23. Februar 2009

Lexikon des kommunistischen Terrors mit 1000 rumäniendeutschen Opfern

Kürzlich ist im Bukarester Verlag „Mașina des scris“ der zehnte Band, Buchstabe S, der vierzehnbändigen Dokumentation von Cicerone Ionițoiu (Paris) erschienen. Das „Lexikon“ der Opfer des kommunistischen Terrors in Rumänien führt nicht nur die Toten auf, sondern auch die Opfer von Folter, Kerker, Zwangsarbeit und -deportationen, Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung.
Der erste Band war im Jahre 2000 im selben Verlag erschienen – diese Zeitung berichtete über die Buchreihe. Den letzten Bänden sind Vorworte von Prof. Dr. Alexandru Stefănescu vorangestellt, der die Zahl der politischen Häft­linge im kommunistischen Rumänien auf zwei Millionen beziffert. Nachgewiesener Weise ka­men davon rund 200 000 in Gefängnissen und Lagern um, aber auch eine beachtliche Zahl in den benachbarten Ländern Sowjetunion und Jugoslawien.

Die Dokumentation bietet ein vorläufiges Ver­zeichnis der Terroropfer und soll erklärtermaßen das zu rasche kollektive Vergessen in unserer schnelllebigen Zeit verhindern. Die herausragende Arbeit des Seniors Ionițoiu (geboren 1924 in Craiova) wird zu Recht mit der einer ganzen Institution verglichen, denn zum Schluss werden auf über 6 000 Seiten die Leidenswege mit Kurzbiographien von über 70 000 Opfern festgehalten sein, Menschen aller Altersgruppen und sozialer wie beruflicher Schichten, aller ethnischen, konfessionellen und politischen Gruppen des Landes, tatsächliche Gegner des Regimes, aber ebenso viele Verdächtigte und Unschuldige.

Für die Historiographie und Heimatkunde leis­tet der Autor eine herausragende dokumentarische Vorarbeit, auch wenn diese stellenweise mit Fehlern behaftet ist. Allein in den zehnten Band wurden etwa 1 000 Rumäniendeutsche, etliche mit Bild, aufgenommen. Beim Großteil handelt es sich um Opfer der Russland- und Bărăgan-Deportation, allein fast 200 namens Schmidt oder die vielen Verschleppten aus Sie­benbürgen namens Schuller, Schoger oder Sei­wert. Begrüßenswert, dass die Schriftsteller Georg Scherg, Harald Siegmund und Eginald (im Buch Norbert und mit falschem Geburtsort) Schlattner aufgenommen wurden, unerklärlich, weshalb Daten zu Bischof Wilhelm Staedel fehlen (zwei Zeilen).

Beispielsweise seien erwähnt die spektakuläre Fallschirmaktion, an der Wilhelm Spindler beteiligt war, der 1951 erschossen wurde, dann die Angaben über Werner Sommerauer, der 1987 an der Revolte in Kronstadt mitmachte oder jene über Kurt Scherg, der im Jahre 1953 am Donau-Schwarzes-Meer-Kanal um­gekommen ist.

Das Buch ist eine wichtige Quelle für die Er­forschung des bewaffneten Widerstands (Banat, Bukowina, Dobrudscha, Siebenbürgen), der Schauprozesse gegen „feindliche Gruppen“ oder der Fluchtversuche aus Rumänien, besonders in den frühen Nachkriegsjahren. Als Banater Beispiele seien angeführt der Freidorfer Josef Stummer, der nach der Flucht in einem Lager in Jugoslawien ermordet wurde, Ferdinand Strunck aus Aurelhausen, der 1956 auf der Flucht er­schossen wurde, Ludwig Schwarz, geboren 1926 in Hatzfeld, erschossen 1948 auf der Flucht, dann die Fluchtgeschichte des Siebenbürgers Ion Gh. Samoilă (erschossen am 31. Oktober 1953) in Verbindung mit der Kronstäd­ter Fami­lie Erich Tartler oder die spektakuläre Flucht des ehemaligen rumänischen Premier­ministers General Nicolae Rădescu mit Hilfe des Piloten Nicolae Spuza, der über Zypern nach Beirut flog. Aber auch zu weniger erforschten und bekannten Themen finden sich aufschlussreiche Daten und Fakten: 16 Jahre Gefängnis für den Wider­stand gegen die Kollektivierung der Landwirt­schaft, 1961 erließ der damalige General Nico­lae Ceaușescu einen Schießbefehl gegen unbewaffnete protestierende Bauern, mit Kerker bestraft wurden jene, die ihrer Pflicht­quote bei der Getreideabgabe nicht nachkamen oder mit Bauernprotesten sympathisierten.

Die Angaben zu den Opfern aus den Reihen der griechisch-katholischen Geistlichen oder der neoprotestantischen Glaubensgemeinschaf­ten, zu rumäniendeutschen Geistlichen wie dem katholischen Theologieprofessor Karl Starke, der 1945 aus Bukarest deportiert wurde, bieten eine aufschlussreiche Ergänzung zum Martyro­logium der christlichen Kirchen, das in Rumä­nien erschienen ist. Die veröffentlichten Quellen zur Bărăgan-Deportation wurden für das Lexi­kon nur zufällig ausgewertet, denn im zehnten Band fehlen beispielsweise die Banater Schrift­steller Ludwig Schwarz und Horst Samson, Letz­terer wurde dort in Salcam geboren. Dass auch Rumänen aus den Westkarpaten und der Do­brudscha in den Bărăgan deportiert wurden, stellt die Argumente einiger Banater Autoren teilweise in Frage, die die Ursachen der Depor­tation erforscht haben. Die Hauptursache war der Klassenkampf nach sowjetischem Vorbild, der Konflikt mit Tito ein zusätzlicher Anlass.

Angeführt seien hier zwei Beispiele auffälliger, unglaubwürdiger Maßnahmen des Terrorsys­tems. Aus Mehadia wurde 1951 ein 102 Jahre alter Mann mit seiner fast hundertjährigen Ehefrau nach Roseti in den Bărăgan verschleppt, wo sie drei minderjährige Urenkel zu betreuen hatten. Eine 97-jährige Witwe wurde zu drei Monaten Gefängnis wegen „Sabotage“ verurteilt, weil sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen war, Naturalien an den Staat abzugeben.

Das in rumänischer Sprache erschienene Buch von Cicerone Ionițoiu „Victimele terorii comuniste“, volumul X, Litera S, Editura Mașina de scris, 527 Seiten, Preis: 28 Lei, kann über die Zeitschrift „Memoria“ in Bukarest, Telefon und Fax: (00 40) 21-2 12 97 72 (11-16 Uhr Mitteleuropäischer Zeit), E-Mail: memoria [ät] k.ro, be­stellt werden.

Luzian Geier

Schlagwörter: Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung, Dokumentationen

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