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15. November 2009

Kulturspiegel

Dieter Schlesak über Herta Müller: Werk von profunder Aktualität

Der Spiegel brachte eine eindringliche Würdigung Herta Müllers; diese zeigt, dass ein in der Welt, erstaunlicherweise sogar in Deutschland zu wenig bekanntes Werk nun seine verdiente Anerkennung erhalten hat. Es ist ein einsames Werk, dessen Sprachkunst für sich steht, zugleich Zeugnis und Widerstand, emblematisch für jede seelenvernichtende Diktatur. Die Jury des Nobelpreises hat dieses Werk als Weltliteratur erkannt; und jetzt sieht man, dass sie einen guten Griff getan hat; gerade zur Zeit der Buchmesse mit dem Ehrengast China, der letzten kommunistischen Diktatur, die Autoren verbietet, ja, den Widerstand mit dem Tode bedroht, Angst als Kitt benützt, genau wie früher die rote Diktatur in Rumänien. In einem faszinierenden Gespräch auf 3sat zeigte die Nobelpreisträgerin, wie sie dem Koloss, der ja wie alle Diktaturen das wilde Tier der freien Sprache fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, durch die Vehemenz ihrer Rede und Erfahrung weltweit gefährlich werden kann. Dabei fällt von diesem Glanz auch ein Licht auf die neuere rumäniendeutsche Literatur, die eben aus dieser Erfahrung entstanden ist. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

  • Lavinia

    1Lavinia schrieb am 19.11.2009, 12:39 Uhr:
    „Es ist ein einsames Werk, dessen Sprachkunst für sich steht, zugleich Zeugnis und Widerstand, emblematisch für jede seelenvernichtende Diktatur“ sagt Dieter Schlesak über das Werk Herta Müllers und es klingt wie ein Echo dessen, was Herta Müller feststellt:
    „Bücher über schlimme Zeiten werden oft als Zeugnisse gelesen. Auch in meinen Büchern geht es notgedrungen um schlimme Zeiten, um das amputierte Leben in der Diktatur, um den nach außen geduckten, nach innen selbstherrlichen Alltag einer deutschen Minderheit und um deren späteres Verschwinden durch die Auswanderung nach Deutschland.“ ( Auszug aus: „Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm – wenn wir reden, werden wir lächerlich. Kann Literatur Zeugnis ablegen?)
    Schlesak sagt aber auch, dass man : „…den Nobelpreis zugleich als eine Verbeugung vor der Literatur der deutschen Minderheit in Rumänien insgesamt auffassen“ kann. Dass sich die subtile Sprache Herta Müllers „aus dem Minderheitenstatus einer besonderen Sprachbewußtheit“ erklären lässt, die bei den meisten Autoren dieser Minderheit zu finden wäre.
    Ich bin der Meinung, dass genau dieser Aspekt eine Überbewertung erfährt.
    Ich habe Herta Müller so verstanden, dass beispielsweise in der Kindheit ihres banatschwäbischen Dorfes, eher die Sprachlosigkeit prägend für sie gewesen ist. („ Ich habe das Schreiben gelernt vom Schweigen und Verschweigen. Damit begann es“,). Und der Versuch, Sprachlosigkeit zu überwinden. Indem sie beispielsweise für bestimmte Pflanzen, nach zutreffenden Bezeichnungen suchte. („Es sagen zu können“; wenn ich den Wunsch nicht ständig gehabt hätte, wäre es nicht so weit gekommen, für die Milchdistel Namen auszuprobieren, um sie mit ihrem richtigen Namen anzureden.“ )
    Auch schon sehr früh in der Kindheit, hatte sie „… drinnen im Kopf, das Wissen: jetzt denkst du etwas, was du nicht denken sollst…“das Bewußtsein einer Unangepasstheit, einer Fremdheit, die sich später, konfrontiert mit der Diktatur des Staates, potenziert.
    Dieses sehr frühe Sprachbewußtsein der monolingual aufgewachsenen Herta Müllers scheint zunächst weniger aus dem Minderheitenstatus erwachsen zu sein, die sich zur Sprache der Mehrheiter abgrenzt. Als Unterscheidungsmerkmal identitätsstiftend ist. Ich denke, dass die kritische Distanzierung vom Vertrauten nicht durch die Konfrontation mit Fremdheit entsteht, sondern dass eine ‚ Fremdheit‘ durch genaues, kritisches Wahrnehmen des Vertrauten entsteht.
    Die Minderheitensprache in ihrer Rolle als Unterscheidungsmerkmal und folglich als identitätsstiftender Faktor scheint mir bei Herta Müller etwas überbewertet zu sein, denn ein besonderes Gewahr werden und eine Wachsamkeit für sprachliche Inhalte entwickelt Herta Müller ganz besonders auch im Laufe des Erlernens der rumänischen Sprache. („Aber heute weiß ich, daß dieses zögerliche Erlernen des Rumänischen, das mich unter das Niveau meines Denkens zwang, mir auch die Zeit gab, den Blick dieser Sprache zu bestaunen.“) .Das bedeutet, dass die Konfrontation mit der rumänischen Sprache für Herta Müller eine Herausforderung darstellte, welche zur Identitätsentwicklung beitrug. Allerdings nicht im Sinne einer Abgrenzung, sondern im Sinne einer Bereicherung, einer Komplettierung. Zumindest verstehe ich so ihre Feststellung, dass das Rumänische immer mitschreibt.
    So sehr man es sich auch wünscht, dass die Literatur der deutschen Minderheit aus Rumänien mit der Verleihung des Nobelpreises an Herta Müller insgesamt mehr in das Blickfeld der Leser und Kritiker gerückt wird und eine zweifellos berechtigte Beachtung finden möge, sollte dabei nicht vergessen werden, dass mit Herta Müller eine Autorin geehrt wurde, deren störrischer Individualismus und deren eigensinnige Wahrnehmung gerade innerhalb der ethnischen Minderheit auch auf scharfe Schatten traf. Und dass ihre individuelle nationalsozialistische Familiengeschichte in der kommunistischen Diktatur neue Resonanz gewann. Sie sagt, dass Menschen „in allen Diktaturen (so unterschiedlich sie auch sein mögen) vor ähnlichen Grundsituationen stehen.“ Dadurch entwindet sie sich der Einordnung, „bloß“ Teil/Repräsentantin einer Minderheitenliteratur zu sein. Und ich denke, dass genau dieser Umstand ihr den Nobelpreis einbrachte.

  • Sächsin

    2 • Sächsin schrieb am 19.11.2009, 17:08 Uhr:
    Hinweis in eigener Sache:

    Der von mir unter "Hellmut Seiler - über Herta Müller" um ca. 15.50Uhr verfasste Kommentar ist von mir versehentlich dort falsch gespeichert worden, - bezieht sich ausdrücklich nicht auf Hellmut Seiler etwa oder Dieter Schlesak, sondern auf gelesene Userkommentare zu aktuellen Zeitungsartikeln wie "Dieter Schlesak über Herta Müller" und diverse Forenbeiträge.
    Aktuell konkret wurde ich zu meiner Bitte (keine Plagiate) angeregt durch den Kommentar einer Userin "Lavinia", der mir ganz persönlich in seiner Gedankenstruktur, inneren Logik und vor allem in der manchmal ungenauen Kennzeichnung der Übernahme "fremder" Fakten bzw. Gedanken in den eigenen Kommentar nicht immer deutlich genug erscheint.
    Ausdrücklich möchte ich feststellen, dass meine Kommentare einzig und allein das Recht zur freien EIGENEN und vor allem SACHLICHEN Meinungsäußerung bedienen und keinesfalls persönliche "Anmachen", Angriffe oder gar, ein " Fertigmachen" darstellen sollen, wie unlängst massiv von einigen Usern ( insonderheit von der/m anonymen UserIn LAVINIA und BANKBAN) verbreitet.

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