13. Mai 2002

Mit Musik: Bauen an Bindungen

Ein übriges Mal ist der junge Münchner Pianist Leonhard Westermayr, den die Süddeutsche Zeitung einen neuen „Stern am deutschen Klavierhimmel“ genannt hat, zugunsten siebenbürgischer Musiker aufgetreten: Im Barocksaal des Klosters Benediktbeuern gab er Ende April einen Klavierabend, dessen Erlös im Herbst ein Gastkonzert der Klausenburger Philharmoniker im Herkulessaal der Münchner Residenz ermöglichen soll.
Initiator der Benefizveranstaltung war Westermayrs Lehrer und langjähriger Leiter des Münchener Musikseminars, der aus dem siebenbürgischen Mühlbach stammende Walter Krafft, organisiert wurde der Klavierabend in Zusammenarbeit mit der Union der Vertriebenen (UdV) und ihrem oberbayerischen Bezirksvorstand Andreas Orendi. Schirmherrin des Konzerts war die Europaabgeordnete Gabriele Stauner, die in einer Grußansprache das dankenswerte Engagement des Klavierkünstlers, des Musikpädagogen und seines UdV-Mitstreiters würdigte, die bereits in den frühen neunziger Jahren geschlagene musikalische Brücke zwischen Deutschland und Rumänien tragfähig zu erhalten. Kunst, im speziellen Falle die Musik sei eine der „wesentlichen Dimensionen des europäischen Kulturraums“ und in der Lage, über Grenzen hinweg „eigentliche Bindungen“ entstehen zu lassen. Dass sich dabei ein junger Künstler vom Range des konzertierenden Pianisten seit bald einem Jahrzehnt selbstlos für die Musik in Siebenbürgen und Rumänien und damit für den kulturellen Brückenschlag einsetze, sei nicht hoch genug zu bewerten. In diesem Zusammenhang wisse man übrigens auch die Bemühungen des Siebenbürgers Orendi zu schätzen und habe ihn Anfang dieses Jahres mit der Europa-Medaille des EU-Parlaments ausgezeichnet.
Der junge Pianist Leonhard Westermayr
Der junge Pianist Leonhard Westermayr

Für das Benefizkonzert in Benediktbeuern hatte Leonhard Westermayr Stücke gewählt, die vor allem sein Virtuosentum zur Geltung kommen ließen. Auf Bachs einleitende Toccata in D-Dur, der er mit eigenwilligen Ritardandi und Passagen verhaltenen Anschlags im getragenen Mittelteil romantische Akzente setzte, folgte Beethovens Sonate G-Dur op. 31 Nr. 1. Das Werk entstand zwischen 1801 und 1803, als es auch gedruckt erschien. Vorher hatte Beethoven geäußert: „Ich bin mit meinen bisherigen Arbeiten nicht zufrieden, von nun an will ich einen anderen Weg beschreiten.“ Quasi als ein Abschiednehmen und geradezu radikal vertritt die Komposition ein letztes Mal den an Haydn geschulten musikantisch-spielerischen Sonatentypus, der noch nicht bedingungslos dem Ausdruck leidenschaftlicher Gefühlsregungen oder ernster gedanklicher Auseinandersetzung zu dienen hatte, wie das später in Beethovens Schaffen der Fall sein sollte. Schon das Stirnmotiv des ersten Satzes ist mit dem Vorschlagen der Oberstimme um ein Sechzehntel vor dem tragenden Bassrhythmus ein musikalischer Witz, der den Ablauf dieses gesamten Allegro vivace bestimmt, und der Mittelsatz mutet vom ersten bis zum letzten Takt an als Zitat voller Noblesse und Grazie Haydnscher Provenienz. Lediglich im abschließenden Rondo finden sich beim oft wilden Musizieren zwischen den einzelnen Wiederholungen des Hauptmotivs Ansätze zu einem ersten Erproben jener überfließenden Dimensionen, die in den späteren Sonaten alle vorgegebenen Strukturen aufbrechen werden. Im Grunde genommen aber bleibt in dieser Sonate alles noch beim Alten, bei musikantischer Heiterkeit und unbeschwerter Fingerfertigkeit, die Westermayr nach wie vor souverän beherrscht, obwohl man sich an diesem Abend besonders im Mittelsatz der Sonate ein Zusätzliches an Leichtigkeit des Musizierens gewünscht hätte.
Noch besser brillieren konnte der Pianist allerdings in der Sonate g-Moll op. 22, der zweiten von drei Klaviersonaten Robert Schumanns. Sie entstand 1835, im Jahr der geheimen Verlobung mit Clara Wieck, Schumanns späteren Frau und zu ihrer Zeit herausragendsten deutschen Klavierkünstlerin, die jedoch das abschließende Presto der neuen Sonate „viel zu schwer“ fand, was den Komponisten veranlasste, es 1838 durch einen leichter spielbaren Schlusssatz, ein Scherzo, zu ersetzen. Heute geben versierte Pianisten bei Aufführungen des Werks beide, Scherzo und Presto, zum Besten, und mit dem einleitenden ersten Satz vor dem mittleren Andantino - er trägt symptomatisch die Bezeichnung „So rasch wie möglich“ - gehört die Sonate, deren Partitur freilich auch Passagen geringeren musikalischen Tiefgangs aufweist, zu den technisch anspruchsvollsten Schöpfungen der „klassischen“ Klavierliteratur. Ihrem herausfordernden Duktus zeigte sich Leonhard Westermayr voll gewachsen, war offenbar in seinem ureigensten Element selbst im verrucht rasanten Presto und setzte dem Abend mit seiner Darbietung ein pianistisches Glanzlicht auf, für das ihm das zahlreiche Publikum auch nach der ebenso virtuos dargebotenen „Rhapsodie espagnole“ von Liszt und den stürmisch erbetenen Zugaben mit begeistert anhaltendem Applaus dankte.

Hannes Schuster


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 15. Mai 2002, Seite 5)

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