29. Juni 2002

Mit der "Greencard" nach Siebenbürgen

Die Ausstellung „dan hier ist besser zu leben als in dem schwaben land. Vom deutschen Südwesten in das Banat und nach Siebenbürgen“ wurde anlässlich des 50. Landesjubiläums von Baden-Württemberg vom 3. Mai bis 29. Juni 2002 in der Stuttgarter Universitätsbibliothek gezeigt. Weitere Stationen der Wanderaussstellung sind Karlsruhe, Ulm, Sigmaringen und Lörrach sowie Rumänien.
Nicht erst in Zeiten der Globalisierung wirkt sich der Wandel in Wirtschaft, Verkehr und Kommunikation erheblich auf das Arbeitsleben der Menschen aus. Im Zuge der Industrialisierung und der beginnenden Massenproduktion im 19. Jahrhundert verloren auch in Südwestdeutschland viele Handwerker Arbeit und Verdienstmöglichkeiten. Kriege und Hungersnöte im 18. und 19. Jahrhundert taten ihr übriges, den Menschen ein Verbleiben in ihrer alten Heimat schwer zu machen. Allein die Hoffnung auf ein besseres Leben veranlasste Menschen, das Abenteuer eines Neuanfangs zu wagen. Viele Tischler, Schlosser, Uhrmacher und andere Handwerker, aber auch landlose Bauern wanderten daher in das Banat und nach Siebenbürgen aus. Die Befreiung der seit 1526 von den Osmanen besetzten Gebiete des historischen Ungarn durch die kaiserlichen Truppen, an der auch Carl Alexander von Württemberg beteiligt war, bildete eine wichtige Voraussetzung für die Wiederbesiedlung des stark zerstörten Gebietes.

"Cholera-Brief": Bereits im 16. Jahrhundert wurden Schriftstücke zur Verhinderung ansteckender Krankheiten mit Essig oder durch Räucherung desinfiziert.

Hier boten sich den Auswanderern reelle Aufstiegschancen. Andere wurden, vergleichbar den heutigen „Green-Card-Fachkräften“, mit verlockenden Angeboten und Versprechungen von Werbern angelockt. Mit der Auswanderung dieser Menschen war ein beträchtlicher Wissens- und Technologietransfer nach Südosteuropa verbunden.

Doch nicht alle Auswanderer schafften die Integration in die neue Umgebung. Der Sindelfinger Weber Johann Adam Schäfer und seine Ehefrau Maria Dorothea wanderten im Frühjahr 1847 mit ihren beiden Kindern nach Siebenbürgen aus. Bereits während der Reise verstarb ein Kind, ein weiteres in Siebenbürgen. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte Dorothea Schäfer im Herbst 1850 mit einem in Siebenbürgen geborenen, zwei Jahre alten Kind nach Sindelfingen zurück. Die „Heimatlose“ suchte mehrmals um die Wiederaufnahme in das württembergische Staats- und das Sindelfinger Gemeindebürgerrecht an. Mit zusätzlichen finanziellen Lasten konfrontiert, zeigte die Stadtgemeinde Sindelfingen wenig Verständnis für die Lage der Heimkehrerin und lehnte ihre Wiedereinführung in die Ortsbürgerrechte ab. Erst als die Rückkehrerin die Richtigkeit ihrer Aussagen aktenmäßig belegte, gab die Stadt Sindelfingen ihren Widerstand auf und unterstützte die Ansprüche der Heimkehrerin und ihres bald darauf verstorbenen Kindes auf öffentliche Fürsorge.

Diese und andere interessante Geschichten erzählt die beeindruckende Ausstellung „dan hier ist beser zu leben als in dem schwaben land. Vom deutschen Südwesten in das Banat und nach Siebenbürgen“, die anlässlich des 50-jährigen Landesjubiläums vom Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg konzipiert und erarbeitet worden ist. Die zweisprachige (deutsch-rumänische) Exposition beleuchtet die Auswanderung von Deutschen aus dem heutigen Baden-Württemberg in das damals habsburgische Banat und nach Siebenbürgen und zeichnet den kulturellen Beitrag vieler eingewanderter deutscher Familien und ihrer Nachkommen zum multikulturellen Charakter dieser heute zu Rumänien gehörenden Regionen Europas auf.
Interessierte Besuchergruppe vor einer Ausstellungsvitrine
Interessierte Besuchergruppe vor einer Ausstellungsvitrine

Der Ausstellungstitel „dan hier ist beser zu leben als in schwaben land“ zitiert einen Satz aus einem Brief, den am 18. Dezember 1785 ein Auswanderer namens Johann Michael Baldauf in Ungarn an seine Braut in Hörschwag auf der Schwäbischen Alb schrieb. So bilden denn auch Briefe, Erinnerungsberichte, Hausbücher, Sachzeugnisse von Auswanderern sowie zum Teil kuriose Ausstellungsstücke wie zum Beispiel ein Pestsarg oder ein Cholerabrief den Kern der Ausstellung.

Die Ausstellung wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Banater Museum in Temeswar und dem Stadtmuseum „Ioan Raica“ in Mühlbach/Siebenbürgen sowie mit Unterstützung zahlreicher deutscher Leihgeber gestaltet. Heribert Rech, Staatssekretär im baden-württembergischen Innenministerium und Landesbeauftragter für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, und der Staatssekretär im rumänischen Ministerium für Kultur und Kultus, Universitätsprofessor Dr. Ioan Opriș, lobten bei der feierlichen Eröffnung der Ausstellung Anfang Mai diese Zusammenarbeit im europäischen Geist.

Nach ihrer Erstpräsentation in der Universitätsbibliothek Stuttgart wird die Ausstellung am 11. Juli, 18.00 Uhr, im Haus der Wirtschaft in Karlsruhe (Karl-Friedrich-Straße 17) offiziell eröffnet, wo sie bis zum 23. August 2002 präsentiert wird. Anschließend ist die Auswanderer-Ausstellung in Ulm, Sigmaringen und Lörrach zu sehen, bevor sie 2003 auch in Rumänien gezeigt wird. Zur Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog erschienen (ISBN 3-00-009407-5).

Carsten Eichenberger


Weitere Infos im Haus der Heimat, Schlossstraße 92, 70176 Stuttgart, Telefon: (07 11) – 6 69 51 11, Fax: (07 11) – 6 69 51 49, E-Mail: Poststelle@hdhbw.bwl.de.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2002, Seite 6)

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