15. Juni 2002

Heimattag der Öffnung hin zur Jugend

Einen „neuen Anspruch“ auf Tiefe hat die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) dem Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl verliehen. Hochkarätige Bundes- und Landespolitiker sicherten der Landsmannschaft Unterstützung beim Erhalt des kulturellen Erbes zu.
Knapp 10 000 Besucher, weniger als in den letzten Jahren, wurden laut Schätzungen der Dinkelsbühler Polizei vom 17. bis 20. Mai in der ehemals freien Reichsstadt Dinkelsbühl verzeichnet. Unter dem Motto "Mit der Jugend in die Zukunft" richtete die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) gemeinsam mit den bewährten organisatorischen Strukturen der Landsmannschaft, zum zweiten Mal nach 1993, ein reichhaltiges kulturelles Rahmenprogramm aus.
Pfarrer Johann Hallmen aus Schäßburg. Foto: Josef Balazs
Pfarrer Johann Hallmen aus Schäßburg. Foto: Josef Balazs


Das Motto regte zu ideenreichen Diskussionen über das Miteinander der Generationen, über Tradition und Fortschritt, Identität und Öffnung der Landsmannschaft an. Die jungen Leute stellten dabei unter Beweis, dass sie ihren Auftrag als Zukunftsträger der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft wahrnehmen und den höchsten Ansprüchen gerecht werden.
Den Pfingstgruß seitens der Heimatkirche überbrachte Pfarrer Johann Hallmen aus Schäßburg. Er rief die Siebenbürger auf, ihre Brücken zur Geschichte und zur alten Heimat nicht abzubrechen. Selten habe er ein Potential an Träumen wie in Dinkelsbühl erlebt. "Wenn viele gemeinsam träumen, ist dies der Beginn einer neuen Wirklichkeit."
Bundesvorsitzender Volker Dürr mahnte in seiner Festrede mehr Akzeptanz und Solidarität mit den Aussiedlern ein. Foto: Josef Balazs
Bundesvorsitzender Volker Dürr mahnte in seiner Festrede mehr Akzeptanz und Solidarität mit den Aussiedlern ein. Foto: Josef Balazs


Der von den Siebenbürger Sachsen seit über fünf Jahrzehnten geleistete Brückenschlag zwischen Ost und West könne "nur dann erfolgreich sein, wenn die Eingliederung von Aussiedlern weiter ausgebaut und langfristig gesichert ist", erklärte Volker E. Dürr, Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, auf der Kundgebung vor der Schranne am 19. Juni. Die bundesdeutsche Politik sei gefordert, ein Klima der Akzeptanz und Solidarität mit den Aussiedlern zu schaffen. Härten wie Familientrennung und Abschiebung seien dabei zu vermeiden und die 40-Prozent-Fremdrentenkürzungen zurückzunehmen. Vor allem unsere Jugend müsse in die Lage versetzt werden, "sich innovativ und leistungsbereit am Fortgang des europäischen Einigungsprozesses zu beteiligen". Bei der EU-Osterweiterung müssten sich die beitrittswilligen Staaten unter anderem an ihrem Umgang mit den Minderheiten messen lassen.
Bundesinnenminister Otto Schily zeigte Präsenz beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen, obwohl er kurzfristig abgesagt hatte. Foto: Josef Balazs
Bundesinnenminister Otto Schily zeigte Präsenz beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen, obwohl er kurzfristig abgesagt hatte. Foto: Josef Balazs


Bundesinnenminister Otto Schily würdigte in seiner Festrede die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen für ihre "großartige Integrations- und Aufbauleistung" in Deutschland, für ihre wichtige Brückenfunktion in den deutsch-rumänischen Beziehungen und sicherte ihr weitere Unterstützung seitens des Bundesinnenministeriums zu. Als anderswo blutige Religionskriege geführt wurden, hätten die Siebenbürger Sachsen mustergültige religiöse Toleranz und gegenseitigen Respekt praktiziert. Die Europäische Union werde "hoffentlich auch etwas von dem Geist der Toleranz der Siebenbürger Sachsen aufnehmen", erklärte Schily. Siebenbürgen hätte in bester europäischer Kulturtradition gezeigt, "wie unterschiedliche Kulturen in einem Staat friedlich und in wirtschaftlichem Wohlstand zusammenleben können". Der SPD-Politiker wurde kürzlich zum Ehrenbürger von Hermannstadt (Siebenbürgen) ernannt und will sich in einer gemeinsamen deutsch-rumänischen Initiative dafür einsetzen, dass die mittelalterlich geprägten Städte Dinkelsbühl und Hermannstadt zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt werden. Bei einem Besuch des St.-Georg-Münsters zeigte sich der Minister beeindruckt, wie behutsam Dinkelsbühl mit seiner Bausubstanz umgehe. Die mittelfränkische Stadt sei Vorbild für die künftige Sanierung von Alt-Hermannstadt.
Bayerns Sozialministerin Christa Stewens. Foto: Josef Balazs
Bayerns Sozialministerin Christa Stewens. Foto: Josef Balazs


Die Bayerische Staatsregierung werde sich auch in Zukunft "intensiv für die Belange der Siebenbürger Sachsen einsetzen", betonte Bayerns Sozialministerin Christa Stewens. Entscheidend für die Zukunft der Siebenbürger Sachsen sei es, "die Jugend der deutschen Minderheit in Siebenbürgen im Kern zu erhalten und die Bindungen der Jugend der Landsmannschaft zur siebenbürgischen Heimat zu verstärken". Die CSU-Politikerin kritisierte die Kürzungen der Bundesregierung im kulturellen Bereich, die die "fachliche Kulturarbeit und Arbeitsfähigkeit der Landsmannschaften an sich getroffen haben". Für die Opfer der Zwangsarbeit forderte die Ministerin "eine Geste der Anerkennung und Wiedergutmachung". Rund 70 000 Deutsche aus Rumänien waren im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert worden.

Der Kundgebung am Pfingstsonntag vorausgegangen war der traditionelle Festumzug durch die historische Altstadt von Dinkelsbühl, an dem sich, angeführt von der Bundesleitung der SJD und der Dinkelsbühler Knabenkapelle, 32 Brauchtumsgruppen und Blaskapellen mit rund 900 Trachtenträgern beteiligten. Besonders zahlreich waren Jung und Alt bei der Heimatortsgemeinschaft Großscheuern vertreten. Im Nürnberger Trachtenblock machten geschlossen die Darsteller des Brauchtumsstückes "Mensch, Kathi, schau nach vorn", zudem Alzner, Nadescher, Harbachtaler und viele mehr mit. Anlässlich ihres 50-jähriges Jubiläums war auch die Heimatgemeinschaft Heldsdorf besonders zahlreich vertreten. Eine starke Gruppe stellten Landler und Sachsen gemeinsam in der Neppendorfer Blaskapelle und der HOG Großau.

Tradition und zeitgemäße Lebensformen wurden in der Brauchtumsveranstaltung "Mensch, Kathi, schau nach vorn" von Doris Hutter ebenso thematisiert wie in der Festrede mit analytischem Tiefgang von Irmgard Sedler. Eine Beschränkung der Traditionspflege auf "Schwärmerei und Heimattümelei" sei gefährlich, betonte die Vorsitzende des Vereins Siebenbürgisches Museums. Daher müssten tradierte Lebensmuster immer wieder auf ihre "zeitgenössische Sinnmäßigkeit" überprüft und "neue Zugänge zum Alten" gesucht werden. Indem die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) in diesem Jahr nicht nur die Großveranstaltung in Dinkelsbühl organisatorisch verantworte, sondern sich im Spannungsfeld von Tradition und Zukunft auch selbst zum Thema vieler Veranstaltungen mache, verleihe sie dem Pfingsttreffen einen "neuen Anspruch auf Tiefe".
Unter dem Motto ‚Mit der Jugend in die Zukunft’ belebten viele junge Trachtenträger den Festumzug des diesjährigen Dinkelsbühler Pfingsttreffens. Foto: Josef Balazs
Unter dem Motto "Mit der Jugend in die Zukunft" belebten viele junge Trachtenträger den Festumzug des diesjährigen Dinkelsbühler Pfingsttreffens. Foto: Josef Balazs

Das Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und Evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD veranstaltete wie immer den Pfingstgottesdienst, dieses Mal mit Pfarrer Hans Gerhard Gross. Siebenbürgische Jugendliche in Tracht sprachen die Gebete und nahmen die Lesung vor; die Siebenbürgische Kantorei, die Chorgemeinschaft der Städtischen Musikschule Rottenburg und das Lehrerorchester der Städtischen Musikschule Rottenburg unter der Leitung von Ilse Maria Reich gestalteten den Gottesdienst musikalisch mit Auszügen aus der Gospelmesse von Rölf Gössler, die tags zuvor in der gleichen Besetzung zu Gehör gebracht worden war.

Wie stark die Vorstellungen der Siebenbürger über Kultur auseinandergehen, zeigte sich bei der exzellenten Aufführung der Gospelmesse. Während einige Zuhörer die St. Paulskirche vorzeitig verließen, feierten die meisten Zuschauer die Sänger und Interpreten mit stehendem Applaus. Unterschiedlich aufgenommen wurde auch die moderne Verarbeitung siebenbürgisch-sächsischer Volkslieder durch Manfred Seiler aus Mediasch (alias Dragon von Transylvania), der am Pfingstsonntag Konzerte vor der Schranne und im Festzelt bot. Die Organisatoren hatten dabei versucht, siebenbürgisch-sächsische Tradition mit jugendlichem Schwung und modernem Geist zu verbinden, Brücken zwischen Jung und Alt zu schlagen und zum Dialog zwischen den Generationen anzuregen, was ihnen sicherlich auch gelungen ist.

Das vielfältige kulturelle Rahmenprogramm, eine Lesung mit Karin Gündisch, Ausstellungen, Buchpräsentationen, das äußerst publikumswirksame Offene und Gemeinsame Tanzen der Jugend, dazu Ortstreffen von Landsleuten, Sport- und Tanzveranstaltungen bereicherten den Heimattag; sie werden zum Großteil in den gedruckten Ausgaben der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. und 30. Juni 2002 sowie in der Siebenbürgischen Zeitung-Online (siehe Übersicht der Artikel im Fotoalbum des Heimattages 2002) dokumentiert.

Der Pfingstsonntag klang am Abend wie üblich mit dem Fackelzug zur Gedenkstätte aus, wo Thorsten Schuller, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft und stellvertretender SJD-Bundesjugendleiter, eine bedenkenswerte Ansprache hielt. Abgeschlossen wurde das Heimattreffen am Pfingstmontag mit einer Podiumsdiskussion zum Motto des Heimattages.

Die ausgezeichnete organisatorische und kulturelle Leistung der SJD unter der Leitung von Rainer Lehni, deren reibungslose Zusammenarbeit mit dem Heimattagausschuss, dem Hilfskomitee und der Münchner Bundesgeschäftsstelle verdienen vollste Anerkennung.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 15. Juni 2002, Seite 1 und 6)

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