31. Mai 2019

Variantenwörterbuch des Deutschen erstmals mit rumäniendeutschen Regionalismen - Nachruf auf Ulrich Ammon

Ulrich Ammon (* 3. Juli 1943, † 3. Mai 2019) forschte und lehrte 34 Jahre lang an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg (heute Universität Duisburg-Essen) und war auch nach seinem Ruhestand 2008 unvermindert wissenschaftlich tätig. In der Zeit nach seiner Emeritierung besuchte die Verfasserin dieses Artikels sein Oberseminar und verfasste eine verspätete ­Bachelor-Arbeit, die in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde in Teilen publiziert wird.
Der in Backnang geborene Linguistikprofessor war ein anerkannter Experte für die deutsche Sprache und ihre weltweite Stellung. Zahlreiche Gastprofessuren, längere Aufenthalte in Australien, den USA, Japan und Österreich sowie Kurzzeitgastprofessuren in Ägypten, China, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Lettland, Namibia, Russland, der Türkei und Ungarn zeugen von seinem auch internationalen Ruf. Die Titel von 14 Monographien und rund 300 Aufsätzen enthält seine beeindruckende Publikationsliste. Prof. Ammon leitete mehrere Jahre die Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL). Einige rumäniendeutsche Germanisten mögen sich an seinen Gastvortrag an der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg erinnern. Über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machte ihn vor allem seine Monographie „Die internationale Stellung der deutschen Sprache“ von 1991, die 2015 unter dem Titel „Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt“ (Berlin/München/Boston: de Gruyter) in zweiter Auflage erschien und mit seinem Todestag jetzt auch in englischer Sprache vorliegt.
Ulrich Ammon (1943-2019) ...
Ulrich Ammon (1943-2019)
Für sein zweites großes wissenschaftliches Thema, die Varietätenlinguistik, mag beispielhaft das in zweiter, völlig neu bearbeiteter Auflage 2016 erschienene „Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen“ (Berlin/Boston: de Gruyter) stehen. Herausgeber sind neben Ulrich Ammon, Hans Bickel und ­Alexandra Lenz weitere Experten aus anderen deutschsprachigen Ländern. Im Gegensatz zu den „Voll- und Halbzentren“, in denen Deutsch staatliche oder regionale Amtssprache ist, sind die „Viertelzentren“ durch Deutsch als Minderheitensprache charakterisiert und die nationalen Varianten nicht kodifiziert. In der neuen Auflage sind von den insgesamt 12 000 Einträgen 162 Lemmata aus den Viertelzentren aufgenommen worden: 79 Rumänismen, 37 Namibismen und 46 Lemmata aus den mexikanischen Mennonitenkolonien. Für Rumänien wurde von dem bekannten Bukarester Lexikologen Ioan Lăzărescu ein Korpus eigens für die Neuauflage erarbeitet, das aus den einschlägigen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften wie der Allgemeinen Deutschen Zeitung für ­Rumänien (ADZ) mit ihren Beilagen Banater Zeitungund Karpatenrundschau, der Hermannstädter Zeitung, der Siebenbürgischen Zeitung sowie von HOG-Publikation aus den Jahren 2000 bis 2011 zusammengestellt wurde.

Anhand eines Beispiels soll die Artikelstruktur des Wörterbuchs veranschaulicht werden:
Bizikel RUM das; -s, – (Grenzfall des Standards): ‑Rad A D, ‑Radl A D-südost, ‑Velo CH, ‑Stahlross CH D ‚Fahrrad‘: Sie sind mit dem Bizikel nach Schaas gekommen (SchN 30. 6. 2003, 47) – Dazu: Bizikel-Tour.

Das Beispiel macht auch deutlich, dass viele Lemmata zwar als „Rumänismus“ (RUM) gelten können, aber in der ADZ kaum mehr geschrieben werden. Die Suchfunktion in der ADZ ergab nur noch einen Fund, wo das Wort als ironisierendes Stilmittel genutzt wird: „Der Präsident schweigt und fährt Bizikel. “ (ADZ, 1. Juni 2016) Für das Lemma „Fahrrad“ ergab die Suchfunktion hingegen über 1500 Treffer. Das von Ammon initiierte Variantenwörterbuch ist ein epochales, auch im internationalen Maßstab nach wie vor einzigartiges Werk, das die Unterschiede der nationalen Varietäten und der regionalen Standardvarietäten des Deutschen im lexikalischen Bereich in eindrucksvoller Weise umfassend dokumentiert. Die gebundene Ausgabe kostet 99 Euro, die Taschenbuchausgabe ist mittlerweile für weniger als die Hälfte zu haben.
Die zwei Bestseller des verstorbenen ...
Die zwei Bestseller des verstorbenen Linguistikprofessors Ulrich Ammon stehen auch in der ASTRA-Bibliothek in Hermannstadt zur Ausleihe bereit.
Die soziolinguistischen Begriffe und weitere Ausführungen über Deutsch als plurizentrische Sprache sind in verständlicher Weise in dem 78-seitigen Vorwort erklärt, so dass dieses Wörterbuch als unerlässliches Werkzeug für vielerlei Zielgruppen zu empfehlen ist: für Übersetzer und Dolmetscher, Lehrer und Lerner von Deutsch als Mutter- und Fremd- bzw. Zweitsprache, aber auch für Touristen, die Genaueres über das Deutsch ihres Reiseziels wissen wollen, sowie für alle Liebhaber der deutschen Sprache, nicht zuletzt für Sprachwissenschaftler und Verfasser von Wörterbüchern der deutschen und anderer Sprachen.

Es ist das erste Wörterbuch weltweit, das für eine ganze Sprache sämtliche nationalen und regionalen standardsprachlichen Besonderheiten und nur sie enthält und für jede Variante den genauen nationalen und regionalen Geltungsbereich angibt. Wird das von Ulrich Ammon initiierte „Variantenwörterbuch des Deutschen“ Schule machen und wird es in Zukunft auch als Modell entsprechender Wörterbücher für andere plurizentrische Sprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Chinesisch, Arabisch, Niederländisch dienen? Ulrich Ammon hat sein Leben lang darauf hingearbeitet. Er ruhe in Frieden!

Brunhilde Böhls

Schlagwörter: Nachruf, Ammon, Linguist, Wörterbuch

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