14. Juli 2002

Deutsche Reisende in Rumänien

Rezension der Neuerscheinung Axel Barner (Herausgeber): „Opitz - Moltke – Tucholsky - Enzensberger. Deutsche Reisen nach Rumänien“, Verlag der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ), Bukarest 2001, 95 Seiten
Der Herausgeber, Axel Barner, stellt in einer kurzen, doch für das Verständnis des Buches wichtigen "Nachbemerkung" die Autoren und Inhalte der vier vorliegenden Reiseberichte aus drei Jahrhunderten als Beiträge zu einer "historischen Landeskunde Rumäniens" vor.
Neuerscheinung des ADZ-Verlags: Opitz - Moltke – Tucholsky – Enzensberger. Foto ADZ
Neuerscheinung des ADZ-Verlags: Opitz - Moltke – Tucholsky – Enzensberger.

Die "Nachbemerkung" beginnt leicht ironisch mit den Worten: "Goethe hat nicht über Rumänien geschrieben". Doch, fährt Barner fort, „eine nicht abreißende Reihe deutscher Autoren setzt sich seit dem Mittelalter und bis zur Gegenwart in ihren Texten immer wieder mit dem fernen Land im Südosten auseinander“. Die literarisch-historischen Schriften vermitteln aus unterschiedlichen narrativen Perspektiven aufschlussreiche Einblicke in das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben Rumäniens verschiedener Zeitabschnitte. Die vier von Barner ausgewählten Verfasser unterscheiden sich beträchtlich in Charakter und literarischem Temperament und entstammen aus unterschiedlichen historischen Epochen. Der Barockdichter Martin Opitz dichtet seine Reisebeschreibung in Versen und lässt eine Schäferdichtung entstehen; der preußische Offizier und spätere Feldmarschall Helmuth von Moltke beschreibt Oltenien und Bukarest realistisch im Stile der klassischen Studienreiseberichte des 19. Jahrhunderts; Tucholskys Briefe aus Oltenien an Mary Gerold sind kritisch-satirisch-pazifistische Momente aus dem ersten Weltkrieg; Enzensbergers Text wiederum ist ein "Politfiction", da er das Bukarest nach der Wende noch vor dem politischen Umsturz von 1989 und seinem Besuch in Rumänien schildern. Zu allen Kapiteln gehören ergänzende Anmerkungen und Literaturhinweise am Ende des Buches.

Martin Opitz (1597-1639) weilte auf Einladung des Fürsten Bethlen 1622-1623 in Weißenburg, wo er an dem zwei Jahre zuvor gegründeten Kollegium unterrichtete. Es wurde ihm schwer, sich den bescheidenen Lebens- und Arbeitsbedingungen anzupassen, und er verließ enttäuscht Siebenbürgen nach nur einem Jahr. In dieser Zeit entfaltete er allerdings eine reiche schöpferische Tätigkeit, sammelte römische Inschriften und zeichnete sie in der "Dacia Antiquia" auf - ein Werk das leider nicht publiziert wurde und verloren ging. In seiner Freizeit besuchte er Zlatna mit seinem berühmten Goldbergwerk, wo er mit dem gebildeten, deutsch sprechenden Verwalter Heinrich Lissabon verkehrte. Für Opitz bedeutete die Latinität der rumänischen Bevölkerung eine überraschende Entdeckung : "So nah sind verwandt Walachisch und Latein. Es steckt manch edles Blut in kleinen Bawrenhütten...? " dichtet er in seinem Poem "Zlatna". Und nach diesen Versen beschreibt er den Volkstanz der rumänischen Bauern, die Hora - es ist die erste literarische Darstellung des rumänischen Nationaltanzes. "Zlatna" ist eine der ersten Schäferdichtungen in deutscher Sprache, die dem Landleben und dem Lob des einfachen Lebens gewidmet ist. Nachdem Opitz Siebenbürgen verlassen hatte, führte er ein rastloses Leben zwischen den Fronten des Dreißigjährigen Krieges. Er starb am 20. August 1639 in Danzig an der Pest.

1835 reiste der junge Generalstabsoffizier Helmuth von Moltke (1800-1892) von Berlin nach Konstantinopel, wo er als Militärberater die Armee des Sultans reformieren sollte. Während seines dreieinhalbjährigen Dienstes in der Türkei, wo er sich vor allem mit der Anfertigung topographischer Karten beschäftigte, lernte er Länder und Orte kennen, die in der Geschichte und Mythologie der Antike eine Rolle gespielt hatten. Die "Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835-1839" erschienen 1841 und waren als Erinnerungsblätter für seine Familie und Freunde gedacht. Stationen auf dem Gebiet des heutigen Rumänien auf der Reise in die Türkei waren u.a. Adakale, Orschowa, Craiova, Bukarest („Mit der Wegbarkeit sieht es in diesem Land noch schlecht aus“). Die relativ ausführliche "Zeitaufnahme" von Bukarest ist besonderes interessant. Moltke schildert vor allem den Widerspruch zwischen Rückständigkeit und Fortschritt in dieser Stadt zwischen Okzident und Orient. "In Bukarest erblickt man die elendsten Hütten neben Palästen im neuesten Stil und alten Kirchen von byzantinischer Bauart; die bitterste Armut zeigt sich neben dem üppigsten Luxus, und Asien und Europa scheinen sich in dieser Stadt zu berühren". Zu gleicher Zeit reiste übrigens der Bojar Dinicu Golescu durch Deutschland und publizierte später seine Beobachtungen und Erinnerungen – aus entgegengesetzter Perspektive.

Kurt Tucholsky (1890-1935) war 1918 in Oltenien. Er weilte während des ersten Weltkrieges kurze Zeit im besetzten Rumänien als Militärpolizist. Von Turnu Severin und Calafat schrieb er über 100 Privatbriefe an Mary Gerold, seine spätere zweite Ehefrau, Briefe, die nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren und auch von der Literaturkritik weitgehend unbeachtet blieben. Tucholskys Art, sich ironisch, spöttisch und polemisch, gar hämisch und herablassend zu äußern, mögen ein Grund dafür sein. Der Satz "Soldaten sind Mörder“ in einem Artikel der "Weltbühne" (1931) ist bis heute berühmt-berüchtigt. Bemerkungen in seinen Briefen bezeugen, dass sich Tucholsky in Rumänien durchaus wohl gefühlt hat. Er lobt nicht nur die landschaftlichen Schönheiten, sondern findet auch Worte des Spottes über Land und Leute. Allerdings - sagt Barner - sei seine liebevolle, aber auch herablassende Ironie, mit der er seine Umwelt betrachtet, mit viel Sympathie für die Menschen verbunden. Er schreibt auch über Korruption und Kokotten, Landparteien und lokale Größen, über Essen und Trinken, über Balkan und Bukarest - als Stadt voller Gegensätze und Widersprüchlichkeit - geographisch und mental. Tucholsky war eine zerrissene, mit sich selbst im Widerspruch befindliche Persönlichkeit. Vereinsamt schied er 1933 in Schweden aus dem Leben.

Hans Magnus Enzensberger, geboren 1929, kannte Rumänien noch nicht, als er im Orwell-Jahr 1984 einen Text über dieses Land niederschrieb. Barner charakterisiert ihn als einen der widersprüchlichsten, rätselhaftesten deutschen Intellektuellen der Gegenwart, wofür auch die vielen Standorte seines Lebens - Italien, USA, Norwegen, Kuba u.a. - stehen. Sein "Bukarest" ist ein fiktiver Ort. Doch interessanterweise wurde seine Vision zumindest teilweise Realität, als sich Enzensberger im März 1990, nach der Wende, zum erstenmal in Rumänien aufhielt. Sechs Jahre vor dem Ende des Kommunismus hatte Enzensberger dessen Verfall vorausgeahnt und zutreffend schon vieles beschrieben, was erst in der postkommunistischen Zeit Wirklichkeit werden sollte. In seinem Text ironisiert er die Klischees vom Balkan und versucht damit die Vielfalt des europäischen Kontinents der Amerikanisierung der Welt entgegenzustellen.

Axel Barners kleine Anthologie liest sich interessant und mit Gewinn. Sie könnte gegebenenfalls bei einer Neuauflage erweitert werden. Hans Carossas "Rumänisches Tagebuch" (1924), "Gast in Siebenbürgen" (1936) von Helene Voigt-Diderichs oder "Mein Penatenwinkel" (1908) und „Briefe“ (1916, 1920) von Carmen Sylva u.a. würden zusätzlichen Stoff zu diesem interessanten Thema liefern.

Walter Roth


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2002, Seite 12)

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