10. Januar 2007

Leserecho: "Familiarität des Guten"

Kritische Reaktion auf die in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 30. November 2006 veröffentlichten Buchbesprechung von Georg Aescht „Von der Familiarität des Bösen“.
Nach Meinung des Verfassers, der das Buch „Capesius der Auschwitzapotheker“ von Dieter Schlesak kommentiert, „wird Siebenbürgen durch Auschwitz in den unmenschlichen Mittelpunkt des Weltgeschehens gerissen“. Es entstünden „siebenbürgische Weiterungen von Auschwitz“. Hierzu erlaube ich mir folgende Anmerkungen:

1. Die Untaten des Auschwitzapothekers Capesius und des auch erwähnten KZ-Arztes Dr. F. Klein waren jeweils eine Individualschuld; sie wurde als solche bewertet und bestraft. Weder die „engere Familie“ noch die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen konnten die Taten verhindern. Insoweit sehe ich keine „Weiterungen“ für unsere Gemeinschaft. Ich zitiere in diesem Zusammenhang den amerikanischen Historiker Dr. Alfred M. de Zayas: „Es gibt keine Kollektivschuld der Deutschen für den Krieg (und die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse), sondern nur eine kollektive Sittlichkeit, die uns verpflichten sollte.“ Diesen Satz bejahe ich vollinhaltlich, vor allem bezogen auf die Generation meines Sohnes und der Enkelsöhne.

2. Die These, es gebe wegen der „Wachsoldaten der Waffen SS, zum Teil Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“, auch „Weiterungen“ für unsere Gemeinschaft, ist längst überholt und entkräftet. Der Verfasser scheint die seinerzeit von St. Măzgăreanu in der „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“ in diesem Sinn vertretene Ansicht und die nachfolgenden Diskussionen (dort Heft 1, 1996) nicht bekannt zu sein. Dabei wurde festgestellt, dass die Wachsoldaten nichts mit den Ereignissen im Lager selbst zu tun hatten, nicht zuletzt vom jüdischen Nobelpreisträger Elie Wiesel bestätigt, der sagte „Von den deutschen SS-Männern wurden wir nie geschlagen ...“.

3. Warum wird – immer noch – nach der „Familiarität des Bösen“ geforscht, anstelle auch der „Familiarität des Guten“ eine Chance gegeben und hieraus „Weiterungen“ festgestellt? Es ist Tatsache, dass in der NS-Zeit in Siebenbürgen niemals von einem Siebenbürger Sachsen einem jüdischen Mitbürger etwas „Böses“ angetan wurde! Im Gegenteil hierzu ist das Verhalten des ehemaligen Bürgermeisters von Mediasch, Dr. Zikeli, bekannt, der diesen Mitbürgern oftmals und entscheidend half, und ebenso das Verhalten des Hermannstädter Kaufmannes, der trotz großen Risikos den Familien verschleppter jüdischer Geschäftspartner finanziell half und von diesen, nach der Rückkehr aus Auschwitz, in fünf Fällen Dankesbriefe erhielt, die jederzeit eingesehen werden können! Dieses Verhalten, von mir stellvertretend auch für andere ähnliche Fälle erwähnt, kann natürlich nicht die Fälle Capesius und Dr. Klein neutralisieren oder damit aufgerechnet werden, denn es besteht kein direkter Zusammenhang, doch sind es Tatsachen, die im Rahmen der „Vergangenheitsbewältigung“ erwähnenswert sind.

Dr. Heinrich B. Plattner, Stuttgart

Capesius, der Auschwitzapothek
Dieter Schlesak
Capesius, der Auschwitzapotheker

Dietz, J H
Gebundene Ausgabe
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Schlagwörter: Leserecho, Nationalsozialismus, Vergangenheitsbewältigung

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