17. März 2009

Fallbeispiel repressiver Politjustiz

Politische Prozesse in den totalitären Gesellschaftssystemen des ehemaligen Ostblocks trugen den Schleier des ominös Geheimnisvollen. Das hatte seine Gründe: Diktatoriale Machthaber haben von jeher abstruseste Verschwörungstheorien herangezogen zu ihrer Selbstrechtferti­gung und zur Rechtfertigung von Repression. Nicht anders die Herrschenden im real existierenden Sozialismus sowjetischer Observanz. Zudem ließ sich in den Schichten der Unterwor­fenen mit diffusen Schuldzuweisungen besser die Angst schüren, die Grundvoraussetzung und Vehikel ist für jede totale Machtausübung.
Am Fallbeispiel des 1958 im siebenbürgischen Kronstadt, damals „Stalinstadt“, inszenierten Politprozesses, der gegen insgesamt zwanzig, vornehmlich jugendliche Vertreter der deutschen Minderheit um den willkürlich der „Gruppe“ als „Rädelsführer“ zugeordneten Stadtpfarrer Kon­rad Möckel geführt wurde und unter der Bezeichnung „Schwarze-Kirche-Pro­zess“ in die Geschichte des kommunistischen Ter­rors in Ru­mänien eingegangen ist, versucht der rumänische Historiker Corneliu Pintilescu Licht in die Mechanismen der politischen Straf­verfolgung jener Jahre zu bringen. Bekanntlich endete das Verfahren mit der Verurteilung der Angeklagten zu teilweise langjährigen Haftstra­fen, die aber zwischen 1962 und 1964 durch Amnestie­er­lasse verkürzt bzw. ausgesetzt wurden.

Corneliu Pintilescu bei der Vorstellung seines ...
Corneliu Pintilescu bei der Vorstellung seines Buches im November 2008 in Bad Kissingen.
Um sich der Wahrheit hinter der juristischen Inszenierung weitestgehend anzunähern, hat Pintilescu für sein Buch umfänglich recherchiert. Nicht nur die eigentlichen Prozessakten sowie die zahlreichen Informantenberichte über die Opfer des Verfahrens, wie sie in der rumäni­schen Birtler-Behörde, dem sogenannten „Consi­liu Național pentru Studierea Ar­chivelor Secu­rității (CNSAS)“, inzwischen zugänglich sind, sondern auch Äußerungen von damals Verurteil­ten, von denen Erinnerungstexte oder ausführliche Stellungnahmen und Interviews vorlagen, wurden genutzt. Indem Pintilescu einerseits die Securitate-Akten, die über weite Strecken tendenziös und entstellend sind, und andererseits Selbstäußerungen der Beteiligten, die naturgemäß Erinnerungslücken sowie subjektiv befrach­tete Vergegenwärtigungen und Einschätzungen enthalten, miteinander ergänzend und korrigierend in Bezug setzt, erreicht seine Darstellung einen bemerkenswerten Grad an Sachlichkeit.

Zunächst zeichnet der Autor den allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Rahmen nach, in den das Prozessgeschehen eingebettet war, schildert den Aufbau des Repressionsapparats und seiner pyramidalen Strukturen durch das Nachkriegsregime in Rumänien, geht kurz auf die Geschichte der politischen Prozesse der 1950­er Jahre ein, die entweder Ausfluss von internen Machtkämpfen an der Spitze des kommunistischen Einparteienstaates waren oder/und der Einschüchterung breitester Ge­sellschafts­schichten und damit der Sicherung unbeschränkter Herrschaftsausübung dienten. Nicht unerwähnt bleiben die historischen Ereignisse, die bei den Angehörigen der deutschen Minder­heit in Rumänien zu einer spezifischen Stim­mungslage geführt hatten: ihre Entrechtung und die Enteignungen der Nachkriegsjahre, die De­portation der arbeitsfähigen Männer und Frauen in die Sowjetunion, die Ein­schränkungen im kirchlichen und Kulturleben der Rumäniendeut­schen und damit der Siebenbürger Sachsen.

Anschließend listet Pintilescu die prozessrelevanten Fakten auf, die vom rumänischen Sicher­heitsdienst im Vorfeld der Gerichtsverhandlung aus Spitzelberichten und Zeugenvernehmungen zusammengetragen wurden. Indem er das wert­frei und kommentarlos tut, genügt er zwar dem selbst erhobenen Anspruch auf eine möglichst objektive Wiedergabe des Prozessgeschehens, erweckt aber ungewollt den Anschein, als ob bei den Opfern des Verfahrens in der Tat Schuldhaf­tigkeit vorgelegen hätte, was zunächst befremdet. Erst im weiteren Ver­lauf der Untersuchung, nachdem er bis ins Detail die Verhaftungen, die menschenverachtende Art der Verhörführung sowie den regiemäßig vorbereiteten Prozess­verlauf geschildert hat, äußert er sich eindeutig dahin gehend, dass eine Ermittlung nach rechts­staatlichen Grundsätzen aufgrund der realen Faktenlage nie und nimmer zu einer Verurtei­lung hätte führen können. Dabei weist Pintilescu im Einzelnen nach, wie die Mechanismen der Schuldzuweisung beim Staatssicherheitsdienst funktionierten. Zeugen­aussagen und Verhörprotokolle wurden manipuliert, Einzelfakten sowie Einzeläußerungen aus dem Zusammenhang gerissen und im Hin­blick auf die Anklageerhebung ausgewählt, da­nach in Anwendung einer securitateeigenen Lo­gik strukturiert und das Ganze schließlich in systemtypische Ideologeme eingekleidet. Das ergab eine Eigendynamik des repressiv-juristischen Diskurses, der unerbittlich zu der bereits vor Prozessbeginn festgeschriebenen Verurtei­lung der Angeklagten führen musste.

Diese hatte das Regime dringend nötig, als nach dem Ungarnaufstand 1956 in Rumänien die Gefahr zunehmender Systemkritik drohte. Sie galt es durch Einschüchterung zu ersticken. Wie „perfekt“ das im Falle dieses Prozesses in den Augen der Staatssicherheit funktioniert hat­te, belegt die im Buch zitierte Verfügung der Se­curitate-Führung, die Kronstädter Verfahrens­akte dem Moskauer Schulungszentrum zur Ver­fügung zu stellen, in dem die eigenen und die Sicherheitsdienstler der „sozialistischen Bruder­länder“ ausgebildet wurden. Für die rumänische Stasi hatte dieser Prozess, hatten seine Vorbe­reitung und Abwicklung Modellcharakter. Damit im Zusammenhang macht Pintilescu eine interessante Feststellung, die er entsprechend mit Details aus der Verfahrensakte be­legt: Von den „Erkenntnissen“ ausgehend, die sich der Sicherheitsdienst aus den Zeugenaus­sagen und Verhören für die Urteilsbegründung zusammenklaviert hatte, inszenierte er im Do­minoeffekt die weiteren politischen Prozesse, die Ende der 1950er Jahre gegen Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien, speziell gegen siebenbürgisch-sächsische Pfarrer, Lite­raten und Jugendliche geführt wurden: unter anderen den „Schriftstellerprozess“, den „Sankt-Annensee-Prozess“, den „Prejba-Prozess“.

Der historisch-dokumentarische Wert des Buches von Pintilescu wird vermehrt durch die Reproduktion securitateeigener Fotografien und die vollinhaltliche Wiedergabe des gerichtlichen Verhandlungsprotokolls samt Urteilsverkün­dung, das im Anschluss an die Untersuchung auf knapp 70 Seiten abgedruckt wird. Im Anhang befindet sich zudem ein umfängliches Quellen­verzeichnis und schließlich eine „Zusammen­fassung“ in deutscher Sprache (S. 229-235).

Diese freilich fällt in ihrer Stümperhaftigkeit völlig aus dem qualitativen Rahmen des an­spruchsvollen Buchs. Bei dem Text handelt es sich offenbar um die Übertragung einer rumänischen Vorlage, die, wie anzunehmen ist, ur­sprünglich vom Autor erstellt wurde, denn in­haltlich ist sie völlig in Ordnung, sprachlich hingegen das Resultat einer holprigen, stellenweise unrichtigen Übersetzung. Auf den sieben Sei­ten wimmelt es von schwerfälligen Formulie­rungen, falsch gewählten Termini und verqueren Satzkonstruktionen, denen der sprachliche Duktus des fremdsprachlichen Originals meilen­weit anzuhören ist. So etwa ist wiederholt vom Kronstädter „Gerichtsprozess“ statt vom Gerichtsverfahren die Rede, oder es wird berichtet, dass Stadtpfarrer Möckel sich den „Beschlag­nahmungen (...) widersetzte, welche (...) die Gesamtheit der Siebenbürger Sach­sen beeinträchtigten“, statt dass er die „Ent­eignungen“ sächsischen Privatbesitzes „verurteilte“. Auch wird gesagt, dass er der Jugend die Werte der sächsischen „Zivilisation“ statt „Zivilgesell­schaft“ vermittelte oder dass die Securitate gegen die verdächtigen Kronstädter Jugendli­chen am 13. April 1957 eine „informative Grup­penbeobachtung“ eröffnete, statt dass hier der sicherheitsdienstliche Fachausdruck des „informativen Vorgangs“ verwendet worden wäre, der nicht nur „Beobachtung“, sondern einen ganzen Komplex von Maßnahmen aus gezielter Bespitzelung, dem Abhören von Tele­fongesprä­chen, der Postüberwachung und dem Lausch­angriff umfasste. Zudem wird der Ausdruck „Verhöre“ fälschlicherweise für den Terminus „Ermittlungen“ verwendet oder es wird schlicht­weg behauptet, dass die Angeklagten „Bekennt­nisse“ von sich gaben, statt „Geständnisse“ zu machen. Dies nur einige von zahl­­losen Entglei­sungen. Wer sie produziert hat, ist aus dem Buch nicht ersichtlich, da der Übersetzer der Zusammenfassung nicht genannt wird. Wenn es nicht der Herausgeber Stefan Măzgă­reanu war, so hätte dieser als solcher zumindest dafür sorgen müssen, dass die lachhaften Ausrutscher nicht das Licht der Welt erblickten.

Man fragt sich nach der Lektüre dieser letzten Seiten verärgert, was denn ein deutscher Interessent wohl von diesem an sich guten und begrüßenswerten Buch eines jungen und fachkompetenten rumänischen Historikers denn hal­ten soll bei der unprofessionellen Art, in der es deutschsprachigen Lesern vorgestellt wird.

Hannes Schuster

Corneliu Pintilescu: Procesul Biserica Neagră 1958 (Der Schwarze-Kirche-Prozess 1958). Im Aufrag von Studium Transylvani­cum herausgegeben von Stefan Măzgăreanu. aldus Verlag und Arbeitskreis für Siebenbür­gische Landes­kunde, Kronstadt und Heidelberg 2008. 236 Seiten, ISBN: 978-973-7822-33-8 (aldus) und 3-929848-71-7 (AKSL). Das Buch ist zum Preis von 9,03 € für AKSL-Mitglieder und 12,90 € für Nichtmitglieder zu erwerben über den Ar­beitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim, Telefon: (0 62 69) 4 21 00, Fax: (0 62 69) 42 10 10, E-Mail: info [ät] siebenbuergen-institut.de.

Schlagwörter: Rezension, Kommunismus, Securitate, Vergangenheitsbewältigung

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