7. September 2010

Festakt in Stuttgart: Charta durchdrungen vom Geist der Versöhnung

Mit einem Festakt im Neuen Schloss in Stuttgart gedachte der Bund der Vertriebenen (BdV) am 5. August der Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen vor 60 Jahren. Die Charta gehöre zu den Gründungsdokumenten der Bundesrepublik Deutschland und vor allem auch zu ihrer Erfolgsgeschichte, betonte Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert in seiner Festrede vor über 450 geladenen Gästen, darunter Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der Innenminister von Baden Württemberg, Heribert Rech als Redner, sowie als Ehrengast der Vizekanzler und Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland war durch den Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius, Präsidiumsmitglied des BdV, vertreten.
Bedeutung und Größe der Charta der Heimatvertriebenen ergäben sich erst aus der Kenntnis der Umstände, in denen sie entstanden ist, unterstrich Norbert Lammert in seiner Rede. Mit zahlreichen Beispielen aus allen Lebensbereichen, von der Politik über die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten bis hin zu den Unterschieden in der Mentalität, die in der damaligen Situation bei der großen Aufgabe der Integration völlig unterschiedlicher Lebensschicksale eine Rolle spielten, beleuchtete Bundestagspräsident Lammert die Umstände, unter denen sich die Verfasser der Charta zu dieser Erklärung durchgerungen hatten. Sie sei kein nüchterner Text von Historikern gewesen, sondern eine Stellungnahme von Betroffenen. Jede Kultur beruhe auf Erinnerung. Erinnerungskultur sei so wichtig wie schwierig. Man müsse sich im Interesse einer gemeinsamen europäischen Zukunft nun auch um ein gemeinsames Verständnis der Vergangenheit bemühen. Weltweit gebe es heute 43 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. Die Opfer staatlicher Verbrechen hätten Anspruch darauf, mit ihrem Schmerz nicht allein gelassen zu werden, betonte Lammert. Dies sei eine gemeinsame öffentliche Aufgabe. Die Charta sei ein bleibendes Vermächtnis für die Zukunft des wiedervereinigten Deutschland in einem zusammenwachsenden Europa, schloss der Bundestagspräsident.
Beim Festakt im Neuen Schloss in Stuttgart, von ...
Beim Festakt im Neuen Schloss in Stuttgart, von links: Bundestagstagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert, BdV-Präsidentin Erika Steinbach, Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
BdV-Präsidentin Erika Steinbach, MdB, hatte anlässlich des Charta-Jubiläums in einer Presseerklärung an den Beschluss des Bundesrates vom 11. Juli 2003 erinnert, in dem dieser die Bundesregierung aufgefordert hatte, den 5. August zum „Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung zu erklären. Diese Umsetzung mahnte sie in ihrer Begrüßungsrede zum Festakt an, in der sie den Werdegang der Charta bis zum endgültigen Zustandekommen schilderte. Zusammenfassend bewertete Steinbach das Dokument als eines, das in seiner Zeit gesehen werden müsse. Es zeuge von christlicher Prägung, enthalte in keiner Silbe auch nur eine Andeutung von Hass gegenüber den Nachbarvölkern und müsse als ein beträchtlicher Gewinn auch für die Vertriebenen gesehen werden. Die Charta sei ein moralisches Fundament auch über den Tag hinaus: „Wir alle, die wir als Nachgeborene daran nicht mitwirken konnten, sind den Schöpfern der Charta zu Dank verpflichtet,“ bekräftigte die Präsidentin.

Aufbauleistung der Landsmannschaften gewürdigt

Bundesinnenminister Thomas de Maizière bezeichnete die Erklärung als ein Dokument, das den Vertriebenen bis heute Halt und Richtung gebe. Der Satz: „Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle eine bessere Zukunft gefunden wird“ zeige, dass es einerseits die Schuld derer war, die den Krieg entfesselt und die Gewaltspirale in Gang gesetzt hatten, „aber es ist auch die Schuld derer, die die Vertreibungen am Kriegsende durchgeführt haben. Es gibt kein Recht von Siegern zur Vertreibung. Das galt und gilt heute“. Die Charta habe dafür gesorgt, dass radikalisierende Bestrebungen keinen fruchtbaren Boden finden konnten. Dafür dankte der Bundesinnenminister den Vertriebenen im Namen der Bundesregierung. Die Bedeutung der Charta sehe er vor allem darin, eine bleibende Verpflichtung zu sein, uns für ein geeintes Europa einzusetzen. Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen könne uns in Europa auch insofern weiter zusammenführen, als wir sie als eine bleibende Mahnung begreifen, Vertreibung und ethnische Säuberung, den Raub der angestammten Heimat anzuklagen und diese gemeinsam zu ächten und zu bekämpfen, in Europa, aber auch darüber hinaus.

Der Bundesinnenminister würdigte den Beitrag der Heimatvertriebenen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Ihre langjährigen, engen landsmannschaftlichen Kontakte zu den in der alten Heimat verbliebenen Deutschen seien für den deutschen Staat eine wertvolle und unverzichtbare Hilfe gewesen. Die Bundesregierung sei davon überzeugt, dass die deutschen Minderheiten dort ebenso wie die Vertriebenen und Aussiedler hier einen eigenständigen Beitrag leisten können, um Brücken zwischen Deutschland und ihren Herkunftsländern zu bauen – im Sinne eines guten Miteinanders. Mit den Mitteln aus dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern sollten die deutschen Minderheiten weiter unterstützt werden, um ihre eigene deutsche Identität zu pflegen und als Minderheit einen aktiven Beitrag zur Entwicklung des Landes zu leisten, in dem sie leben. Darüber hinaus brauche es die tatkräftige Unterstützung der Landsmannschaften hier in Deutschland. Die Förderung der Minderheit durch eine gut organisierte Landsmannschaft sei ein unverzichtbarer Bestandteil der Hilfen geworden: „Wir werden unsere Unterstützung des Bundes für den BDV, die Landsmannschaften und die deutschen Minderheiten auch in Zukunft im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten fortsetzen.“, versicherte Bundesinnenminister de Maizière.

"Einzigartiges Dokument der Versöhnung"

Der Innenminister von Baden Württemberg, Heribert Rech, der die Teilnehmer des Festaktes am Geburtsort der Charta, in Stuttgart herzlich begrüßte, erinnerte in seiner Rede an den Inhalt der Charta, der Botschaften hoher moralischer und politischer Kraft enthalte. Die Vision der Charta, ein einiges Europa, habe sich heute weitgehend erfüllt. Die Vertriebenen hätten schon sehr früh die Brücken in die Länder ihrer Herkunft gebaut, der Politik oft weit voraus, und mit der Charta ein einzigartiges Dokument der Versöhnung geschaffen. Rech zeigte sich im Hinblick auf die Entwicklung der europäischen Staatengemeinschaft in den letzten 50 Jahren dankbar für den Beitrag der Vertriebenen, auch im Hinblick auf eine schrittweise Einbeziehung unserer Nachbarn im Osten. Zur Erinnerung an die Geschichte gehöre auch die Erinnerung an das Leid der Vertriebenen und an das Unrecht der Vertreibung. Geschichte brauche Wahrheit ohne Einseitigkeit - weder in die eine, noch in die andere Richtung.

Dem musikalisch umrahmten Festakt war eine feierliche Kranzniederlegung am Denkmal für die Charta der Heimatvertriebenen in Bad Cannstadt vorausgegangen. Innenminister Heribert Rech und BdV-Präsidentin Erika Steinbach erinnerten an die Opfer von Flucht und Vertreibung und dankten den Heimatvertriebenen, die dieses großartige Bekenntnis möglich gemacht haben.

Walter Stratmann

Schlagwörter: BdV, Flucht und Vertreibung

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