18. August 2002

Von "Pupesz", "Pali" und "Palukes"

Was ist und was will das "Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch", das mit dem vor kurzem erschienenen achten Band, N-P, in seiner mühsamen, auf keinen Geringeren als Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zurückgehenden Geschichte eine neue Etappe beendete? Es ist das beachtliche Unternehmen, das gesamte Wortgut der siebenbürgisch-sächsischen Mundart von A bis Z aufzuzeichnen, und es will - so im Klappentext - "den Sprachschatz der Siebenbürger Sachsen von lautlichem, grammatikalischem und bedeutungsmäßigem Standpunkt aus nach wissenschaftlichen Grundsätzen bearbeitet wiedergeben."
Das kann im konkreten Einzelfall - hier das Stichwort "Pantalon" - auf Seite 238, Spalte links, des achten Bandes, zum Beispiel so aussehen:


Für das Verständnis der vielen Kürzel in diesen paar Zeilen ist nach dem "Vorwort" von Sigrid Haldenwang (Hermannstadt, im September 2001), nach den "Hinweisen" zur Benutzung des Nachschlagewerks und nach Informationen "Zur Lautschrift" eine rund fünfseitige Liste der "Abkürzungen" beigefügt. Über nicht weniger als vierzig Seiten erstrecken sich die drei Tabellen der "Ortsnamenverzeichnisse": deutsch-rumänisch-ungarisch, rumänisch-deutsch-ungarisch, ungarisch-deutsch-rumänisch. Dabei sind jeweils 243 siebenbürgische Ortsnamen aufgeführt - von Abtsdorf (Apos, Szaszapatfalva) bis Zuckmantel (Tigmandru, Cikmántor). 240 der Ortschaften sind im Anhang des Bandes auf der "Grundkarte zum Siebenbürgisch-Sächischen Wörterbuch" unter Nummern zu finden; die Nummerierung entspricht dem Nord-Südgefälle, das heißt die nördlichste der ehemals deutschen Orte Siebenbürgens trägt die Nummer 1 - Tschippendorf (Cepari, Csepan) -, die südlichste die Nummer 240 - Rosenau (Râsnov, Barca-Rosznyo).

Mehrere Generationen vor allem siebenbürgisch-sächsischer Sprachwissenschaftler, Mundartenforscher und Ethnologen sind am Zustandekommen der acht Bände beteiligt. Schon allein die Summe der hierin investierten, oft freiwilligen, allein von wissenschaftlichem - und auch nationalem - Enthusiasmus vorangetriebenen Arbeit mit Erfolgen, Rückschlägen, Unterbrechungen und Neuanfängen verdient ein eigenes, ausführliches Kapitel der Würdigung. Wer sich vor Augen hält, dass die beiden Eröffnungsbände, A-C und D-F, in der Zeitspanne 1924-1926 erschienen, dann, in der vormaligen Zählfolge, 1931 Band fünf bis Buchstabe S(al) veröffentlicht wurde, es aber erst nach mehr als vierzigjähriger Unterbrechung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre zur Auflage weiterer Bände kam, Band L jedoch danach bis 1993 und Band M bis 1998 warten mussten, wird sich der Auswirkungen der politischen Geschichte mit deren Einschnitten und Umbrüchen auf die wissenschaftliche Arbeit bewusst.

Dass nicht ausschließlich Siebenbürger Sachsen an dem großen Vorhaben beteiligt sind, lässt sich schon in Frau Haldenwangs Vorwort nachlesen. Allein an der Erstellung des Bandes N-P waren Professoren deutscher Universitäten wie Bonn, Bochum, Kiel, Leipzig, Mainz - zum Teil einer schönen Tradition entsprechend - u.a. beteiligt. Und dass sich renommierte Stiftungen wie die der Volkswagen-Werke der finanziellen Förderung der Arbeit und Publizierung annahmen, verdient ebenso Dank und Erwähnung. Mit dem Band N-P ist jedoch gerade erst die Hälfte des Alphabets erreicht. Um die Erarbeitung der weiteren Bände kann einem mit Fug und Recht Bange werden. Denn "das 'Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch' dokumentiert eine im Untergang begriffene Mundart". Dass diese über fast ein Jahrtausend hinweg Spracheigenheiten, mehr noch Sprachmerkmale bewahrte, die aus den Mundarten des deutschen Sprachraums, erst recht aus dem Hochdeutschen verschwanden, macht sie zum Träger einer einmaligen Kulturaussage. Ihr Erlöschen ist eine Frage immer schneller ablaufender Zeit. Ob die Sprachaufzeichner für den Buchstaben Z noch Menschen finden, die des Siebenbürgisch-Sächsischen mächtig sind?

So sehr Sprachforscher ihre Freude am Band acht des "Wörterbuches" haben werden, so wenig steht es außer Frage, dass solches durchaus auch dem Laien widerfährt. Denn was zwischen den Stichwörtern "na" ("na wat daud ir?", "na beried ir ich?" etc.) und "Pyramide ("de Piramit" etc.) zu lesen und zu entdecken ist, beläuft sich nicht lediglich auf wissenschaftliche Inventarisierung und Aufschlüsselung. Es bietet auch dem mundartkundigen Laien als Lesestoff Geschichte und Geschichten in Fülle. Darunter Köstlichkeiten, die mit der Mundart untergehen. Wenn z.B. bei "Putsen(ge)tier, putsegedär", zu erfahren ist, dass es sich um den mundartlichen Namen des Regenwurms handelt, so ist dem auch des Rumänischen mächtigen Leser sogleich eine Kostprobe humoristischer Sprachhandhabung serviert, zu der es nur in Siebenbürgen kommen konnte. Und was auf fast zweieinhalb Buchspalten alles über den "Pupesz" mit dem Plural "piepeszker" ausgebreitet wird, bietet sich auch als Lektüre unerschöpflicher Unterhaltung dar. Vergleichbar verhält es sich mit dem "Pali" und dem "Palukes", dem, wie sich's gebührt, in breitester Ausführung die Reverenz erwiesen ist; usw.

Wer in der Sprache eines Volkes zu lesen weiß, wird über die Geschichte dieses Volkes Informationen erhalten, die er in keinem Geschichtsbuch findet. Auch in Band acht des "Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuches" halten wir nun in diesem Sinne ein gewichtiges Stück historischer Unterrichtung über die Siebenbürger Sachsen in der Hand, für das wir Autoren, Helfern und Förderern dankbar sind! Es handelt sich hier um das bedeutendste und zugleich dringendste geisteswissenschaftliche Unternehmen der Siebenbürger Sachsen in unserer Epoche.

Hans Bergel


Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Achter Band: Buchstabe N-P. Herausgegeben von der Rumänischen Akademie. Bearbeitet von Sigrid Haldenwang, Ute Maurer, Stefan Sienerth und Anneliese Tudt. Editura Academiei Romane, Bucuresti / Böhlau Verlag Köln 2002. 475 Seiten, ISBN 3-412-12801-5, 79,90 Euro.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 15. August 2002, Seite 5)

Schlagwörter: Wörterbuch

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