21. Mai 2002

Mehr Solidarität mit Aussiedlern erforderlich

Der von den Siebenbürger Sachsen seit über fünf Jahrzehnten geleistete Brückenschlag zwischen Ost und West kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Eingliederung von Aussiedlern weiter ausgebaut und langfristig gesichert ist. Dies stellte Volker E. Dürr, Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, am Pfingstsonntag, dem 19. Juni, auf der Kundgebung des Heimattages in Dinkelsbühl fest. Die bundesdeutsche Politik müsse ein Klima der Akzeptanz und Solidarität mit Aussiedlern schaffen und bei der Aufnahme Härten wie Familientrennung und Abschiebung vermeiden. Vor allem die Jugend müsse in die Lage versetzt werden, sich innovativ am europäischen Einigungsprozess zu beteiligen, betonte Dürr. Die Ansprache des Bundesvorsitzenden wird im Folgenden vollinhaltlich wiedergegeben.
Als ein sichtbares Zeichen siebenbürgisch-sächsischer Gemeinschaft organisiert die Landsmannschaft – in diesem Jahr maßgeblich unterstützt von der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD) – den Heimattag der Siebenbürger Sachsen. Seit 1951 vereint er in festlichem Rahmen zu Pfingsten in unserer Partnerstadt Dinkelsbühl etliche 1000 Siebenbürger Sachsen und deren Freunde und Förderer aus aller Welt.
Bundesvorsitzender Volker Dürr forderte die Bundesregierung auf, die siebenbürgisch-sächsische Jugendarbeit stärker zu unterstützen
Bundesvorsitzender Volker Dürr forderte die Bundesregierung auf, die siebenbürgisch-sächsische Jugendarbeit stärker zu unterstützen


In einer Welt, in der es trotz vorsichtiger Annäherungs- und Entspannungspolitik wieder mörderische Energien gibt, mit denen wir uns alle auseinandersetzen müssen, sind Einsicht und Bereitschaft zu gemeinsamem und partnerschaftlichem Handeln erst recht gefragt und müssen gestärkt werden.
Unter dem Motto „Mit der Jugend in die Zukunft“ sind wir alle aufgerufen, unsere Erfahrungen des Zusammenhalts und der Unterstützung weiterzutragen und Partner zu sein für alle friedliebenden Völker in Europa und darüber hinaus. Unserem Selbstverständnis entsprechend, werden wir versuchen, die historischen Erfahrungen von Solidarität und Zusammenhalt nach innen sowie Toleranz nach außen einzubringen. Und wer, wenn nicht unsere Jugend, ist am ehesten dazu berufen, diesen Versuch zu unternehmen!
Dabei bitte ich auch Sie, sehr geehrter Otto Schily, in Ihrer Eigenschaft als Bundesminister des Inneren und auch Sie, Frau Christa Stewens, in Ihrer Eigenschaft als bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, zu berücksichtigen, dass der von meinen Landsleuten hier in Deutschland bereits seit fünf Jahrzehnten auch über die Grenzen Europas hinaus geleistete Brückenschlag nur dann erfolgreich sein kann und Bestand haben wird, wenn unsere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eingliederung und Verankerung in Deutschland – insbesondere für unsere Jugendlichen – weiter ausgebaut und langfristig gesichert wird.
Denn wer sich heimatlos und entwurzelt fühlt, der wird leicht zum Opfer fundamentalistischer oder populistischer Parolen. Deshalb knüpfen wir Siebenbürger Sachsen an eine auf ein gemeinsames Europa ausgerichtete, zukunftsorientierte Politik in Deutschland folgende Erwartungen:
1. Auch in Wahlkampfzeiten muss zum Schutz und im Sinne der Obhutspflicht gemäß Artikel 116 des Grundgesetzes ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität mit Aussiedlern geschaffen werden, sozusagen ein „common sense“ darüber, dass ihre Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn sie nicht als Greencardanwärter gelten, zu fördern ist und dass dabei Härten wie Familientrennung und Abschiebung vermieden werden müssen. Hierzu gehört auch, dass die vor einigen Jahren eingeführte 40-%-Kürzung der Fremdrentenanteile von Aussiedlern aus den GUS- und den südosteuropäischen Staaten nicht erst nach der zu erwartenden, hoffentlich für uns positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zurückgenommen wird. Denn gerade wir Aussiedler haben seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich mit dazu beigetragen, dass hier ein wirtschaftlich solides, sozial ausgewogenes und kulturell bereichertes demokratisches Gemeinwesen entstanden ist, und auch durch die Zuwanderung im letzten Jahrzehnt haben Aussiedler dazu beigetragen, dass in dem vereinigten Deutschland kein Wohlstandsverlust eingetreten ist. Die überdurchschnittlich jungen Aussiedlerfamilien tragen zum schnellen Schließen von Lücken auf dem Arbeitsmarkt, zur Stärkung der sozialen Sicherungssysteme und zur Verbreiterung der kopflastig gewordenen Alterspyramide in Deutschland bei.
2. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend haben wir, auch mit staatlicher Hilfe, Organisationen, Trägerschaftsvereine, Hilfswerke und Kultureinrichtungen geschaffen, die gerade für unsere siebenbürgisch-sächsische Jugend Identität stifteten und als Zeichen unseres ursprünglichen Bürgerengagements integrationsfördernd gewirkt haben.
Alle im Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat zusammengeschlossenen Vereine, Verbände und Institutionen sind mit unserem als Brückenkopf nach Osteuropa wirkenden siebenbürgischen Kulturzentrum in Gundelsheim bereit, mit dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung ein gemeinsames Umsetzungskonzept zur Kulturförderung gemäß § 96 BVFG zu entwickeln, das es auch unseren vielen ehrenamtlich tätigen Aussiedlern wieder möglich macht, die vom Deutschen Bundestag geforderte Brückenfunktion aktiv wahrzunehmen.
3. Vor allem unsere Jugend muss in die Lage versetzt werden, sich innovativ und leistungsbereit am Fortgang des europäischen Einigungsprozesses zu beteiligen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die viel zitierte europäische Wertegemeinschaft aus einer Jahrhunderte alten Tradition humanistisch-demokratischer Denkansätze erwächst. Daran muss sich die Staatswerdung Europas orientieren, und daran muss sich auch der Umgang der beitrittswilligen Staaten mit ihren Minderheiten messen lassen.
Auf der Grundlage des am 21. April 1992 in Bukarest zwischen Deutschland und Rumänien geschlossenen Regierungsvertrages über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa erhoffen wir uns auch weiterhin Unterstützung bei der Stabilisierung der deutschen Minderheit in Rumänien, deren Überleben nach unserer Überzeugung nur durch einen gesicherten Minderheitenschutz und die Wiederherstellung ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen möglich sein dürfte. Nur so können wir gemeinsam an dem Versöhnungswerk teilnehmen, das uns in Europa aufgetragen ist.
4. Die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) ist nun 16 Jahre nach ihrer Gründung als selbständige Jugendorganisation der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland erfolgreich darum bemüht, ein Netzwerk der Partnerschaften mit allen siebenbürgisch-sächsischen Jugendorganisationen und Einrichtungen innerhalb der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen zu knüpfen und auszubauen. Unsere jungen Menschen wollen unser siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe, das Teil des deutschen und damit europäischen Kulturgutes ist, in allen Ländern, in denen Siebenbürger Sachsen leben, pflegen und lebendig erhalten. Den diesbezüglichen Aussagen unseres Bundespräsidenten Johannes Rau kann ich mich voll anschließen. In einer Ansprache anlässlich seines Rumänienbesuches im März dieses Jahres führte er aus: „Wir haben allen Grund, uns darüber zu freuen, weil es uns einen Weg aus einer bedrückenden Vergangenheit in eine hellere und bessere Zukunft aufzeigt und deutlich macht, dass die von den Alten gebauten Brücken zwischen Deutschland und Rumänien auch heute noch tragen.“
Ich gratuliere unserer siebenbürgisch-sächsischen Jugend dafür, dass sie eine Plakette in dem dritten Aussiedler-Integrationswettbewerb der Bundesregierung, der auf eine 1998 – 1999 von der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ergriffenen Wettbewerbs-Initiative zurückzuführen ist, errungen hat. Ich ermutige Sie, sich auch an dem Zuwanderungswettbewerb 2002, der vom Bundespräsidenten Johannes Rau ausgerufen worden ist, aktiv zu beteiligen.
Ich bin überzeugt, dass wir aus der Schaffenskraft und der Solidarität der Menschen, denen Deutschland zu einer liebens- und lebenswerten Heimat geworden ist, die notwendige Stärke gewinnen, um gemeinsam unsere Zukunft in einem Europa zu gestalten, das in Frieden und Freiheit zusammenwächst. Mögen die Veranstaltungen, Ausstellungen und Begegnungen dieses Heimattages uns und unseren Gästen und selbstverständlich den Bürgerinnen und Bürgern unserer Partnerstadt Dinkelsbühl auch weiterhin viel Freude und Ermutigung schenken.

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