23. Oktober 2016

Tagung des Frauenverbandes im BdV erinnert an Weltkriegsschrecken

„Genau das passiert jetzt in meiner Heimat“, sagte Shirin, als sie in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt die Bilder der Flüchtlingstrecks vom Ende des Zweiten Weltkrieges sah, die aus den deutschen Ostgebieten nach Westen strömten. Shirin, ihr Name wurde geändert, um sie selbst und ihre Familie zu schützen, stammt aus einem jesidischen Dorf im nordirakischen Sindschar-Gebiet, das im August 2014 von IS-Milizen überfallen wurde. Sie wurde entführt, misshandelt, vergewaltigt, an mehrere Männer verkauft. Mit Hilfe ihres letzten Mannes gelang ihr die Flucht nach Deutschland. Die Journalistin Alexandra Cavelius hat sie interviewt und ihre Erlebnisse in dem Buch „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“ veröffentlicht.
Sehr aktuell war also das Thema der Tagung des Frauenverbandes im Bund der Vertriebenen, die Ende August mit mehr als 40 Teilnehmern in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt, an einem geschichtsträchtigen Ort, stattfand. „Frauen und Kinder erleben Krieg und Gewalt. Wie wirken diese Erfahrungen auf ihr Leben?“ Die Beiträge zeigten, dass die Thematik in den letzten Jahren das Interesse der Historiker erst weckte, nachdem viele Jahrzehnte lang darüber geschwiegen worden war. Auch deshalb, weil die Erlebnisgeneration im Alter bereit ist, darüber zu sprechen, die Enkel sie ermuntert, ihre Erlebnisse aufzuschreiben und eine psychologische Aufarbeitung nötig ist, da die Erlebnisse wieder Raum gewinnen und die Menschen belasten.

Tagungsleiterin Dr. Maria Werthan, Präsidentin des Frauenverbandes, hatte eine Reihe von Wissenschaftlern eingeladen, die zu dem Thema forschen. Professor Dr. Manfred Kittel stellte das Thema in einen historischen Rahmen und erläuterte die national-politischen, machtpolitischen und ideologischen Gründe und Hintergründe der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Sibylle Dreher, Vizepräsidentin des Frauenverbandes, stellte Katharina Ellingers Leben und Werk vor, die den Einmarsch der Sowjet-Truppen in Schlesien erlebte und zwei autobiographische Bücher darüber geschrieben hat. Professor Dr. Barbara Stambolis zeigte den Dokumentarfilm Rudolf Kipps „Report on the Refugee. Situation/Bericht zur Flüchtlingssituation“, der 1949 im Auftrag der britischen Besatzung gedreht wurde. Als Shirin diese Bilder sah, weiteten sich ihre Augen vor Schrecken, so als sähe sie sich selbst vor zwei Jahren in ihrer Heimat Irak.

Umschlag des Buches „Ich bleibe eine Tochter des ...
Umschlag des Buches „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“, Europa Verlag, 18,99 Euro, ISBN 978-3-95890-015-8, www.europaverlag.com
Die Massenvergewaltigung von Frauen und jungen Mädchen hauptsächlich in Ostpreußen bezeichnete Professor Dr. Dr. h.c. Ingo von Münch als eines der schlimmsten Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Er versuchte zu erklären, wie es zu den Verbrechen kommen konnte, welche Schutzmöglichkeiten die Frauen hatten und wie sie und ihr Umfeld das Thema jahrzehntelang tabuisierten, aus Scham und weil die besiegten Deutschen angeblich nur Täter und keine Opfer sein konnten.

Dass die tiefgreifenden traumatischen Erlebnisse der Vertreibung im Alter wiederkehren und Spuren über Generationen hinterlassen, zeigte Barbara Stambolis anhand von Lebens- und Familiengeschichten. Professor Dr. Jürgen Reulecke referierte über Kriegskinder und Kriegsenkelproblematik, wobei er sich auf eigene Erfahrungen und deren Bewältigung in der Nachkriegszeit berief. Spuren dieser Prägungen durch Krieg und Nachkriegszeit versuchte er in den Biografien der heutigen Senioren zu erfassen. Zum Kriegsalltag von Frauen und Kindern in der Ukraine heute sprach Dr. Viktoria Soloschenko von der Akademie der Wissenschaften in Kiew. Die Annexion der Krim, die tägliche Angst und Gewalt erinnerten an die Schrecken der Vergangenheit.

„Wer bin ich?“ fragte Johanna Neumann, die jahrzehntelang nach ihrem Vater und ihrer Identität suchte. Im brennenden Königsberg verlor die kleine Johanna ihre Mutter und ihren Bruder, sie wusste nichts mehr über ihre Herkunft. In einem Kinderheim wurde ihr der Name Neumann gegeben, den sie auch behielt, nachdem sich viel später herausstellte, dass es nicht ihr richtiger war. Die DDR-Behörden vereitelten die Suche nach ihrem Vater, erst nach ihrer Flucht in den Westen erfuhr sie die Wahrheit von der zweiten Frau ihres Vaters, der inzwischen verstorben war.

In seiner Dissertation befasste sich der junge Wissenschaftler Dr. Christopher Spatz mit den Wolfskindern. In einem fremden Land, ohne Sprachkenntnisse, konnten die Kinder nur überleben, weil sie mit der Unterstützung der litauischen Bevölkerung fast immer rechnen konnten. Die Leugnung der deutschen Identität war oft der Preis. Warum gerade diese Wolfskinder später erfolgreich und als starke Persönlichkeiten sowohl in Litauen als auch in Deutschland ihr Leben gestalteten, führte er darauf zurück, dass nur die stärksten diesen Kampf überlebten.

Eines dieser Wolfskinder war Brigitte Trennepohl. Sie war nach 1945 auf die Hilfe der litauischen Bauern angewiesen, um sich, ihrer Mutter und Großmutter das Überleben zu sichern. Sie hat ihre Erlebnisse in einem Buch veröffentlicht.

Waltraud Steiner

Schlagwörter: BdV, Frauenarbeit, Weltkrieg

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