, in „Strenge, Folgerichtigkeit“, aber auch im „Überschaubaren“ und komponiert dreißig „Inventionen“ mit einem Vorwort und einem Epilog. Sind die „Inventionen“ Erfindungen, wie der Name es auch vermuten lässt, oder aber haben sie, wie es der Autor betont, „nachahmenden Charakter“. „Ja“, führt er weiter fort, „die Erfindung ahmt das Wirkliche nach, und die Nahahmung des Wirklichen erfordert Erfindungsgabe“. So muss sich der Leser selbst entscheiden, ob er das Buch als Chronik oder als Roman liest. Dessen Protagonist, Georg, verhält sich darin vielleicht nicht immer heldenhaft, aber er ist auch kein gedankenloser Mitläufer, vielmehr ein manchmal unreifer, aber dennoch aufmerksamer Beobachter seiner Zeit, der im Rahmen der ihm angebotenen Welt seine Möglichkeiten auslotet und, so gut es geht, Haltung bewahrt.

Doch das Buch zeichnet auch die sprachliche Entwicklung Georgs nach. Mit fast väterlicher Ironie urteilt der Erzähler über die Verstiegenheiten des jungen Georg, der in lyrischer Stimmung etwas zu Papier bringt, das er niemandem anvertraut, sich dabei „in Bereiche begrifflicher Höhenluft“ begibt, sich aber „auf dem ihm so wichtigen Gebiet muttersprachlicher Unermesslichkeiten behaupten“ will. Es seien „manchmal nur Wortgruppen, wenig Erz unter viel taubem Gestein“, urteilt der ältere Georg.

Streng kritisiert er den „glanzlosen sprachlichen Ausdruck“, den „recht hölzernen Schreibstil“ sowie „den kaum hinreichenden Grad orthographischer Akuratesse“ aus jungen Jahren. Ähnlich wie der Vater, auch hier im Roman Schriftsteller, den Rotstift bei Georgs Briefen ansetzt und ein sauberes Deutsch anmahnt, lässt der ältere Georg nur wenig aus dem Sudelheft des Jüngeren gelten. So belächelt er sein simples Sprechen, das Wörter wie Khef, stramm, selekt aber auch Klepsch und kaptschullig kennt. Georg ist bemüht, eine „klare, vom Schülerjargon, auch von rumänischen Einsprengseln möglichst freie Sprache anzunehmen.“ Ja, er möchte zur damaligen Zeit, eine „den Gegebenheiten angemessene Sprache“ verwenden, „die Tatsachen weder beschönigte noch nachteilig entstellte; eine unanfechtbare Sprache, die selbst von den Kadern der Rumänischen Arbeiterpartei und des Arbeiterjugend Verbandes UTM nicht als anstößig empfunden wurde“. Dabei kommt es ihm auf die Dreiheit „zutreffendes Urteilen, richtiges Verhalten, stimmiges Reden“ an.

Dieses Buch ist auch eine Suche nach dem stimmigen Reden über jene Zeit – daraus wurde keine „unanfechtbare“ und vielleicht dröge Sprache, sondern vielmehr eine Entdeckungsreise, die mit all ihren Unsicherheiten und Fragezeichen, in ihrer beobachtungsfreudigen Genauigkeit und ihrem verhaltenen Humor auch heute noch lesbar ist.

Georg gibt seine Vorliebe zu: „Dabei mochte ich im Grunde verschnörkelte Sätze, und es gefiel mir im Selbstgespräch und manchmal im Dialog mit anderen, Worte zu ‚klauben’, d.h. sie mit ähnlichen oder einem verwandten Sinn bergenden Ausdrücken zu variieren.“

Worte klauben und vor allem auf das Wie-etwas-gesagt-wird aufmerksam machen, das tut Joachim Wittstock auch in seinem anderen kürzlich in rumänischer Sprache erschienenen Buch „Dumbrava morilor“ (die Erzählung, die dieser Übersetzung zugrunde liegt, heißt ursprünglich „Zaunholzgasse“). In Skizzen und Novellen lädt er seine Leser dazu ein, sich Zeit zu nehmen und seinen genauen und manchmal augenzwinkernden Schilderungen zu folgen. Die Übersetzerin Nora Iuga, selbst Lyrikerin und Schriftstellerin, hat die ganz persönliche Auswahl nach ihren Vorlieben zusammengestellt. Sie schätzt Joachim Wittstock als herausragenden rumäniendeutschen Schriftsteller, der seine Prosa mit dem Hintergrund eines Dichters schreibt. „Der Mensch Wittstock ist wie ein Schatten unter seinen Mitmenschen, aber wer ihn einmal sieht, vergisst ihn nicht“, schreibt Iuga im Nachwort. Dem kann man sich nur anschließen, in der Hoffnung, dass auch diese Texte dem Vergessen entgegenwirken.

Edith Ottschofski

Joachim Wittstock, Die uns angebotene Welt, Verlag der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ), Bukarest 2007, 397 Seiten, ISBN-10 973-8384-33-8, ISBN-13 978-973-8384-33-0, zu bestellen beim ADZ-Verlag, Fax: (00 40) 21-3 17 89 17, E-Mail: adz[ät]dnt.ro, zum Preis von 15 Euro, einschließlich Versand.
Joachim Wittstock, Dumbrava morilor, Schițe și nuvele. Selecția textelor, traducere și postfață de Nora Iuga, Institutul Cultural Român, București, 2007, ISBN 978-973-577-525-4, zu bestellen per Fax (00 40) 31-7100-647, E-Mail: comenzi[ät]icr.ro, zum Preis von 19 Lei, zuzüglich Versand.
Joachim Wittstock
dumbrava morilor

Institutul Cultural Roman,
Taschenbuch

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Schlagwörter: Wittstock, Rezension

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