13. November 2003

Hellmut Seiler: "Weltweit Wahrheit worten"

Der siebenbürgische Schriftsteller Hellmut Seiler las am 9. Oktober bei den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtagen in Speyer. Die Einführung von Karin Servatius-Speck, der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, wird im Wortlaut veröffentlicht.
Im Jahre des Genossen 1988 hatte die deutsche Literatur im sozialistischen rumänischen Vaterland einen ihrer jüngsten, auch im Ausland erfolgreichen Autoren, Hellmut Seiler, verloren. Im Jahre des Herrn 1988 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er bis heute mit seiner Familie bei Ludwigsburg lebt, als Lehrer für Deutsch, Englisch und Ethik - und als repräsentativer Schriftsteller deutscher Gegenwartsliteratur.

Seiler ist Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller, der Künstlergilde Esslingen, Mitglied der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, 1999 wurde er in den P.E.N.-Club, die internationale Schriftstellervereinigung aufgenommen - eine große Anerkennung und vielleicht auch Genugtuung oder Wiedergutmachung für die Ausgrenzung und Demütigung zu Zeiten der Ceausescu-Diktatur, als der Lehrer und Schriftsteller vor seiner Ausreise drei Jahre Lehr- und Publikationsverbot hatte.



Hellmut Seiler las bei den Kulturtagen in Speyer. Foto: Hans-Werner Schuster
Hellmut Seiler las bei den Kulturtagen in Speyer. Foto: Hans-Werner Schuster
Sein bisher veröffentlichtes Werk umfasst drei Lyrikbände, zahlreiche Beiträge in Anthologien - seine jüngsten 2003 in Übersetzung in einem Sammelband französischer und deutscher Gegenwartslyrik, weitere im Sammelband Deutsche Lyrik 2004. Die Präsenz mit Gedichten, Aphorismen, Satiren in namhaften Literaturzeitschriften wie "Akzente" oder "die horen", all dies brachte Hellmut Sailer auch wichtige Auszeichnungen ein, wie den 1. Preis der Künstlergilde Esslingen 2000 für Lyrik, den hoch dotierten Würth-Literaturpreis 2000, den Literaturpreis Irseer Pegaus 2003, das Stipendium des Writers' and Translators' Centre of Rhodes u. a. m.

"kaum schlag ich die augen auf / muss ich mich schon zusammenreißen / um nicht zuzuschlagen ... äußere ich mich / sind sie außer sich ... strecke ich die zunge raus / schnüren sie mir die kehle zu ...", dies sind Seiler'sche Botschaften aus den Abgründen einer verkehrten bedrohlichen Welt, des Ceausescu-Landes - Gedicht heißt "Hilfeleistungen" - wo das Wegschließen von Gedanken vitale Strategie bedeutete: "im mund kann mir / diesen satz / keiner umdrehn" - "türkischer kaffee" ist der Titel des Dreizeilers, der in seiner Dichte ahnen lässt, wie virtuos dieser Sprachkünstler das Potential der Mehrdeutigkeit und die Fulminanz der Pointe beherrscht.

Sicherlich hatte im Realsozialismus das Wegschließen von Gedanken etwas mit Verschlüsseln folgerichtig zu tun. Das bevorzugte Mittel der Dichtersprache wurde dementsprechend die verschlüsselt suggerierende Metapher. Ihre Dichte barg die vielfältigsten Gedanken, im guten Gedicht wies eine wohlplatzierte Pointe der Interpretation dann den rechten Weg.

Diese Dichterklasse hat auch Hellmut Seiler besucht, und dem Meisterschüler gelingt dabei die Prägung einer eigenen Strategie der Mitteilung in Dichter-Sprache: Mit scheinbar "heiliger Nüchternheit" schreibt er sie nieder, aber vieldeutig kommen die Worte beim Leser an, brillierend und elegant oder auch derb wie ein Faustschlag, meist messerscharf pointiert.

Ironie ist dabei häufig dichterisches Mittel und sie zeugt von der Grundhaltung des Dichters zu unserer Welt: Dies intelligenteste aller Stilmittel schafft nötige Distanz zur ungetrübten Ein- und Übersicht, und höchste Freiheit bei der Themenwahl. Sie lässt sich wie eine Waffe einsetzen, auch zum Selbstschutz. Sie ist doppelbödig. Der eine Boden liegt in der konkreten Wirklichkeit der Erfahrungswelt. Seiler sagt einmal: "Man muss die Dinge persönlich erlebt haben, bevor man ihnen sprachliche Form gibt". Seine "Wahrnehmung gerinnt (ihm) zu Worten". Ihre Schwestern sind Satire und die Groteske. Im Siebenbürgen kurz vor 1989 hatte sich die Lage in allen Lebensbereichen in Richtung grotesk und absurd entwickelt, es war, als ob es keine Bodenhaftung mehr gebe. "Ich bin mir gänzlich abhanden gekommen", schrieb Seiler, und, eine Wende ahnend: "der stillstand hat einen tiefstand erreicht" ("Pastell").

Jahre nach der so genannten Revolution reist der Schriftsteller nach Rumänien. Brutal pointiert teilt er seine Enttäuschung über die verpasste Chance eines grundsätzlichen Neuanfangs mit: "Wie's jetzt ist? - Es ist / noch schlechter geblieben."

Was Seiler heute, nachlesbar in seinem letzten Band "Schlagwald. Grenzen, Gänge" bezüglich des alten Lebensraumes schreibt, zeugt von einer in Zeit gewachsenen relativen Gelassenheit und Distanz. Manchmal ist so etwas wie Bitterkeit im Rückblick auf einen Kampf mit Windmühlen und eine Jugend, die sich im engsten nestwarmen Raum selbst genügte: "Wär im Alter so jung geblieben / Wie ich es jung nie gewesen bin / Bliebe mir Jungsein im Alter / Erspart" ("In dem Schneegebirge").

Weit entfernt ist der dieses Jahr Fünfzigjährige von Resignation: "Das pocht mit letzter Wildheit grollend in der Tiefe", seine Selbstdiagnose, und immer noch geht Sturm und Drang vor Klassik. Ein Anflug von Abgeklärtheit wie Resignation spricht aus Seilers neueren Texten, weil er Grundsätzliches abgeklärt hat: da sind die Grenzen, die dem Dichter als Weltveränderer gesetzt sind, "fest steht, dass gegen die Regenzeit mit Haartrocknern nicht anzukämpfen ist" ("Witterungsneurose"). Da ist die existentielle Einsicht, dass einer, der vor politisch Abgründigem flüchtete, das Ideal nirgendwo finden wird, denn Politik wird von Menschen gemacht, und ach wie sehr "menschelt" es auch hierzulande im schmerzhaft verschlankenden Staat! "Exil nach Bedarf" ist der Titel eines Gedichts, in dem sich der "verschwenderisch" mit Fremdheit Ausgestattete, in vielfacher Bezuglosigkeit verstrickt ..." wiederfindet. "Dauer im Wechsel" hieß das magische Wort zu Goethes Weltbild, "Dauer im Aus" scheint das Schicksal des zweiheimischen Dichters heute zu sein. "Bleib immer bei mir, mein Fernweh", schreibt Seiler, und die Verwandtschaft zu den unbehausten Dichterkollegen der Romantik, auch zu deren Ironie als Überlebensstrategie, ist nicht zu überlesen.

Worte peitschende Wut, verspielt bis ätzende Satire, Ironie als Weggefährtin des Denkers, tiefe Empfindsamkeit und ehrliches Mitgefühl, es sind Attribute und Fähigkeiten eines Schriftstellers, der sich der Wahrhaftigkeit verschrieben hat. Klar, dass ihm die vernetzte Kommunikation im globalisierten globalisierenden world wide web ein Gräuel ist, so wie jede Vereinheitlichung und Nivellierung. Wenn es dann ein "www.seiler.de" gäbe, wäre ich so frei, es zu lesen als "weltweit wahrheit worten".

Karin Servatius-Speck


Hellmut Seiler

Der Erde Rede

Es war der Sommer als die Mädchen
Noch papierleichte seligsäumige Röcke
Hinter sich schaukeln ließen & wir

Einen anhaltenden Drehschwindel davon
Trugen & die Konzerte der Philharmonie
Trieben uns den auch nicht aus nur Fritz

Hockte da, verklärte Veilchen im Gesicht
& ließ die Fackelohren hängen. Aber Honky
Tonk Women
spielte keiner wie der Klaus

Sauer & die Flamingos! Chopin plätscherte
Wir gingen in die Tanzstunde mit der
Verwachsenen Frau Hamrodi & sie brachte

Uns den Shake bei und den Twist. Auf den
Fotos waren nur die Beine zu sehen, wir rieten
Wie im Rausch welche wem gehörten.

Es war der Sommer als ich Jean-Pierre Rampal
Im Zeidner Waldbad ins Wasser stieß & seine
Flöte wurde naß, unsere einzelnen fein durch

Äderten zuckten in den ausgebleichten wachs
Farbenen Badehosen & wir warfen uns diese
An den Kopf & lachten Fritz mit den traurigen

Ohren in Grund & Waldboden bis er plötzlich
Auf einer Palme saß die da gar nicht wuchs.
Die Mädchen mit den wippenden Säumen aber

Waren alle noch Jungfrauen & wir streiften
Unsere kurzatmigen Vorsätze ab, bliesen sie
Auf & warfen sie den Feinden vor die Füße.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2003, Seite 6)

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