18. Juni 2002

Muttersprache als vornehmstes Werkzeug der Theaterarbeit

Zur Geschichte der deutschen Bühne in Hermannstadt in den Jahren des rumänischen Sozialismus (1956 bis 1989) referierte kürzlich der Schauspieler und langjährige Intendant Christian Maurer in Augsburg.
Als zu klein erwies sich der Gemeindesaal der Augsburger St. Andreas-Kirche beim letzten Vortrag der Saison in der Reihe Verständnis füreinander, die von der landsmannschaftlichen Kreisgruppe Augsburg schon seit etlichen Jahren mit Erfolg veranstaltet wird. Wilhelm Roth, ihr rühriger Initiator und Betreiber, hatte Christian Maurer eingeladen, den Schauspieler und langjährigen Intendanten der deutschen Abteilung der Hermannstädter Bühne. Maurer referierte sachlich, doch auch pointiert mit humoristischen Einlagen und viel Verve.
Begrüßt worden waren die zahlreich erschienenen ehemaligen Hermannstädter Theaterfreunde, viele von ihnen aus den benachbarten Kreisgruppen und von weiter angereist, von Hannelore Scheiber, der stellvertretenden Landesvorsitzenden in Bayern, die Christian Maurer und dessen Gattin, die Schauspielerin Rosemarie Müller, willkommen hieß. Danach lieferte Maurer, der heute in Obernzell bei Passau lebt, seine Einblicke in die Geschichte fünfundreißigjähriger deutscher Theaterarbeit nach Kriegsende in Hermannstadt.
Christian Maurer im Lustspiel
Christian Maurer im Lustspiel "Lenz und Liebe" von Mircea Stefanescu (Premiere: 29. November 1967) zusammen mit Rosemarie Müller, seiner Partnerin in vielen Stücken.

Bekanntlich schlug die Stunde der Wiedergeburt der deutschen Hermannstädter Bühne am 12. August 1956 mit der legendären Aufführung von Bertolt Brechts Mutter Courage und ihre Kinder im Garten des ehemaligen Ursulinenklosters. Der „standesamtliche“ Geburtstag ist allerdings am 1. November desselben Jahres: Durch den auf diesen Tag datierten Beschluss des rumänischen Ministerrats wurde das junge Schauspielerensemble als eigenständige Abteilung in das Hermannstädter rumänische Staatstheater integriert. Die erste Aufführung in dem gemeinsamen Theatersaal fand am 27. November 1956 statt.

Die eigentliche Geburtsstunde wiederum lag etwas davor, als nämlich schon im Februar 1956 während einer Beratung mit deutschen Kulturschaffenden beim damaligen Regionsparteikomitee die Gründung einer deutschen Berufsbühne für Siebenbürgen angeregt wurde, zunächst als deutsche Theatergruppe beim Hermannstädter Volksrat angesiedelt. Einige Schauspieler des ehemaligen Deutschen Landestheaters, das 1944 von den Kommunisten aufgelöst worden war, dazu junge, beherzte Leute aus nahezu allen Gesellschaftsschichten, zum Teil berufstätig und ohne jede schauspielerische Ausbildung, probten nach achtstündiger Dienstzeit noch vier bis fünf Stunden lang. Auch die Kostüme, alte Kleider einer Wallenstein-Aufführung, wurden im Selbsteinsatz geändert bzw. durch Klamotten von zu Hause ergänzt; die Hauptdarstellerin Ursula Armbruster hatte ihre 4-5 Kostüme selbst entworfen und genäht. Der Wagen der Mutter Courage stammte von einem Neppendorfer Landwirt. Die Plakate lieferte die Hermannstädter Druckerei kostenlos und für die Beleuchtung sorgte die echipa fulger (Einsatzgruppe) des Elektrizitätswerks. Die Dekoration fertigte Nikolaus Voik an, damals Dekorateur der HG Higiena, und die Vermessungen für die Freilichtbühne führte Arch. Otto Czikelius aus. Die Erdarbeiten verrichteten Enthusiasten im freiwilligen Einsatz.

Über die denkwürdige Aufführung an jenem gewittrigen Sommertag des 12. August im Klostergarten schrieb der bekannte Kunst- und Literaturhistoriker Harald Krasser in seiner Premierenbesprechung im Neuen Weg vom 17. August 1956 schrieb: „Die Geschichte des deutschen Theaters in Hermannstadt, dessen Tradition weit in frühere Jahrhunderte zurückreicht, wird den 12. August 1956 und die Aufführung auf der neu geschaffenen Freilichtbühne im Garten des Deutschen Mädchenlyzeums als eines ihrer gewichtigsten Ereignisse verzeichnen müssen: nach zwölfjähriger Unterbrechung tritt zum ersten Mal wieder eine hochwertige Leistung einheimischer Kräfte mit dem Anspruch auf, ein ständiges deutsches Theater in dieser alten Stadt ins Leben zu rufen. (...) Damit, daß das Hermannstädter Publikum, von der Aufführung gebannt, bei strömendem Regen, der schon nach einigen Bildern eingesetzt hatte, tapfer bis zum Ende aushielt, hat es ein dreifaches Bekenntnis ausgedrückt, zu Brecht, zum Schauspielerensemble, von dessen Darstellung es sich bis ins Innerste ergreifen ließ. (...) Und schließlich hat das Publikum mit diesem Ausharren im strömenden Regen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, wie sehr die Errichtung eines deutschen Theaters in Hermannstadt einer dringenden, von der ganzen deutschen Bevölkerung empfundenen Notwendigkeit entspricht.“

Die Hermannstädter Premiere war die erste Freilicht-Aufführung von Mutter Courage und ihre Kinder (1938 entstanden). Regie führte Hanns Schuschnig. Rund zwanzig weitere Kollegen der ersten Stunde, darunter die bereits erwähnte Ursula Armbruster, zählte Christian Maurer als „Chronist“ auf, wie er sich während seines Vortrags wiederholt selbst bezeichnete. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der deutschen Abteilung am Hermannstädter Staatstheater, wirkte daselbst 33 Jahre, davon 15 als Intendant.

Bis 1990 wurden von der deutschen Bühne in Hermannstadt rund 200 Erst- und Uraufführungen inszeniert. Die Liste der meist aufgeführten Autoren führt Goethe an mit acht Stücken, gefolgt von Lessing, Schiller und Brecht (je fünfmal), Shakespeare, Shaw, Dürrenmatt und Rudi Strahl (je dreimal), Gerhart Hauptmann und Peter Hacks (je zweimal). Fünfmal kommt auch Christian Maurer als Verfasser in dieser Statistik vor, darunter mit Das kalte Herz (1971, einer Bearbeitung des Hauff-Märchens, zusammen mit Kurt Conradt), sowie den erfolgreichen Lustspielen Ein spätes La Paloma oder die Katz hat ihn gefressen (1973, es ist das Jahr in dem Maurer den Debütpreis des rumänischen Schriftstellerverbandes erhielt) und Ein Ausflug auf dem Perser oder Stilleben mit Möhrensaft (1975). Großer Beliebtheit erfreuten sich beim sächsischen Publikum jener Jahre die Schlagerparaden und Unterhaltungsprogramme der Bühne wie etwa Sann angderm Renestärn (Sonne unterm Regenschirm), das sächsische Tänze (mit der Großscheuerner Tanzgruppe unter der Leitung des Lehrerehepaares Waltraud und Michael Guist) und Mundartgedichte sowie Lieder und Instrumentalmusik (Die Rosmareiner unter der Leitung von Walter Griebel) enthielt.
Insgesamt gab es drei bis acht Neuinszenierungen je Spielzeit, wobei die Hermannstädter Schauspieler weit über 6000 Mal vor rund 1,8 Millionen (!) Zuschauern auftraten. Davon entfielen etwa 30 Prozent der Aufführungen auf das eigene Haus und 70 Prozent auf über 250 bereiste Ortschaften - Mediasch hält mit über 200 Besuchen die Spitze, gefolgt von Kronstadt, Schäßburg, Agnetheln und Heltau. Von den ländlichen Gemeinden ist in dieser Statistik Kleinschelken mit mehr als 60 Vorführungen vertreten. Das am häufigsten aufgeführte Stück war Schillers Kabale und Liebe (267 Mal, vor 88 477 Theaterbesuchern). In der Reihenfolge der meist gespielten Stücke folgen die Märchenbearbeitung Das kalte Herz und Lessings Emilia Galotti.

Im Vergleich etwa mit dem binnendeutschen Theaterbetrieb drängt sich die Frage auf, wie es bei der relativ niedrigen Gesamtzahl der rumäniendeutschen Bevölkerung möglich war, derart hohe Besucherzahlen zu verzeichnen. Christian Maurer nannte als einen der Gründe: es sei die „Muttersprache“ gewesen, „das vornehmste Werkzeug unserer Arbeit“, man habe sich „als Träger und Pfleger der deutschen Kultur, der Völkerverständigung und Toleranz“ gesehen, „wie sie den Siebenbürger Sachsen eigen waren“.

Maurer bezeichnete seine ersten drei Jahre an der Hermannstädter Bühne als schwere Jahre und die letzten fünf als bittere Jahre. Dazwischen liege ein erfülltes viertel Jahrhundert. Nach 1983 verschärfte sich der politische Druck in Rumänien. Die staatlichen Förderungen wurden gestrichen, die Zensur zwar aufgehoben, aber diese Stelle wurde im zuständigen Kulturamt mit einem „Securisten“ (Geheimdienstler) besetzt. Hinzu kamen sogenannten Normen, nach denen der Spielplan aufgestellt werden musste, darin die „sozialistische revolutionäre Dramatik“ den Schwerpunkt zu bilden hatte. Die Folge: wachsender Zuschauerschwund und ein 1985 in ausländischen Medien kursierendes Gerücht vom Tod der deutschen Theaterabteilung in Hermannstadt. Letzteres traf zwar nicht zu, aber mehr und mehr gesellten sich Finanzprobleme zu Bus- und Treibstoffmangel, und auch das Fehlen von ausgebildetem Nachwuchs machte sich bemerkbar. Es waren die „bitteren Jahre“ von denen der Vortragende sprach.
Die Geschichte des deutschen Hermannstädter Theaters ist auch ein Stück siebenbürgische Geschichte, die für künftige Generationen in einer multikulturellen, globalisierten europäischen Gesellschaft erinnert werden soll. Heute wird siebenbürgische Geschichte vielfach inventarisiert. Christian Maurer, der die Arbeit der Hermannstädter deutschen Bühne in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts dokumentiert, leistet dazu seinen Beitrag.

Gerhard M. Bonfert



(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 15 Juni 2002, Seite 12)

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