19. Mai 2002

Ein Stück Unsterblichkeit durch Stiftungen

Bürgerliches Engagement gewinnt an Bedeutung / Bibliothek in Gundelsheim zeugt vom kulturellen Vermächtnis der Siebenbürger Sachsen
Fast täglich wird in Deutschland eine neue Stiftung gegründet. Dies hat gewiss auch mit der lang anhaltenden Friedensepoche in Europa zu tun, in der die Vermögen gedeihen können. Eine der bekanntesten Stifterinnen ist die kürzlich verstorbene "Zeit"-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, deren Stiftung Intellektuellen und Wissenschaftern aus Osteuropa, die sich um die Versöhnung mit Deutschland einsetzen, ein Forschungsstipendium ermöglicht.
Die seit einigen Jahren zu verzeichnende Welle von Stiftungsgründungen ist ein Indikator für ein zunehmendes gesellschaftliches Engagement der Bürger. Entgegen einer verbreiteten Meinung, dieses Engagement lasse stetig nach, beweist die steigende Zahl der Stiftungsgründungen das Gegenteil. Dabei übernehmen nicht nur Reiche, sondern oft auch weniger wohlhabende Personen Verantwortung.
Die Siebenbürger Sachsen, traditionell genossenschaftlich organisiert, machen da keine Ausnahme. Sie knüpfen heute lediglich an Gepflogenheiten an, die durch die Zerstörung ihrer Selbstorganisation im Gefolge des Zweiten Weltkriegs für einige Jahrzehnte unterbrochen wurden. In Siebenbürgen stellten etwa die genossenschaftlichen Geldinstitute ihre Gewinne für kulturelle Zwecke zur Verfügung und finanzierten so den Druck vieler Bücher, darunter historisch-heimatkundliche Publikationen, der sonst bei diesen kleinen Auflagen undurchführbar gewesen wäre.
In den 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ist die ehemals kompakte Gruppe der Siebenbürger Sachsen durch Flucht und Aussiedlung fast ganz aus ihrem Siedlungsgebiet verschwunden. Wo es manchmal Leib und Leben zu retten galt, blieb viel von den kulturellen Zeugnissen zurück, wurde zerstört oder verfiel. Manch einem war aber Ererbtes, Gesammeltes oder selbst Geschaffenes so wichtig wie das eigene Leben und so nahm er es - oft unter Zurücklassung anderen, vielleicht für das Überleben wichtigeren Gutes - nach Deutschland mit. Als Beispiel seien die über zweihunderttausend in Karteikästen gesammelten und geordneten Sprachbelege der rund vierzig nordsiebenbürgischen Ortschaften genannt, die Friedrich Krauß auf seiner Flucht vor der herannahenden sowjetischen Front im Herbst 1944 in den Westen mitnahm. In jahrzehntelanger Arbeit wurde darauf aufbauend in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertem Projekt das Nordsiebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch fertiggestellt, das als Sprachdenkmal den letzten Mundartsprecher überleben wird. Dieses Wörterbuch ist jetzt in jeder bedeutenden germanistischen Bibliothek und damit im kulturellen Gedächtnis der Menschheit vorhanden.
Die Siebenbürgische Bibliothek ist seit einem halben Menschenalter in Gundelsheim am Neckar beheimatet. Sie wurde aus kleinen Anfängen zur größten Fachbibliothek außerhalb Siebenbürgens und nimmt heute den Rang einer Nationalbibliothek ein. Träger der Bibliothek sind drei der ältesten Vereine der Siebenbürger Sachsen in Deutschland: der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde sowie das Hilfskomitee und die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Diese Vereine bilden mit allen weiteren wichtigen Verbänden und Institutionen den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat, dessen Auftrag die Bewahrung unseres kulturellen Erbes und die Erweiterung des Wissens darüber ist. Der Bund und die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fördern diese Aufgabe mit Steuermitteln. Mit der Organisation der Bibliothek und des inzwischen hinzugekommenen Archivs ist das Siebenbürgen-Institut betraut. In Anbetracht der gewaltigen Aufgaben des Instituts reichen die finanziellen Mittel der öffentlichen Hand bei weitem nicht aus.
Die ersten Bestände der Bibliothek waren Leihgaben des Gustav-Adolf-Vereins. Es folgten unzählige Schenkungen und Vermächtnisse von Landsleuten und Förderern. Nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil der Sammlungen der Bibliothek wurden gekauft oder ersteigert. Gleiches gilt für die Bibliothekseinrichtung: Regale, Schränke, Lampen, Sitz- und Arbeitsmöbel, Bodenbeläge u. a. wurden durch Schenkungen oder Sammelaktionen erworben. Dahinter steckt viel ehrenamtliche Arbeit. Um nur einige Beispiele herauszugreifen: Der Buchhändler und Kartensammler Hans Meschendörfer verbrachte mehrmals einige Wochen in der Bibliothek und brachte seinen einzigartigen Sachverstand bei der Ordnung der historischen Landkartensammlung, einem der Schmuckstücke der Bibliothek, ein. Rolf Wagner aus Ravensburg bindet und restauriert in Heimarbeit unentgeltlich alte Bücher und Schriften der Bibliothek und bewahrt sie damit vor Verfall und sichert ihre Benutzbarkeit für viele Jahre. Peter Hedwig aus Erlangen bindet Kopien und Typoskripte und sichert somit ihre Handhabbarkeit. Aber auch viele rüstige Bewohner des Heimathauses Siebenbürgen helfen immer wieder bei der Auswertung von Artikeln für laufende Sammlungen mit.
Diese Bibliothek zeugt vom kulturellen Vermächtnis der Siebenbürger Sachsen für ihre Nachkommen, für die deutsche und europäische Kultur, für ein jahrhundertealtes überwiegend gutes Miteinander mit Menschen anderer Sprache und anderen Glaubens. Dieses Zeugnis möglichst lange aufrechtzuerhalten ist die Aufgabe der Bibliothek. Die Aufgabe der Stiftung ist es, die Siebenbürgische Bibliothek auf Dauer funktionsfähig zu erhalten - unabhängig von einer auf lange Sicht unsicheren öffentlichen Förderung.
Eine gemeinnützige Stiftung ist eine Rechtsform, die einer staatlichen Aufsicht ihres Finanzgebarens unterliegt, dafür aber auch steuerliche Vorteile genießt. So dürfen die Gewinne des Stiftungskapitals unversteuert für den Stiftungszweck verwendet werden.
Die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek wurde Ende 1999 durch Bereitstellung bedeutender Beträge durch einzelne Landsleute gegründet. Es folgten Hunderte von Zustiftungen in sehr unterschiedlicher Höhe. Immer wieder wird als „Richtwert“ für eine Zustiftung ein Betrag von 1 000 Euro genannt. Sollten sich unter den rund 200 000 in Deutschland lebenden Sachsen auch nur ein Prozent dazu entschließen, diesen Betrag zu stiften, wäre diese Stiftung mit ausreichend Kapital ausgestattet.
Der Gedanke an den eigenen Tod und die Einsicht in die eigene Sterblichkeit lassen manche Menschen an ein Engagement für die Allgemeinheit auch nach ihrem Tod denken. Vielfach finden sich heute in Todesanzeigen Bitten, statt bald verwelkter Blumen auf das Grab das Geld für einen gemeinnützigen Zweck zu stiften. Wer in seinem Leben stets maßvoll war, wird auch bei seiner Beerdigung der Übertreibung durch eine allzu üppige Blumenpracht Einhalt gebieten. Das Andenken an die Verstorbenen kann auch so gebührend und würdig geehrt werden, und durch das Einbringen von Vermögenswerten oder Spenden in eine Stiftung wird ein Stück Unsterblichkeit erlangt.
Wir würden uns wünschen, dass möglichst viele Landsleute einen entsprechenden Vermerk in ihre Todesanzeige setzen lassen. Es gehört zur menschlichen Eigenart, auch über die eigene Vergänglichkeit nachzudenken und den Tod zu antizipieren. Nutzen wir dies als Chance! Das Andenken der großzügigen Stifter wird durch einen Eintrag in der Stifterliste geehrt und durch die segensreiche Arbeit des Siebenbürgen-Instituts und der siebenbürgischen Bibliothek samt Archivs verewigt.

Gustav Binder

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