3. Dezember 2000

Siebenbürgen und Banat wählen nationalistisch

Der Altkommunist Ion Iliescu und der rechtsextreme Corneliu Vadim Tudor bestreiten am 10. Dezember die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt in Rumänien. Eine düstere Zukunft bescheinigen nicht nur ausländische Beobachter dem Land, sondern auch das Fußvolk hat alle Hoffnung auf ein besseres Leben vorerst aufgegeben.
"Wem werden sie ihre Stimme am 10. Dezember geben?" wurde die bekannte Klausenburger Dissidentin Doina Cornea von der nicht weniger bekannten ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag kurz nach dem Urnengang vom 26. November in Rumänien gefragt. "Es bleibt mir keine andere Option", antwortete die Frau, die einst auf der Abschussliste des Dikators Ceausescu stand und nun auf einer ähnlichen Liste des rechtsextremen Demagogen Corneliu Vadim Tudor geführt wird. "Ich werde Ion Iliescu wählen, obwohl ich immer schon gegen ihn gekämpft habe", resignierte Doina Cornea. Ähnlich sehen das mittlerweile auch andere frühere Dissidenten und Gegner der "Befreiungsfront" (Frontul Salvarii Nationale) von 1989 und möglicherweise auch das noch amtierende Staatsoberhaupt Emil Constantinescu, der bei den Präsidentschaftswahlen von 1996 erfolgreich gegen Iliescu angetreten war. Unter zwei Übeln entscheidet man sich eben für das geringere, heißt es landauf und landab in Rumänien vor dem 10. Dezember, wenn der Altkommunist Ion Iliescu und der nationalistische Corneliu Vadim Tudor die Stichwahl um das höchste Staatsamt bestreiten.
Rund 60 Prozent der rumänischen Wähler schenkten am 26. November Iliescu und Tudor samt ihren Parteien - der Partei der Sozialen Demokratie Rumäniens (PDSR) und der Großrumänien-Partei (PMR) - das Vertrauen und wollten offenbar die Altkommunisten und Nationalisten in die Verantwortung für ihr Land nehmen. An den Rand des politischen Spektrums wurde hingegen die Demokratischen Konvention CDR 2000 gedrückt, eine geschrumpfte Neuauflage der Siegerkonvention von 1996 unter Führung der Christlich-Demokratische Bauernpartei (PNTCD). Die "Zaranisten" schafften im Bündnis mit der Union der Rechtskräfte (UFD) und den Ökologen (MER) nicht einmal die Sperrklausel fürs Parlament, geschweige denn die erhoffte Stichwahl mit dem unabhängigen Mugur Isarescu, den sie im Kampf um das Präsidialamt unterstützt hatten. Der derzeitige Noch-Premier musste mit weniger als 10 Prozent der Stimmen sang- und klanglos die Segel streichen. Ein ähnliches Schicksal ereilte Teodor Melescanu und seine Allianz für Rumänien (ApR). Die aus der PDSR hervorgegangene Partei erreichte vier Prozent und verfehlte gleichfalls den Einzug ins Parlament. Präsidentschaftskandidat Melescanu erhielt geradezu erbärmliche 1,91 Prozent der Wählerstimmen.
Gut abgeschnitten haben die einstigen Koalitionspartner der PNTCD: die Demokratische Partei PD von Petre Roman und die Nationalliberale Partei PNL schafften mit jeweils über 7 Prozent den Sprung ins Parlament. Während der liberale Präsidentschaftskandidat Theodor Stolojan mit 11,7 Prozent ein hinnehmbares Ergebnis erzielte, musste Petre Roman jedoch mit knapp 3 Prozent tüchtig Federn lassen. Der frühere Außenminister gilt längst nicht mehr als Lokomotive seiner Partei, sondern hinkt ihr gewaltig hinterher.
Dafür aber haben Iliescu und Tudor tüchtig abgesahnt. Der PDSR-Leader wähnt sich nach den 36,35 Prozent der Stimmen beim ersten Urnengang schon jetzt in dem Amt, das er von 1990 und bis 1996 bereits zweimal bekleidet hatte. Indes hat auch der Führer der rechtsextremen Großrumänienpartei (PRM) dieses Ziel nicht aufgegeben, denn gute 28 Prozent der Wähler standen am 26. November noch hinter ihm. Kurios: In Siebenbürgen und im Banat, einst die Hochburgen der Demokratischen Konvention (CDR), hat der Rechtsextremist Corneliu Vadim Tudor fast durchwegs seinen Kontrahenten Iliescu ausgebootet. Und noch kurioser: In diesen Regionen ist der Mann, der erklärtermaßen "mit dem Maschinengewehr regieren" will, während des Wahlkampfs niemals direkt aufgetreten. Trotzdem sahen beim ersten Urnengang die Mehrheit der Wähler der Kreise Kronstadt, Bistritz, Hermannstadt, Alba, Klausenburg, Arad und Temeswar neben weiteren vier innerhalb des Karpatenbogens in Corneliu Vadim Tudor den neuen Landesvater. Ion Iliescu hingegen beherrscht traditionsgemäß sämtliche 24 Bezirke jenseits der Karpaten mit Ausnahme des Vadim-Kreises Tulcea, dafür aber noch den Kreis Hunedoara. Bloß in den Kreisen Sathmar, Muresch, Harghita und Covasna wurde György Frunda vom Ungarnverband (UDMR) gewählt. Landesweit erzielte Frunda 6,2 Prozent der Stimmen und verdrängte damit einen Roman oder Melescanu von Platz drei.
Allein verdrängen kann man nach diesem Schock die Schande nicht, denn: Die Zukunft Rumäniens liegt nun wieder in der Hand der ewig Gestrigen. Sowohl Iliescu als auch Vadim haben schließlich ein und dem selben Generalsekretär der Rumänischen Kommunistischen Partei redlich gedient und bis zum Umbruch 1989 die Fahne des Kommunismus und seines Repressionsapparats hochgehalten. Zwar stehen auf ihrem Banner heute nicht mehr Hammer und Sichel, aber in die alte Kerbe hauten sinngemäß dann doch ihre Wahlslogans, hier frei ins Deutsche übersetzt: "Nahe dem Volk und zusammen mit ihm" (Iliescu) oder "Mafioten an die Wand, hoch das Vaterland" (Tudor).
Allerdings wimmelt es in Rumänien nicht so sehr an Alt-Kommunisten und Alt-Securisten, vielmehr mangelt es an engagierten Demokraten. Das Klagelied, das die Demokraten der abgewählten Regierung nun anstimmen, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Ihre Chance von 1996 haben sie letztendlich sukzessive in nur vier Jahren vertan, wie sie damit die Linken und Extremisten kontinuierlich dem Sieg näher brachten. Vergeblich daher versuchen nicht nur sie in groß angelegten TV-Sendungen und Presseerklärungen Corneliu Vadim Tudor nun an den Pranger zu stellen und dem Wählervolk zu zeigen, wer dieser Mann einmal war und immer noch ist. Der Effekt ihrer Kampagne kann durchaus ins Gegenteil umschlagen, hat sich doch Vadims "Sendungsbewusstsein" fast schon unerschütterbar über seine eigene Fernsehwahlkampagne ähnlich der rumänischen Fernsehrevolution von 1989 tief ins Bewusstsein jener geprägt, die sich von Mafioten und Armut umgeben fühlen. Es sind dies nicht wenige in Rumänien. Sogar auffallend viele Jugendliche, so die letzten Wahlanalysen, haben für den "Tribun Tudor" und seine versprochene öffentliche Exekution von 180 so genannten "Volksfeinden" - darunter auch Doina Cornea - gestimmt, viele einstige Wähler von Constantinescu reihten sich gleichfalls hier ein.
Nur umgestimmt hat auch das die verbliebene Restopposition im Lande offenbar immer noch nicht. PNL, PD und UDMR mit insgesamt 20 Prozent der Stimmen mahnen zwar endlich ihre Wähler, am 10. Dezember geschlossen gegen Vadim Tudor anzutreten, doch was danach folgen soll, das überlassen sie eher den Göttern. Denn nur die allein wissen, warum eine große Regierungskoalition der PDSR (37 Prozent der Stimmen) mit der PD, PNL und UDMR bereits auf Anhieb ausgeschlossen wurde, wo die PRM (über 20 Prozent der Stimmen) theoretisch mit den anderen drei Parteien die angestrebte Minderheitsregierung der PDSR dauernd zu Fall bringen könnte - trotz möglicher Opportunisten in der Opposition und trotz der Minderheitenfraktion, die mit ihren 16 Stimmen erfahrungsgemäß meist auf der Seite der jeweiligen Regierung steht.
PDSR-Vize Adrian Nastase wird als Premier einer Minderheitsregierung gehandelt. Ob er sich über den ersten Schneefall mit Frosteinbruch hinaus halten wird, bleibt abzuwarten. Aushandeln wollen er und sein Chef Iliescu mit der demokratischen Opposition ein Memorandum, wonach Misstrauensanträge zumindest für ein Jahr im Parlament ausgeschlossen werden sollen. Bedingungslos setzen PNL, PD und UDMR ihre Unterschrift unter diesen polititsch-sozialen Pakt nicht, vielmehr fordern sie als rechtskräftige Opposition von der PDSR-Minderheitsregierung die Lösung von Problemen, die sie als Mitglieder der bisherigen Regierungskoalition übrigens selber nicht haben lösen können: Europäische Integration des Landes, Privatisierung der einst sozialistischen Großunternehmen, Gründung einer ungarischen Staatsuniversität, Novellierung des Häuserrückgabegesetzes, Herabsetzung der Inflation auf unter 25 Prozent u.a.m. sind nur einige der 21 Forderungen der PNL.
Vor diesem Hintergrund werden die Wähler am 10. Dezember nochmals zu den Urnen gerufen, und vor alter Kulisse wird über die Zukunft Rumäniens von den neuen und dennoch alten Hauptakteuren entschieden. Eine düstere Zukunft bescheinigen deshalb nicht nur ausländische Beobachter dem Land, auch das Fußvolk hat mittlerweile alle Hoffnung auf ein besseres Leben vorerst aufgegeben.

Martin Ohnweiler

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