21. März 2000

Verjüngung in Habitus und Rhetorik

Eine "neue Ära der Verjüngung in Habitus und Rhetorik" hat sich bei der Jahrestagung der Südosteuropa-Gesellschaft im Februar in Berlin angekündigt. Als Präsident wurde der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Gernot Erler, gewählt. Seit ihrer Gründung im Jahre 1952 in München befasst sich die Gesellschaft mit der Pflege und Förderung der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den südosteuropäischen Staaten befasst. Gleich nach der Wende ist die SOG auch in den neuen Bundesländer aktiv geworden, was zu einem "sensationellen Mitgliederzuwachs" auf rund 650 Personen geführt hat.
Die Jahrestagung der Südosteuropa-Gesellschaft (SOG) fand am 25. und 26 . Februar in Berlin statt und stand diesmal im Zeichen des Wechsels an der Spitze der Gesellschaft. Dr. Walter Althammer, der seit 35 Jahren die Funktion des Präsidenten der SOG inne hatte, trat zurück. Als seinen Nachfolger hatte der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Althammer den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Gernot Erler, ausersehen. Wie Anneli Ute Gabanyi, SOG-Präsidiumsmitglied, in einem Gespräch mit der Siebenbürgischen Zeitung mitteilte, war Erler bereits vor zwei Jahren zum Vizepräsidenten gewählt worden und ist seither, soweit das seine Pflichten in der Fraktion zugelassen haben, sehr intensiv in der SOG tätig gewesen. Allerdings spielt der Parteiaspekt in dieser Frage nur eine untergeordnete Rolle, weil sich die SOG stets als überparteiliche Mittlerorganisation verstanden hat.

Am 26. Februar fand in feierlichem Rahmen im Roten Rathaus von Berlin die Jahreshauptversammlung der SOG statt. Dr. Roland Schönfeld hielt die Laudatio auf den scheidenden Präsidenten Dr. Walther Althammer, der neue Präsident Gernot Erler wurde vorgestellt. In seinem Eröffnungsvortrag kündigte Erler neue Akzente an, wobei er zugleich Kontinuität wahren wolle. Als deren Zeichen kann auch die Berufung von Prof. Althammer zum Ehrenvorsitzenden der SOG bewertet werden. Wie Erler gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung erklärte, werde die Gesellschaft künftig intensiver mit der Bundesregierung und vor allem mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeiten, um damit die "SOG-Ressourcen auch in operativ-politischen Aufgaben einzubringen". Das solle beispielsweise durch Übernahme von konkreten Aufgaben beim sich entwickelnden "Stabilitätspakt für Südosteuropa" geschehen. Zudem will der neue Präsident Schwerpunktthemen für längere Planungszeiträume (12-15 Monate) entwickeln, wobei sich Veranstaltungs- und Konferenzserien jeweils aufeinander beziehen sollen. Schließlich soll die Gesellschaft neue Medien wie das Internet verstärkt nutzen, um größere Aktualität zu erreichen und die Fähigkeiten der rund 650 Mitglieder besser zu vernetzen.
Erler wurde am 3. Mai 1944 in Meißen geboren, studierte Geschichte, Slawische Sprachen und Politik in Berlin und Freiburg, arbeitete als Verlagsleiter und wissenschaftlicher Assistent. Seit 1987 ist er Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Freiburg und seit November 1998 stellvertretender Vorsitzender der SDP-Fraktion im Bundestag.
Der für Europafragen zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Christoph Zöpel, trug in einer brillanten Rede Gedanken eines Außenpolitikers über die Zugehörigkeit der Staaten Südosteuropas zu Europa, die gelegentlich in Frage gestellt wird, vor sowie über die Frage, wie weit die Grenzen der EU ausgedehnt werden können.
Als Vizepräsidenten der SOG wurden wieder je ein Vertreter der großen Volksparteien im Deutschen Bundestag gewählt: Neu gewählt wurden Uta Zapf von der SPD, wie Erler Sicherheits- und zudem Türkeiexpertin, sowie Bartholomäus Kalb von der CSU. Auch bei den anderen drei Vizepräsidenten hat sich ein Wandel ergeben, neu ins Amt kam Professor Dr. Hans-Jürgen Axt aus Duisburg, wiedergewählt wurden Prof. Dr. Klaus Roth aus München und Dr. Roland Schönfeld, der ehemalige Geschäftsführer der SOG aus Regensburg. Bei den 15 Beisitzern des Präsidiums gab es eine beachtliche Verjüngung und Umschichtung, so durch neu hinzugekommene Fachleute wie Professor Dr. Wolfgang Höpken aus Leipzig oder den grünen Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir. Wiedergewählt wurde Anneli Ute Gabanyi, die als einzige Siebenbürgerin dem Präsidium wie auch dem Wissenschaftlichen Beirat der SOG angehört. Professor Dr. Hermann Gross, wichtiger Mentor der SOG, ist Ehrenmitglied des Präsidiums.
Während der feierlichen Versammlung wurden zwei neue korrespondierende Mitglieder der Gesellschaft ernannt: Professor Dr. Camil Muresanu, Professor für Europäische Geschichte an der Klausenburger Babes-Bolyai-Universität und Direktor des dortigen Historischen Instituts der Rumänischen Akademie, sowie Professor Dr. Zoran Ziletic, ein bekannter Germanist aus Belgrad. Nach der Wende von 1989 war bereits ein weiterer Historiker aus Rumänien, der Jassyer Historiker Professor Dr. Alexandru Zub, zum korrespondierenden Mitglied ernannt worden. (Weitere korrespondierende Mitglieder aus Rumänien sind bzw. waren allesamt Historiker, und zwar Dan Berindei und Virgil Candea sowie die verstorbenen Constantin Daicoviciu und Mihai Berza.)
Wie Frau Gabanyi gegenüber dieser Zeitung feststellte, kündigt sich durch die Jahrestagung in Berlin "eine neue Ära der Verjüngung in Habitus und Rhetorik" an. Sehr interessant sei das Symposium des wissenschaftlichen Beirats gewesen, das am 25. Februar zum Thema „Staatssymbole in Südosteuropa“ stattfand. Prof. Klaus Heitmann aus Heidelberg sprach über den Personenkult Ceausescus, aufschlussreich waren auch Vorträge über Flaggen in der Region und über Staatssymbole in der heutigen Türkei. Die öffentliche Tagung war sehr gut besucht, auch von Studenten aus Berlin.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1952 befasst sich die Südosteuropa-Gesellschaft, die ihren Sitz in München hat, mit der Pflege und Förderung der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den südosteuropäischen Staaten. Dies sind: Albanien, Bulgarien, Griechenland, die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, die Republik Moldau, Rumänien, die Slowakei, die Türkei, Ungarn und Zypern. Erklärtes Ziel der SOG ist es, die Kenntnisse über historische und gegenwärtige Entwicklungen zu vertiefen und dem gegenseitigen Verständnis zu dienen. Die Beziehungspflege zu diesen Staaten durch die SOG war besonders wichtig zu der Zeit, als die diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den kommunistischen Staaten der Region wegen deren Anerkennung der DDR unterbrochen waren. Erst mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien im Januar 1967 kam der Durchbruch für eine neue deutsche Ost- und Südostpolitik. Vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen liefen die meisten Kontakte zu Südosteuropa über die SOG, aber auch danach spielte die Gesellschaft eine wichtige Rolle bei der Kontaktpflege sowie dem wissenschaftlichen und kulturellen Austausch. Auch in der vorjährigen Kosovo-Krise, als die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Jugoslawien eingefroren wurden, kam auf die SOG die Aufgabe zu, "mit allem Takt und aller Vorsicht mit Menschen zu verhandeln, die nicht zu stark eingebunden in den obersten Machtapparat von Jugoslawien eingebunden sind", so Frau Gabanyi.
Unmittelbar nach dem Fall der Mauer - noch vor der Wiedervereinigung - sei die SOG als eine der ersten Gesellschaften in den neuen Bundesländer aktiv geworden und habe dort zahlreiche Zweigstellen gegründet. "Da ist eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftler aus den alten und neuen Bundesländern einerseits und denen aus den südosteuropäischen Ländern andererseits entstanden, die sich auch heute sehr fruchtbar auswirkt. Wir haben sehr profitiert von einigen exzellenten Fachleuten in den neuen Bundesländern, die es dort auch während der kommunistischen Zeit gab, z.B. den Spezialisten für Ostkirchen Prof. Hans-Dieter Döpmann oder Dr. Eva Behring im Bereich der rumänischen Literaturwissenschaft. Die Kollegen aus dem Osten stellen eine große Bereicherung unserer wissenschaftlichen Landschaft dar, sie sind auch im wissenschaftlichen Beirat und dem Präsidium der SOG vertreten."
Die Einbeziehung der neuen Bundesländer ist nach Ansicht von Frau Gabanyi "auch eine der Quellen des sensationellen Mitgliederzuwachses" auf rund 650 Personen, den die Gesellschaft verzeichnet hat. Allein zwischen Oktober letzten Jahres und Februar 2000 seien 32 neue Mitglieder eingetreten, darunter viele junge Leute. Die SOG sei "eine Gesellschaft, die voll angenommen wird und in voller Expansion begriffen ist in einer Zeit, in der andere Gesellschaften Mitglieder verlieren". Ihre Finanzierung erfolgt aus drei Quellen, primär aus Zuwendungen des Auswärtigen Amtes, dann aus - allerdings immer stärker zurückgehenden - Spenden aus der Industrie und schließlich aus Mitgliederbeiträgen.
In einer gesonderten Veranstaltung, deren Datum noch nicht feststeht, wird noch in diesem Jahr die Konstantin-Jiricek-Medaille, die höchste Ehrung der SOG, an den rumänischen Philosophen und Kunsthistoriker Andrei Plesu verliehen. Rumänien ist in diesem Jahr mit keiner speziellen Tagung vertreten, wie das letztes Jahr im Juni der Fall war. Das Thema Rumänien wird aber in länderübergreifenden Tagungen zur Sprache kommen. Bei einer SOG-Tagung, die am 21. und 22. März in der Politischen Akademie in Tutzing stattfindet, werden Fragen der sozialen Sicherung in SOE erörtert. Veranstalter sind der aus Großsanktnikolaus (Banat) stammende Professor Dr. Anton Sterbling und Dr. Anneli Ute Gabanyi. Neben Wissenschaftlern aus Bulgarien und Ungarn treten zwei rumänische Gäste als Referenten auf, und zwar Professor Dr. Gheorghita Geana aus Bukarest und Lavinia Betea, eine Soziologin und Politologin aus Arad.
Die Südosteuropa-Gesellschaft veröffentlicht die Vierteljahresschrift Südosteuropa Mitteilungen, die unter der Schriftleitung von Hans-Jörg Brey zu einer "reinen wissenschaftlichen Publikation mit glänzenden Beiträgen gereift ist". Zudem werden die Schriftenreihen Südosteuropa-Jahrbücher, Südosteuropa-Studien und Aus der Südosteuropa-Forschung herausgegeben. Die Tagungen der SOG finden oft in Zusammenarbeit mit dem Südost-Institut, den Akademien in Tutzing oder der Münchner Gesellschaft für Auslandskunde statt. Die Zweigstellen der SOG haben als Partner die örtlichen Industrie- und Handelskammern, Universitäten, Forschungsinstitute, die Volkswagenstiftung, das Institut für Länderkunde in Leipzig etc.

Siegbert Bruss



Anschrift: Südosteuropa-Gesellschaft, Widenmayerstraße 49, 80538 München, Telefon: (0 89) 2 12 15 40, Fax: (0 89) 2 28 94 69.

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