8. August 2002

Geschichten rund um den Handball in Siebenbürgen (XIII)

Angriff der Schweden auf das Schelenz-Spiel / Mit der Abschaffung des Mittelfelds ist die Idee, Fußball mit der Hand zu spielen, durchkreuzt / Wilhelm Zacharias behauptet sich auch in Österreich
Die Jahre nach den Olympischen Spielen bringen Wilhelm Zacharias ein paar schöne Erfolge ein. Und mit dem Krieg sieht es fast so aus, als ob seine Sportkarriere zu Ende wäre. Trotz der Winterspiele bleibt Zacharias in erster Linie Handballer. Heute erinnert er sich noch an das Städtespiel gegen Lemberg, das die Hermannstädter klar gewinnen. Das Länderspiel gegen Polen verlieren sie aber, weil wichtige Spieler in der ersten Begegnung verletzt worden sind. Das Revanche-Länderspiel in Bukarest gewinnt die rumänische Mannschaft mit deutlichem Vorsprung. Eine zweite prächtige Leistung erbringt der Hermannstädter Turnverein nach den Olympischen Spielen gegen die deutsche Olympia-Reservemannschaft unter ihrem Trainer Kaudinia. Der HTV bringt das deutsche Team in arge Bedrängnis.
Wilhelm Zacharias
Wilhelm Zacharias

Über Wilhelm Kirschner weiß Zacharias zu berichten, dass er nicht nur ein hervorragender Handballer war, sondern auch ein ausgezeichneter 100-Meter-Läufer, der die Strecke in weniger als 11 Sekunden schaffte. Kirschner durfte deswegen zweimal an den Balkan-Meisterschaften teilnehmen.

Die Sonderrolle, die der Hermannstädter Turnverein bis 1939 spielt, erklärt sich aus der Tatsache, so Zacharias, dass sich in Hermannstadt besonders begabte Spieler zusammengefunden haben, die in sportlicher Kameradschaft verbunden, ehrgeizig und einsatzwillig sind. „Sichtbares Ergebnis war, dass wir Landesmeister wurden und für Länderspiele immer sieben bis acht Spieler abstellen mussten.“

Jeder Wettkämpfer und jede Mannschaft muss die Erfahrung machen, dass an manchen Tagen alles gelingt und an anderen wieder alles schief läuft, sagt Zacharias. Der Skifahrer weiß außerdem, dass nur der eine Gewinnchance hat, der alles riskiert. Zacharias ist es nicht anders ergangen. Beim Abfahrtslauf in Garmisch-Partenkirchen kommt er von der Piste ab, die damals noch ohne Maschine von Hunderten von Helfern in den meterhohen Neuschnee getreten wurde, erstickt fast im Tiefschnee und wird zusätzlich vom herabfallenden Schnee zugedeckt. So kommt es, dass Horst Scheser aus Kronstadt 24. und Zacharias 27. werden. Weil sie unter den ersten 30 sind, dürfen sie im Slalom-Wettbewerb starten. Im zweiten Durchgang riskiert Zacharias alles. Doch er fädelt ein und scheidet aus.

Bei den Landesmeisterschaften 1938 dagegen gelingt ihm Unglaubliches: Trotz Nebels und Schneesturms im schweren oberen Teil findet er am steilen Hang bei sehr schlechter Sicht die beiden Pflichttore, obwohl er mit vollem Risiko fährt. Die anderen, die mit großer Vorsicht fahren, verlieren Zeit, so dass Zacharias mit einer halben Minute Vorsprung Sieger wird. Einen gleichen Vorsprung fährt er im Slalom heraus, weil er auch diesmal alles auf eine Karte setzt. Damit schafft er die Voraussetzungen für seine Auszeichnung mit dem Kulturorden zweiter Klasse.

„Dem Großfeldhandball trauere ich noch immer nach, weil er durch seine Anforderungen an Laufen, Sprinten, Werfen und Ausdauer ein ausgezeichnetes Konditionstraining für die Leichtathletik war. Als uns die Schweden vorführten, dass die Läufer nicht mehr bloß Verteidiger zu sein hatten, sondern sich in den Angriff einzuschalten hatten“, so Zacharias weiter, „war der Handball nicht mehr so schön.“ Jetzt ist die Zeit des Sperrens und Blockens an der Wurflinie angebrochen. Das Mittelfeld ist überflüssig geworden. Und Schelenz’ Idee, Fußball mit der Hand zu spielen, ist durchkreuzt. „Der eigentliche Charakter des Schelenz-Handballspiels ist damit geändert“, sagt Zacharias. Das Sperren hat zur Folge, dass der schöne Handball zu einem Spiel der Frei- und Strafwürfe geworden ist.

1940, Zacharias ist 26 Jahre alt, verändert sich sein Leben grundlegend. Er übernimmt die Leitung der familieneigenen Lederfabrik, heiratet und wird leidenschaftlicher Karpaten-Jäger. „Durch Einberufungen zum Militärdienst, Kriegsbeginn und Ausfall der Olympischen Spiele in Japan wurden wir aller sportlichen Ziele beraubt und mit anderen Aufgaben konfrontiert", sagt Zacharias.

Besiegt, von der enteigneten Familie getrennt und hungrig landet er nach dem Krieg 1946 auf Umwegen in Klagenfurt. Doch der Zufall hilft ihm weiter. Er trifft Handballer, gegen die er als rumänischer Nationalspieler seinerzeit angetreten ist und die erlebt haben, wie viel Spielstärke er und seine Kollegen durch die Schelenz-Schulung gewonnen hatten. Weil Zacharias auch einen von Schelenz geleiteten Lehrgang für Handballtrainer an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin absolviert hat, bitten die Handballer ihn, das Training des Klagenfurter Athletik-Clubs (KAC) zu übernehmen. Zacharias willigt ein.

Und wieder hilft ihm der Zufall weiter: An einem Sonntag fällt der KAC-Mittelstürmer aus, und Zacharias lässt sich überreden, an dessen Stelle zu spielen. Es gelingt ihm auf Anhieb alles, er schießt die meisten Tore. Und nun muss er immer mitspielen und wird sogar in die Kärntner Auswahl berufen. Zu den vier Mannschaften, die sich für die österreichische Staatsmeisterschaft durchsetzen, zählt auch die des Klagenfurter Athletik-Clubs. Zacharias und seine Mannschaft gewinnen das Spiel gegen das steirische Team, verlieren aber gegen die Linzer, für die auch ein Siebenbürger Sachse stürmt, der, soweit sich Zacharias erinnert, Wolf heißt. Zacharias wird schließlich von seinen Kameraden als bester Freiwurfschütze angesehen.

1949 wechselt er aus beruflichen Gründen den Wohnsitz und beendet seine Karriere als Handballer. Im Solbad Hall in Tirol angekommen, erinnert er sich, dass er als 16-Jähriger bei einem Tennisturnier der Gymnasien in Hermannstadt gegen Kronstadt das Doppel zusammen mit Gustav Koch, aber auch das Einzel gewonnen hat und ein Jahr später Hansi Eder aus Kronstadt unterlegen ist. Danach vernachlässigt er das Tennisspiel, weil er nicht zu viele Sportarten nebeneinander betreiben kann. Der Haller Tennisklub gehört nicht zu den Spitzenvereinen, „vereinigt aber in seinen Reihen prächtige, liebenswerte Menschen“ und ermöglicht es Zacharias, Tirol kennen zu lernen. Denn Sonntag für Sonntag ist die Mannschaft in einer anderen Stadt, um Spiele auszutragen. Bald ist Zacharias Ranglistenerster und muss gegen die besten Spieler der Umgebung antreten, was nicht nur Siege, sondern auch Niederlagen einbringt. Doch etwas überwiegt: „Jeder Spieltag endet mit einem fröhlichen Beisammensein“.

1950 darf seine Frau mit den beiden Söhnen, damals sieben und neun Jahre alt, und mit 20 Kilogramm Gepäck Rumänien verlassen. Die vereinte Familie lässt sich 1953 in Backnang bei Stuttgart nieder. Hier müssen die Spieler den einzigen vorhandenen Tennisplatz vor dem ersten Ballwechsel selbst herrichten. In den beiden folgenden Jahren entstehen am Stadtrand zwei weitere neue Plätze. Wie vorher in Tirol, gewinnt Zacharias mehrmals die Vereinsmeisterschaften im Einzel, im Doppel und im gemischten Doppel.

Das Umziehen findet 1957 sein Ende, als Zacharias technischer Direktor einer neuen Oberlederfabrik auf der griechischen Insel Lesbos wird. Außer den Sportmöglichkeiten genießt er zusammen mit seinen Söhnen das Schwimmen und Fischen im Mittelmeer. Mit Taucherbrille und Flossen gehen sie auf Fischfang und harpunieren bis zu 15 Kilogramm schwere Wrackbarsche, heben jedoch auch manche Amphore und anderes Strandgut.

Heute lebt Zacharias in Graz: „Ein gütiges Schicksal erlaubt es mir auch jetzt noch, mit mehr als 87 Jahren, einmal in der Woche lange Strecken zu schwimmen und an Sonntagen zusammen mit einem anderthalb Jahre älteren Siebenbürger Sachsen mehrstündige Bergwanderungen in der grünen Steiermark, in der näheren und weiteren Umgebung von Graz zu unternehmen“, so Zacharias.

Johann Steiner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 15. Juni 2002, Seite 19)

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